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Gedanken beschäftigt.

      Abermals war sie also allein, ganz allein!

      So war es bisher stets in ihrem Leben gewesen. Sie durfte sich eben nicht freuen. Stets kam dann etwas Böses auf sie zu. Ja wirklich, sie hatte es schon oft genug erfahren.

      Sie schob ihr Fahrrad zu dem kleinen Schuppen hinüber. Als sie nach einer Weile wieder zurückkam, stand die Tante ­immer noch auf demselben Fleck.

      »Du willst mir also nicht antworten, Inge? Du willst mir nicht sagen, wo du gewesen bist?«

      Erwachend blickte Inge ihre Tante Dora an.

      »Aber natürlich will ich dir das sagen, Tante, es ist kein ­Geheimnis dabei. Als ich den Frühstückstisch gedeckt hatte und du noch so schön fest schliefst, bekam ich große Lust, schnell zum Waldsee zu fahren, du weißt doch, wie gern ich schwimme, und morgens ist es dort am schönsten. Man ist ganz allein. Ich bin weit hinausgeschwommen, es war herrlich!«

      Frau Conradi atmete befreit auf. So also war das gewesen. Ja, sie glaubte ihr. Inge hatte doch bereits den Kaffee gebrüht, also konnte sie wirklich nicht lange weg gewesen sein.

      »Dann gehen wir also hinein«, sagte sie und legte behutsam den Arm um die Nichte. »Du darfst mich jedoch niemals so erschrecken, hörst du? Wie schrecklich wäre es, wenn dir etwas passieren würde. Du weißt, wie ängstlich deine Mutter ist.«

      Inge war schnell versöhnt. Plötzlich hörte sie wieder das Zwitschern der Vögel, bemerkte den Duft der Blumen. Ja, es war wieder so wie in den ersten Tagen, die Tante hatte sie lieb. Am liebsten würde sie immer hierbleiben und nicht in das düstere Haus zurückkehren, in dem man sich trotz der Weiträumigkeit der Zimmer so seltsam eingeengt fühlte.

      »Meine Mutter hat Angst um mich?« fragte Inge zweifelnd, »davon habe ich bisher nie etwas bemerkt, Tantchen. Lange Jahre hatte ich ein Kinderfräulein, da habe ich die Mutter kaum gesehen. Dann war ich im Pensionat, und jetzt ist alles falsch, was ich tue.«

      Es war ein bitterer Ton in Inges Stimme. Dora Conradi überhörte ihn geflissentlich.

      Sie wußte ja, daß ihre Schwester Magdalene ein eigentümlicher Mensch war. Es war ihr wohl zuzutrauen, daß sie die Ablehnung, die sie ihrem verschollenen Mann gegenüber empfunden hatte, jetzt auf die Tochter übertrug.

      »Nun setz dich, Inge! Das Baden wird dich hungrig gemacht haben. Schmeckt es dir denn bei mir? Darüber hast du noch gar nichts gesagt.«

      »Aber Tantchen, natürlich, es schmeckt mir wunderbar, bisher habe ich noch nie so viel gegessen.«

      »Hast auch frische Farbe bekommen, mein Kind«, klopfte die Tante ihr liebevoll auf die Schulter.

      Dann goß Inge den Kaffee ein, und sie saßen sich schweigend gegenüber, jeder mit dem Genuß des Frühstückens beschäftigt.

      »Gehen wir heute wieder aufs Feld hinaus?« fragte Inge später, als sie das Geschirr abräumte.

      Dora Conradi unterdrückte einen Seufzer.

      »Wird es dir nicht zuviel, Inge? Schließlich bist du diese Feldarbeit nicht gewohnt.«

      »Mir macht sie großen Spaß. Natürlich habe ich einen gehörigen Muskelkater, aber man weiß am Abend wenigstens, daß man etwas Nützliches getan hat. Außerdem kann ich zu jeder Zeit wieder aufhören, das ist zumindest beruhigend, nicht wahr?«

      Die Tante nickte. Es würde also nichts weiter übrigbleiben, als die ihr ebenfalls so ungewohnte Arbeit wiederaufzunehmen. Und alles nur, weil Inge auf Wunsch der Schwester scharf herangenommen werden sollte. Magdalene wußte wirklich nicht, welche Opfer sie damit verlangte.

      Dora ging in ihr Zimmer hinüber und band sich Kopftuch und Schürze um. Inge wirtschaftete inzwischen in der Küche. Es ging bei ihr alles so schnell, ehe die Tante sich umsah, war die Arbeit erledigt.

      »An der Seite dieses Wildfangs werde ich wirklich noch einmal jung«, brummte Dora Conradi, »schon heute möchte ich das Mädel am liebsten nicht mehr hergeben.«

      Sie suchte nach dem Frühstückskorb, um dann festzustellen, daß Inge ihn bereits fertig gemacht hatte.

      »Gehen wir also, Inge.«

      Langsam wanderten sie am Feldrain entlang. Mit glücklichen Augen sah Inge über die Kornfelder.

      »Du weißt gar nicht, wie froh ich bin, daß ich bei dir sein kann«, sagte sie und hakte sich bei ihrer Tante ein.

      »Das verstehe ich wirklich nicht, Mädel, ich möchte meinen, daß du viel lieber Tennis spielst und euer vieles Dienstpersonal zu Hause durcheinanderwirbelst.«

      »Hat sich was, wirbeln tut nur meine Mutter«, lachte Inge. »Ich weiß auch nicht, warum es mir hier draußen so gut gefällt. Bisher habe ich immer nur lernen müssen, und der Tag war genau eingeteilt. Gewiß, das ist er hier auch, aber man ist draußen an der frischen Luft. Zu Hause bin ich eher wie ein Stück Inventar, stets kommen fremde Menschen, die steif und vornehm tun, ich muß sie begrüßen und darf eine Weile ihrem Gespräch zuhören, um dann für den Rest des Abends in mein Zimmer hinaufgeschickt zu werden.«

      »Du sprichst recht respektlos von dem Haus deiner Eltern, finde ich.«

      Inge machte ein schuldbewußtes Gesicht.

      »Nimm es nicht so ernst, Tantchen, das ist ja gerade das Schöne hier, ich kann sprechen, wie mir der Schnabel gewachsen ist, ohne gleich die bittersten Vorwürfe zu hören.«

      Dora Conradi wußte darauf nichts zu antworten, sie kam mehr und mehr zu der Überzeugung, daß es von ihrer Schwester vielleicht doch nicht richtig gewesen war, Inge ihrer Obhut anzuvertrauen. Sie brachte es einfach nicht fertig, die Respektsperson herauszukehren, und gerade das sollte sie doch.

      »Warum bist du eigentlich nicht so reich wie wir?« fragte Inge, als wäre es die belangloseste Frage der Welt.

      »Fragen hast du!« schüttelte Dora Conradi den Kopf.

      »Es ist nicht so wichtig, du brauchst mir nicht zu antworten, Tantchen. Es fiel mir nur so ein, weil Mama doch immer so stolz auf ihren Besitz ist.«

      Die Tante machte ein nachdenkliches Gesicht.

      »Du meinst, weil wir Schwestern sind, und weil ich genauso viel geerbt haben müßte wie deine Mutter? Das stimmt schon, nur habe ich mein Geld sehr ungeschickt angelegt. Alles bei einer einzigen Bank, weißt du? Und diese Bank ist dann in Konkurs gegangen.«

      »Pech«, sagte Inge und pflückte einige Kornblumen, die dicht am Wegrand standen. »Jedenfalls bist du glücklicher als Mama, glaube ich.«

      Frau Conradi sagte nichts dazu. Das Gespräch näherte sich einem gefährlichen Gebiet. Wenn sie nicht schnell auf ein anderes Thema übergingen, mußten sie sehr bald über den verschollenen Vater sprechen. Wahrscheinlich würde Inge sie dann nach ihrer, Doras, Meinung fragen. Was aber sollte sie dann sagen? Sie mußte eine Notlüge gebrauchen, denn ihre wirkliche Meinung mußte sie um Inges und auch um Magdalenes willen für sich behalten.

      Dora Conradi war froh, daß sich gerade in diesem Augenblick ein rumpelnder Leiterwagen näherte. Er gehörte zum Gut Birkenhöhe. Mägde und Knechte wurden auf die Felder hinausgefahren. Der Verwalter Brettschneider war mit auf dem Wagen. Jetzt grüßte er höflich und warf einen erstaunten und verwunderten Blick auf die junge Dame, die dort neben der von allen sehr geschätzten Frau Conradi einherging.

      Die Tante sah diesen Blick. Eine Sekunde lang war ihr zumute, als wäre sie bei einer bösen Tat ertappt worden. Brettschneider war ja nicht dumm, er hatte sich sicher seine Gedanken gemacht, als sie vor einer Woche in seinem Büro erschienen war, um ihn zu bitten, ihr die Wartung eines der großen Zwiebelfelder zu übertragen. Das machte man hier so, wenn man billig zu eigenen Zwiebeln kommen wollte, und die Gutsverwaltung war froh, wenn sie für ihre großen Felder Leute fand, die sie betreuten.

      Natürlich hatte Brettschneider sich gefragt, was sie, Frau Conradi, wohl mit soviel Zwiebeln wollte. Sie besaß genug Geld, um sie sich kaufen zu können. Da hatte sie ihm dann erklärt, daß

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