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ging Sörensen auf die Saaltür zu. Einige Stufen führten in den Saal hinunter. Gerade mußte ein neuer Tanz begonnen haben. Dicht drängten sich die Paare nach den Klängen der Bauernkapelle. Suchend ließ Sörensen seine Blicke durch den Saal streifen. Er war voller Erwartung und aufgeregt wie ein Schulbube. Würde er Inge wiedersehen? Wie sollte er sich dann verhalten?

      Konnte er einfach auf sie zugehen und sie wie eine alte Bekannte begrüßen? Er wußte doch, in welche Ungelegenheiten sie durch ihre Zufallsbekanntschaft mit ihm gekommen war. Gewiß, ihre Mutter würde anders denken, wenn sie erfuhr, daß er es gewesen war, mit dem ihre Tochter dort am Strand gesehen wurde.

      Ein unbehagliches Gefühl beschlich Sörensen, wenn er an Magdalene Gräfenhan dachte. Sie hatte ihm so deutlich ihre Zuneigung gezeigt, wie würde sie sich verhalten, wenn sie erfuhr, daß er nicht sie, sondern ihre Tochter liebte?

      Abermals glitten seine Blicke suchend durch den Saal. Enttäuschung spiegelte sich auf seinem Gesicht, Inge schien wirklich nicht hier zu sein.

      Ein buntes Bild bot sich ihm: Die meisten der anwesenden Frauen trugen städtische Abendkleider, aber man sah auch noch Trachten, und es waren bestimmt nicht die häßlichsten Mädel, die in ihnen steckten.

      Besonders jene Blonde da drüben fiel ihm auf, ausgelassen wirbelte sie herum, jetzt zog ihr Partner sie fest an sich. Sörensen könnte es dem Burschen nicht verdenken.

      Plötzlich stutzte er. Das Paar kam näher, das Gesicht des blonden Mädchens war jetzt deutlicher zu erkennen.

      Erstarrung legte sich über Eberhard Sörensen, kein Zweifel, es war Inge, die dort in den Armen eines fremden jungen Mannes lag.

      Wilde Eifersucht regte sich in dem Mann, der hier zwischen all dem Gedränge und Geschiebe bewegungslos auf den Treppenstufen stand.

      War das überhaupt seine Inge? War das jenes junge betörende Geschöpf, dem sich sein Herz so schnell zugewandt hatte? Er hatte all die vergangenen Tage deutlich ihr liebes gutes Gesicht vor sich gesehen, ein ganz anderes Gesicht war es gewesen als das, welches ihm dort unten gerötet und erhitzt entgegenkam.

      Aber sie war es, es bestand kein Zweifel, das blonde Haar, die Eleganz der Bewegungen, all das konnte auch die bäurische Tracht und das dicke schwarze Samtband, welches sie sich um das Haar geschlungen hatte, nicht verdecken. Eberhard Sörensen drehte sich ruckartig um, steif und hölzern stieg er die wenigen Stufen zur benachbarten Gaststube hinauf.

      Er riß sich zusammen, der Freund sollte ihm nichts anmerken.

      »Da bist du ja wieder«, rief Axel ihm entgegen, »ist nur etwas für starke Gemüter, was? Das geht nun bis zum Kühemelken, und dann auf ein Neues!«

      Die ganze Nacht über tanzt Inge mit anderen Männern, die ganze Nacht über, hämmert es in Sörensens Kopf.

      »Laß uns gehen«, sagte er gepreßt, »es genügt mir.«

      »Du bist wirklich ein unruhiger Geist«, seufzte Axel von Dörendorf und schob sich hinter dem Tisch hervor.

      Sie gingen zu ihrem Wagen hinaus und fuhren nach Birkenhöhe zurück. Schweigsam saßen sie nebeneinander. Axel gähnte ungeniert.

      *

      »Nun müssen wir wirklich nach Hause, Inge. Im Osten wird der Himmel schon hell, im Osten geht die Sonne auf.«

      »Einen einzigen Tanz noch, Tantchen!«

      »Aber es ist wirklich der letzte.«

      »Ich verspreche es dir.«

      Dora Conradi konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, sie war es nicht mehr gewohnt, die Nacht zum Tage zu machen. Dabei hatte sie kaum getanzt, sondern meist irgendwo still in der Ecke gesessen und zugeschaut. Sehr bald war ihr klargeworden, daß sie sich um Inge wirklich keine Sorgen zu machen brauchte. Selten, daß sie mit ein und demselben Partner mehrere Tänze hintereinander zusammen war. Sie schien wirklich nur um des Tanzens willen hierhergekommen zu sein. Erstaunlich, daß sie offensichtlich keinerlei Müdigkeit verspürte. Aber nun mußte endlich Schluß sein. Auch die anderen Mädel in ihrem Alter waren zum größten Teil schon nach Hause gegangen.

      »So, Tantchen, nun laß uns gehen.«

      Inge half der Tante zum Saal hinaus, verabschiedend nickten ihr viele der jungen Männer zu, die sie hier kennengelernt hatte und deren Namen ihr meist schon wieder entfallen waren. Es war ja auch so gleichgültig.

      »Bist du denn nicht todmüde, Kind?«

      »Ein wenig schon, jetzt merke ich es.«

      »Dann wirst du dich erst einmal richtig ausschlafen, ich befürchtete schon, du hättest die Absicht, sehr bald wieder zurückzukehren. Mittags trifft sich nämlich wieder alles bei Bauer Mertens, möglicherweise geht es dann abermals bis tief in die Nacht hinein.«

      Inge bekam einen Augenblick lang wirklich Lust, am Nachmittag noch einmal an der ausgedehnten Feier teilzunehmen, aber dann wurde ihr klar, daß die Tante Ruhe brauchte. Hatte sie sich ihr gegenüber nicht sowieso schon ein wenig rücksichtslos verhalten?

      »Ich bin dir so dankbar, Tantchen, daß du die ganze Nacht über ausgeharrt hast, es ist dir sicher sehr schwergefallen. Du legst dich sofort hin, und ich bediene dich.«

      »Das gibt es nicht, Inge, das habe ich nie gemocht. Ich bin doch keine Filmdiva, die sich den Kaffee ans Bett bringen läßt, und krank bin ich auch nicht.«

      Endlich waren sie zu Hause. Inge hatte kaum die Sachen abgestreift und sich gewaschen, als sie schon todmüde ins Bett fiel und sofort einschlief.

      Der Tante ging es nicht viel anders, nur daß sie schnell noch die Hühner herausließ und ihnen ein paar Körner hinstreute.

      Am Nachmittag waren sie beide wieder so weit ausgeruht, daß sie sich um ihren kleinen Haushalt kümmern konnten. Mit der Morgenpost war ein Brief von Magdalene Gräfenhan gekommen. Sie erkundigte sich nach dem Befinden ihrer Tochter und erzählte von der glänzenden Gesellschaft, die sie gegeben hatte. Der Brief war nüchtern und ohne Wärme, fand Dora Conradi. Inge störte das anscheinend nicht, sie gab auch eine Erklärung dafür, ihre Mutter pflegte ihre gesamte Post, auch die Privatbriefe, ihrem Sekretär Antonius Kallweit zu diktieren.

      Tante Dora nickte. Ja, ja, so war ihre Schwester nun mal.

      »Schreibt Mutter eigentlich, wann ich nach Hause kommen soll?« fragte Inge.

      Die Tante hatte ihr den Brief vorgelesen. Jetzt blätterte sie noch einmal zurück.

      »Nein, davon steht nirgendwo etwas.«

      »Dann kann ich also noch bei dir bleiben, Tantchen?«

      Dora Conradi mußte sich abwenden. Wenn sie sich auch sehr darüber freute, daß Inge so gern bei ihr war, so empfand sie es doch als einen außerordentlichen Mangel, daß die Nichte so wenig Liebe zur Mutter zeigte. Aber wahrscheinlich hatte ihre Schwester Magdalene auch nichts getan, um diese Liebe in Inge wachzuhalten.

      »Darf ich nachher zum Baden fahren, Tantchen? Die Sonne scheint so warm, es muß heute herrlich sein, dort unten am See.«

      »Ich laß dich nicht gern allein durch den Wald radeln, Inge, und wenn dir beim Baden etwas passiert, ist niemand da, der dir helfen kann.«

      »Komm doch mit, Tantchen, du wirst sehen, welch eine gute Schwimmerin ich bin.«

      »Ich glaube, man darf sich gar nicht soviel Sorge um dich machen. Also fahre schon, wenn ich mitkomme, brauchen wir eine Stunde, bis wir dort sind.«

      Inge nahm also ihr Badezeug, und eine halbe Stunde später leuchtete ihr rotes Kleid in dem weiten Meer der gelben Kornfelder.

      Die Tante sah ihr nach, bis der rote Fleck zu einem winzigen Punkt geworden war und schließlich ganz verschwand.

      *

      Eberhard Sörensen ritt mit seinem Freund Axel von Dörendorf die Felder ab. Er hatte lange nicht auf einem Pferd gesessen und war froh, daß der Freund viel zu zeigen und zu erklären hatte, weil sie dadurch eine

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