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erst unlängst verkündete auch ein deutscher Gelehrter wieder: „Das Schamgefühl ist allgemein in der heutigen Menschheit; wo es aber zu fehlen scheint, ist sein Mangel ein zufälliger oder vorübergehender Zustand.“[64] Das ist nun freilich ein weiter Sack, in den man bequem die ganze Unzahl von Beispielen des Gegenteiles stecken kann. Man sollte aber nicht als wissenschaftliches Ergebnis einführen, was bloss persönliche Ansicht sein kann; denn der Zeugnisse moderner Beobachter für einen völligen Mangel des Schamgefühls, der weder zufällig noch vorübergehend ist, sind zu viele, um sie so kurz von der Hand weisen zu dürfen. Weder für die Zufälligkeit, noch für den bloss vorübergehenden Charakter dieses Mangels ist auch nur der entfernteste Beweis zu erbringen, und so muss es denn wohl bis auf weiteres unerschüttert stehen bleiben, dass es wirklich schamlose Völker giebt, Völker, bei welchen keine Spur von Schamhaftigkeit vorhanden ist. Der grosse italienische Anthropologe Paul Mantegazza hat daher, diesen Thatsachen Rechnung tragend, den sehr vernünftigen Vorschlag gemacht, die Völker — stillschweigend will ich hinzudenken: die Menschen aller Völker — in schamlose, halbschamhafte und schamhafte einzuteilen, um damit in groben Umrissen eine aufsteigende Stufenfolge von Null bis zu einem äusserst hohen Grade schamhafter Anforderungen zu bezeichnen[65] — zweifelsohne ein weit wissenschaftlicheres Vorgehen, als die oben besprochene Verallgemeinerung.

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