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Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung. Friedrich von Hellwald
Читать онлайн.Название Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung
Год выпуска 0
isbn 4064066112547
Автор произведения Friedrich von Hellwald
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Zu den letzteren gehören auch eine Menge von Stämmen, um welche die europäische Gesittung der Gegenwart wirbt und die ihr erst zum Teil gewonnen sind. Auf mehreren Südseeinseln haben die christlichen Missionäre den Frauen und Mädchen ein kurzes, bis zum Nabel reichendes Busenhemdchen, „Pinnafore“, aufgenötigt; doch machen diese meist nur in der Kirche damit Staat, sonst tragen sie diese Hemdchen fast immer, aus den lästigen Ärmeln geschlüpft, über die Schultern zurückgeworfen. Selbst auf Hawaii, wo doch schon europäische Kleidung üblich ist, wird auch bei den Vornehmen zu Hause schnell alles ausgezogen, um frei und nackt sich es so viel wie möglich bequem zu machen und von dem erlittenen Zwange gehörig auszuschnaufen. Die dortigen Damen aber, die Kanakinnen, obwohl sie mit den europäischen Kulturformen schon vertraut sind, legen sogar von ihren in der That staunenswerten Schwimmkünsten den Vorübergehenden alltäglich die bereitwilligsten Proben ab, wobei diese bronzenen Aphroditen, völlig nackt, um die Preisgebung ihrer Reize sich wenig besorgt zeigen — wie Max Buchner berichtet, bei dem man eine gelungene Schilderung dieser in unseren Augen wenig schicklichen Schwimmvergnügungen nachlesen kann.[83] Selbst einem so hochgestiegenen Volke wie die Japaner ist das gemeinsame Baden beider Geschlechter[84] in geschlossenem Raume sowie im Freien erst neuerlich von den Behörden untersagt worden. Das Gleiche beobachtet man bei den spanisch-indianischen Mischlingen, welche dermalen den Grundstock der zivilisierten Bevölkerung in den Freistaaten Südamerikas ausmachen. Bezüglich der Cholos in Ekuador wurde der moderne Reisende Hugo Zöller mehrfach darauf aufmerksam gemacht, „wie sich Männer und Weiber gemeinschaftlich mit einer Unverfrorenheit im Flusse herumtummelten, die selbst den naiven Südseeinsulanern fremd ist.“[85] Von den schon im Alltagsleben nach europäischen Begriffen nicht sehr züchtig gekleideten Paraguitinnen erzählt ein Berichterstatter aus der Zeit des grossen Krieges von 1864–1870: „Die Weiber wuschen die wenigen Kleidungsstücke, welche sie noch besassen, häufig. Viele hatten nur noch einen Anzug, und während sie diesen auf dem Grase zum Trocknen ausbreiteten, standen sie selbst in adamitischem Kostüme dabei und rauchten ihre Zigarren.“[86] Und Mantegazza erzählt bestätigend: „Auf meiner Reise in Paraguay habe ich in den Strassen der Hauptstadt Kinder beiderlei Geschlechts nackend gesehen, und in einem Dorfe sah ich ein schon mannbares Mädchen nackt wie Eva, die, ohne sich im geringsten zu schämen, einem meiner Begleiter Feuer gab, um seine Zigarre anzuzünden.“[87] In der argentinischen Stadt Mendoza baden die spanischen Damen jeden Morgen und Abend völlig nackt und gemeinsam mit den Herren in einem Bache, welcher der „Alameda“, dem öffentlichen Spaziergange, entlang fliesst. Dazu kann ich Seitenstücke sogar aus Europa anführen. Ausserhalb der Stadt Jassy tummeln sich in den Fluten des Bahlu neben Pferden und Ochsen jüdische Knäblein und Mägdlein, weiterhin Männer und Weiber Israels, alle in unverfälschtem Adamskostüm und nicht die geringste Notiz von dem verblüfft dastehenden Fremden nehmend.[88] Auch in Russland, längs den Flüssen, in den Städten und Dörfern am Don und an der Wolga ist es nichts Seltenes, namentlich am Samstag, Mädchen oder Frauen ohne jegliche Bekleidung sich scharenweise an wenig abgelegenen Orten, mitunter sogar unter den begangensten Brücken, baden zu sehen.[89] Ebensowenig lässt das Innere einer finnischen „Badstube“ im entferntesten eine schamhafte Scheu der beiden Geschlechter erkennen,[90] ja selbst vor der Badstube, im Freien, sitzen, wie die photographischen Aufnahmen beweisen, die streng protestantischen Leute in starker Entblössung. Auch ein rein germanischer Stamm, die christliche, des Lesens durchweg kundige Bevölkerung Islands, ist noch nicht bis zu der Erkenntnis gelangt, welche die biblischen Eltern des Menschengeschlechts schon in Eden sich erwarben, denn sie ziehen sich vor dem Schlafengehen, um die Kleider zu ersparen, splitternackt aus.[91]
Bei den ganz schamhaften Völkern, obenan bei den gesitteten Nationen Europas, hat sich die Schamhaftigkeit vornehmlich in der Kleidung befestigt, welche in den gebildeten Ständen den Körper bis auf Antlitz und Hände vollkommen verbirgt, während die nackten Füsse der Gassenjungen oder mancher ländlichen Bevölkerung schon an die Grenze des Geduldeten streifen. Jede weitere Entblössung des Körpers verbietet unser Schamgefühl, völlige Nacktheit aber fällt unter das Strafgesetz.[92] Da die Weissen Europas auch die klimatisch weniger begünstigten Erdräume innehaben, so hat bei ihnen das Schutzbedürfnis die Bekleidung naturgemäss gefördert,