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Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung. Friedrich von Hellwald
Читать онлайн.Название Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung
Год выпуска 0
isbn 4064066112547
Автор произведения Friedrich von Hellwald
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Wir nehmen nun die Bibel zur Hand, die einzige Quelle alles Wissens der Gläubigen über die Urzeit. Es ist wohl unnötig zu betonen, dass wer nicht mit vorgefassten Meinungen an dieses Buch herantritt, in demselben eine der denkwürdigsten Geschichtsurkunden der Welt zu verehren hat. Mehr kann man darin nicht erblicken, seitdem Bibelforschung und Textkritik die verschiedenen Quellen aufgedeckt haben, aus welchen die Verfasser schöpften, und erwiesen ist, dass, was den hier allein in Betracht kommenden Pentateuch, d. h. die fünf Bücher Mosis anbelangt, die Schlussredaktion erst zur Zeit des Esra geschehen und der Redaktor nur in dem Kreise der in Babylonien lebenden Schriftgelehrten gesucht werden kann, zu welchen auch Esra als einer der berühmtesten, wenn nicht der berühmteste zählte.[47] Es liegt mir natürlich ferne, diese Ergebnisse strengster Forschung des weiteren hier zu verfolgen. Unerlässlich däucht mir aber der Hinweis, dass schon in Kapitel 1 und 2 der Genesis zwei völlig verschiedene und mit einander nicht zu vereinbarende Schöpfungsberichte vorliegen, von welchen das erste Kapitel, dem der sogenannte Priesterkodex zu Grunde liegt, eine kosmogonische Theorie geben will,[48] während die jahwistische Erzählung im zweiten und auch dritten Kapitel durch Abwesenheit jeglichen rationellen Erklärungsstrebens, durch die Verachtung jeglicher kosmologischer Spekulation glänzt.[49] Ich lege indes auf diese Widersprüche hier kein Gewicht; es genügt vollständig festzustellen, dass aus der biblischen Erzählung über den Urzustand des Menschen sich so gut wie gar nichts herauslesen lässt. Wir erfahren bloss, dass der Mensch im Garten Eden lebte, die Sprache besass und nackend war, wessen er sich nicht schämte. Nichts hören wir davon, dass er ein Obdach oder ein Werkzeug besessen; in seiner Nahrung war er auf die Früchte der Bäume angewiesen. Von Gottesverehrung, Religion, keine Spur; nur Scham lernen wir als erste Empfindung des Menschen kennen, als er vom Baum des Erkenntnisses gegessen, dann Furcht, als er sich entdeckt sieht. So weit ist also der biblische Urmensch von jenem der wissenschaftlichen Vermutung nicht entfernt. Der fernere Verlauf der biblischen Erzählung ist eben so arm an bestimmten Angaben. Nirgends steht von einer ursprünglichen Vollkommenheit geschrieben, höchstens tierische Glückseligkeit lässt im Paradiese sich vermuten, im Gegensatze zu dem Lose, welches den Menschen nach seiner Vertreibung trifft. Auch ist mit Gut und Böse, wie es in Genesis 2 und 3 gemeint ist, keine Entgegensetzung der Handlungen nach ihren sittlichen Unterschieden beabsichtigt, sondern eine Zusammenfassung der Dinge nach ihren zwei polaren Eigenschaften, wonach sie den Menschen interessieren, ihm nützen oder schaden; denn nicht was die Dinge metaphysisch sind, sondern wozu sie gut sind, will er wissen. Neben dem ausführlichen Ausdruck kommt übrigens, wie Wellhausen hervorhebt, auch der einfache, Erkenntnis schlechthin, vor, und zu beachten ist noch das, dass es nicht heisst: erkennen das Gute und das Böse, sondern: Gutes und Böses.[50] Ohne es irgendwie zu beabsichtigen, hat der jahwistische Darsteller im „Sündenfalle“ einen wichtigen Markstein in der Gesittungsentwicklung seines Urmenschen geschaffen, den auch die moderne Anschauung gelten lassen muss, freilich ohne eines „Sündenfalles“ zu bedürfen. Tief unter der untersten Grenze geschichtlichen Menschentums bewegt sich aber auch nach dem Verlassen des Paradieses der solchergestalt fortgeschrittene Urmensch. Nur die Kleidung trägt er daraus mit, keinen ersichtlichen höheren Gedanken. Auch an ein Leben nach dem Tode kein Gedanke. Unsterblichkeitsglaube existiert für ihn so wenig wie Religion, und wenn die Eiferer sich heftig auflehnen gegen eine religionslose Urzeit, weil heutzutage — und, füge ich hinzu, wohl auch geschichtlich — der religionslose Naturmensch ebenso ins Reich der Fabel gehört, wie der sprachlose Urmensch,[51] so steht doch der modernen Anschauung die Bibel nicht im Wege. Auch wir sind der entschiedenen Ansicht, dass der Name „Religion“ selbst noch auf solche Vorstellungen und Gebräuche anzuwenden sei, die allerdings von unserem höheren Standpunkte als düsterer Aberglaube zu bezeichnen sind. Allein es handelt sich nicht darum, wie Roskoff sehr treffend bemerkt, ob religiöse Vorstellungen dem Europäer als Aberglaube erscheinen, sondern ob jene einem Volksstamme als Religion gelten,[52] und in diesem Sinne darf man wohl sagen, dass jedes Volk eine gewisse Religion besitze. Um dies zuzugestehen, müssen wir indes unsere Genügsamkeit in vielen Fällen auf das äusserste Mass herabsetzen, und es ist nur logisch, zu schliessen, dass den urgeschichtlichen Vorgängern dieser Religionsarmen selbst dieses geringste Mass nicht eigen war. Auf die gesellschaftlichen Zustände der ausgetriebenen Ureltern fällt aber gar der schwärzeste Schatten, denn nach Genesis 4 bleibt nichts übrig, als den ersten Menschen und ihre Nachkommen der Blutschande, und zwar begangen mit der eigenen Mutter, zu beschuldigen.[53] Im übrigen leuchtet auch aus der biblischen Erzählung hervor, wie die einzelnen Künste des Lebens erst nach einander erwuchsen in dem langen Zeitraume, der bis zur Sündflut verfloss. Soweit die mosaische Überlieferung, denn nur solche und nicht beglaubigte Geschichte ist es, welche im Pentateuch und den übrigen Schriften bis herab zum Königsbuch redaktionellen Ausdruck gefunden. Unbefangener Prüfung gegenüber hält die Wahrscheinlichkeit dieser Überlieferung, verglichen mit jener der neueren Annahmen über die Urzeit, nicht im entferntesten Stand. Immerhin schien mir der Hinweis von Belang, dass die spärlichen Angaben der Genesis keinen ernsten Widerspruch gegen jene begründen. Nicht zur allergeringsten materiellen oder geistigen Lebenskunst hat der Paradiesesmensch sich erhoben; in nichts, in rein gar nichts äussert sich die göttliche Belehrung oder ausserordentliche Führung, und nichts, auch nicht das Geringste nimmt der Verstossene mit sich, als den Fluch der erzürnten Gottheit. Kurz, der vertriebene Adam der mosaischen Schöpfungssage steht genau an dem nämlichen Punkte wie unser Urmensch, dem kein Paradies geglänzt hat. Was Adam und sein Geschlecht ersonnen und an Kulturschätzen erreicht, es geschah ohne die Erleuchtung des feindseligen Gottes, der erst wieder eingreift, um durch die Sündflut die verderbte Menschheit hinwegzutilgen. So kehrt sich denn genau nicht mehr und auch nicht minder gegen den biblischen Urvater und die Seinen der wohlfeile Spott, welcher „den Urmenschen, dem es einfiel, die Kunst des Feuerzündens und des Kochens, der Tierzähmung und des Ackerbaues zu erfinden, als ein Universal- und Säkulargenie“[54] angesehen wissen will.
[31] Hellwald. Kulturgeschichte in ihrer natürlichen Entwicklung bis zur Gegenwart. Dritte Aufl. Augsburg, 1883. Bd. I. S. 11.
[32] Lippert. Kulturgeschichte. Bd. I. S. 43.
[33] Dr. Wilhelm Schneider. Die Naturvölker. Missverständnisse, Missdeutungen und Misshandlungen. Paderborn u. Münster, 1885–86, 2 Bde. Das Buch zeugt von grosser Belesenheit und vielem Sammelfleiss. Auch kann ich nicht umhin einzuräumen, dass der Verfasser meine eigenen Schriften mit augenscheinlicher Bevorzugung gelesen und zu Rate gezogen hat, da ich ganze Stellen aus denselben wiedererkenne und auch meine Quellenangaben reichlich benützt finde. Sind letztere in dem Schneiderschen Werke also vielfach auch nur aus zweiter Hand geschöpft, so verficht doch der Verfasser, wohl ein katholischer Theologe, seinen Standpunkt mit Energie und in einzelnen Punkten auch nicht ohne Glück. In manchem ist ihm unbedingt beizustimmen, so in fast allem, was die Misshandlungen der Naturvölker betrifft. In anderem wirkt er berichtigend, so dass sein Buch jedenfalls ein belehrendes bleibt und auch von Denkern anderer Färbung als dankenswerte Leistung anerkannt zu werden verdient.