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nicht davon, dass viele, ja die meisten Götterstandbilder der Griechen und auch der Römer in geringerem oder grösserem Masse der Bekleidung entbehren;[80] denn diese Bildnisse knüpfen an uralte, barbarische Vorstellungen an, welche der Kult für lange Zeiten befestigt hat, wie ja auch das christliche Kruzifix uns heute noch den entblössten Leib des Erlösers zeigt, ohne Anstoss zu erregen.[81] Ungemein kennzeichnend ist dagegen die augenscheinliche Freude am Nackten, welche die weit fortgeschrittenere und uns viel näher gerückte römische Kaiserzeit in Dingen bekundet, wo unser heutiges Schamgefühl das Nackte geradezu ausschliesst. Wie wäre ohne geringere Feinfühligkeit in dieser Hinsicht es sonst zu erklären, dass die auf uns gekommenen Standbilder so vieler hervorragender Persönlichkeiten dieselben gewandlos zeigen? Die nackten Kaiserbüsten mag man allenfalls hingehen lassen, es am Ende auch noch begreiflich finden, wenn unter die Götter versetzte Imperatoren in dieser Eigenschaft nackt erscheinen.[82] Zahlreiche Standbilder gefallen sich aber in halben oder ganzen Entblössungen ohne jeglichen für unser heutiges Empfinden ersichtlichen Grund. Germanikus ging zu seinen Lebzeiten gewiss nicht so halbnackt einher, wie ihn sowohl die zu Frascati, als die 1792 in den Ruinen der Basilika von Gabii ausgegrabene Statue (jetzt im Louvre) zeigt; auch Augustus, Claudius und Nero nicht, wie sie, zum Teil in sitzender Stellung, in den Museen von Neapel, des Louvre und des Vatikans zu schauen sind. In ähnlicher, unbegründeter Halbnacktheit sitzt der ehrwürdige Kaiser Nerva und steht der mit Eichenlaub bekränzte Antoninus im Vatikan. Allein nicht genug daran, auch im „heroischen Kostüm“ wurden die Herrscher verewigt. Dieses heroische Kostüm bestand darin, gar keines zu sein. Ein solches „trägt“ z. B. der zu Otricoli gefundene Caligula, welchen eine andere Statue (im Palast Farnese zu Rom) ebenfalls nackt, bloss einen nichts verhüllenden Mantel über die Achsel geworfen, gar aufs Pferd setzt! Im Palaste Grimaldi zu Venedig befindet sich eine ähnliche „heroische“ Statue des Agrippa, und auf dem Kapitol zu Rom sieht man das zu Ceprano aufgefundene Standbild des Kaisers Hadrian, bloss mit Helm und kurzem Armschild bekleidet, weiter nichts. Sein Adoptivsohn L. Aelius Verus steht im Louvremuseum in fröhlicher Nacktheit, und noch geringere Ansprüche verrät der die Viktoria tragende Lucius Verus der Jüngere im Braccio nuovo des Vatikans. Was er etwa an Gewandung besass, hat er sorgsam zur Seite gelegt und buchstäblich splitternackt trägt Marc Aurels Schwiegersohn die — ein seltsamer Kontrast — von wallenden Gewändern umflossene Viktoria. Am drastischsten wirkt aber wohl das Standbild des Königs Ptolemäos auf dem Kapitol, welches diesen Herrscher im vollkommensten Naturzustande vorführt. Diese Beispiele könnte ich noch sehr beträchtlich vermehren. Die mitgeteilte Blumenlese genügt indes, den Geist der damaligen Zeit zu kennzeichnen. Erwägt man, dass alle diese Standbilder der Öffentlichkeit preisgegeben waren, so muss man annehmen, dass deren Anblick das Schamgefühl der in Toga und Tunika einherschreitenden Römer und Römerinnen nicht sonderlich verletzt habe. Die Römer der Kaiserzeit waren nun gewiss ein schon hohes Kulturvolk; dass aber neben den vielen Bildsäulen der Imperatoren, welche diese im vollen Schmucke ihrer Amtstracht zeigen, so zahlreiche Abbildungen sie auch in einem Zustande verherrlichen konnten, der dem sittlichen Geschmacke einer schon sehr bald darauf folgenden Epoche nicht mehr entsprach, berechtigt uns gewiss, sie trotz ihrer Gesittungshöhe nur zu den Halbschamhaften zu zählen.

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