ТОП просматриваемых книг сайта:
Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung. Friedrich von Hellwald
Читать онлайн.Название Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung
Год выпуска 0
isbn 4064066112547
Автор произведения Friedrich von Hellwald
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
So erklärt sich denn sehr natürlich, wie Peschel meint und ihm vielfach nachgesprochen wird, dass die überwältigende Mehrzahl der Völker „immer genau gewusst habe, was einer Hülle am meisten bedürfe.“[127] Dieses „Wissen“ ist aber nur Schein und mangelt manchen Völkern vollständig. Die ostafrikanischen Massai z. B. halten es geradezu für schändlich, die ausserordentlich grossen Attribute ihrer Männlichkeit zu verbergen und tragen dieselben vielmehr prunkend zur Schau.[128] Die Lendenschnur der Trumai Centralbrasiliens lässt in gleicher Weise gerade das unverhüllt, was nach unseren Begriffen zu verhüllen am nötigsten wäre.[129] Vielfach wird endlich der Gürtel in einer Weise getragen, welche beweist, dass jene Gewöhnung eine Folge, aber nicht der ursprüngliche Zweck solcher Schmuckverlegung sein konnte, weil der damit angeblich angestrebte Zweck nur höchst unvollkommen erfüllt wird. Daher ist auch diesem „Minimum einer Toilette“ der Name einer „Kleidung“ gar nicht zuzugestehen und die sich damit begnügenden Völker sind sittlich den völlig nackten beizuzählen. Doch lässt sich der Lendenschmuck in seiner ferneren Ausbildung als Hülle um den Mittelleib verfolgen, welche der darüber gezogene Gürtel festhält, d. h. mit dem Aufkommen von Stoffen und Zeugen entsteht das Lendentuch, dessen weitere Entwicklung zu einer Form von Kleidung hinüberführt, die in den mannigfaltigsten Stadien überall in wärmeren Himmelsstrichen den Grundstock der Bekleidung bildet.[130]
Die Schamhaftigkeit ist also nicht die Mutter der Bekleidung, vielmehr schämt sich der Mensch, lediglich dem werdenden Instinkte der Gewohnheit folgend, der Entblössung dessen, was die Gewohnheit zu bedecken pflegt, oder, mit genauer Anpassung an die Thatsachen bei den Naturvölkern: er schämt sich ungeschmückt zu zeigen, was gewohnheitsmässig auch der Ärmste zu schmücken pflegt. Und er schämt sich dessen auch nur in dem Masse, in welchem die Gewohnheit ihren Einfluss übt. Lippert, dem ich auch hier unbedingt folge, bemerkt sehr richtig: „Wir schämen uns nicht, dieses mit blosser Hand zu schreiben, aber in einer Gesellschaft Behandschuhter schämen wir uns derselben blossen Hand, und wenn wir die Blicke auf sie gerichtet sehen, entsteht in uns dasselbe Gefühl, das wir als Schamgefühl kennen.“ Ganz ebenso heftet sich das Schamgefühl der Naturvölker immer an jene Stelle des Leibes, welche ein Gegenstand des Schmuckes zu sein pflegt, ohne ursprüngliche Beachtung der betreffenden Teile an sich. Alexander von Humboldt hat gezeigt, dass der übliche Schmuck nicht einmal in einer eigentlichen Bedeckung bestehen müsse, um Schamgefühl für den betreffenden Teil zu erzeugen. Man drückte am Orinoko die verächtliche Armseligkeit eines Menschen mit den Worten aus: „Der Mensch ist so elend, dass er sich den Leib nicht einmal halb malen kann.“[131] Es ist also ursprünglich niemals der Gegenstand, der nackte Körperteil selbst, dessen man sich schämt, sondern der Mangel des üblichen Schmuckes und dann jene Nacktheit, die dadurch entsteht.[132]
Ist die Sitte der Körperverhüllung also wohl nicht zum wenigsten der Lust am Schmuck und der Prunksucht entsprungen, so kam ihr in rauheren Gegenden das Bedürfnis nach Schutz des Leibes gegen die Unbilden der Witterung zweifelsohne unterstützend zu Hilfe. Schon an den Orang-Utan auf Borneo nimmt man die Neigung wahr, gern und anhaltend mit Decken, alten Kleidungsstücken, Matten u. dgl. zu spielen; sie ziehen dieselben über Kopf und Rücken, wickeln sich in sie ein oder untersuchen mit grosser Aufmerksamkeit ihr Gewebe. „Mitunter, wenn ich sie auf diese Weise beschäftigt sah,“ bemerkt Dr. Mohnicke, „stieg der Gedanke in mir auf, als spreche sich hierin bei ihnen das erste, freilich noch ganz dunkle und unbestimmte Verlangen oder Bedürfnis nach Kleidung aus;“[133] und ich glaube, der nämliche Gedanke wird sich bei den meisten einstellen, welche einmal in unseren Tiergärten den in ganz menschlicher Weise sich in warme Decken hüllenden Schimpanse beobachteten. Wo das Bedürfnis zur Kleidung zwingt, hat die Schamhaftigkeit an ihr abermals keinen Anteil. Dies zeigt sich an den gut verhüllten Maori Neuseelands,[134] wie an andern Völkern. Die Eskimo, zu Winterzeiten bis zum Gesicht in Pelz gehüllt, legen gleichwohl in ihren unterirdischen warmen Bauten ihre Kleidung völlig ab, nach Emil Bessels mit Ausnahme der kurzen Höschen; die Kleinen gehen aber nicht selten splitternackt.[135] Von den meist völlig nackten Feuerländern wissen wir, dass sie gegen die Kälte Pelze an einer um den Hals gehenden Schnur auf einer Schulter tragen und abwechselnd von einer Seite auf die andere werfen, wobei der übrige Leib völlig unbedeckt bleibt. Ein Gefühl der Scham macht sich aber bei keinem der Geschlechter bemerkbar.[136] Ebenso gelangen bei den nackten Australiern manchmal Schürzen aus Baumrinde oder Fellen zur Anwendung, aber nur zum Schutze beim Durchschreiten dorniger Gebüsche, niemals aus Schicklichkeitsgründen. Den vor einigen Jahren in Europa gezeigten Australiern aus Queensland sprechen aufmerksame Beobachter jegliches Schamgefühl ab.[137] Im gleichen Sinne berichtet Johnston von den schon oben angeführten Wataweita in Ostafrika: „Alle Kleidung, die sie tragen, dient nur als Zierrat oder zum Schutze gegen die Kälte in der Nacht und am Morgen.“[138]
Geleugnet soll nicht werden, dass die Bekleidung ihrerseits zur Erweckerin der Schamhaftigkeit wird oder werden kann, aber bloss mittelbar, indem sie als Putz aufgefasst, die Eitelkeit und Prunksucht aufstachelt. Je wohlhabender in Westafrika z. B. ein Neger ist und je mehr er mit Europäern oder andern Kulturvölkern in Berührung kommt, einen desto grösseren Wert pflegt er auf die ausgiebige Verhüllung seines Körpers zu legen, bis schliesslich mit dem Christentume oder dem Islâm auch die europäische oder orientalische Kleidung ihren Einzug hält. Setzt der männliche Neger einen Cylinder auf und verbreitert das Weib die Hüftenschnur zu einem Hüftentuch oder zieht sogar das Hüftentuch bis über die Brust hinauf, so geschieht das zunächst nur aus Prunksucht, die demnach als Vorläuferin der Schamhaftigkeit zu betrachten ist und ihr die Wege ebnet.[139] Auch die Marava-Negerinnen bedecken sich mitunter den Busen mit einem Tuche, doch nur aus Eitelkeit und wenn sie mager sind, denn das afrikanische Schönheitsgefühl verlangt, dass die Brüste der Weiber bis auf den Nabel herabhängen.[140] Wie die Bekleidung die Schamhaftigkeit fördert, lehrt das Beispiel jener zwei Baenda-Mädchen, welchen Livingstone Kleider anlegte und die nach vierzehn Tagen schon sogar den Busen bedeckten, wenn man durch ihr Schlafgemach ging. Ein junger Mincopie (Andamaneninsulaner), welcher von den Engländern gefangen und in Kleider gesteckt, eine Zeitlang in Kalkutta sich aufhielt, musste sich dort einer photographischen Verewigung unterziehen. Als man ihm dabei zumutete, sich in seinem nationalen Kostüm zu zeigen,