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Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung. Friedrich von Hellwald
Читать онлайн.Название Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung
Год выпуска 0
isbn 4064066112547
Автор произведения Friedrich von Hellwald
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Unzweifelhaft bezeichnet das Erwachen des Bedürfnisses nach Kleidung bei jeder Völkerschaft eine gewisse Erhebung; fraglich muss es aber doch nach den bisherigen Ausführungen bleiben, ob wirklich, wie Peschel will, dieses Bedürfnis erst mit dem „Bewusstsein einer höheren Würde“ erwache und namentlich ob es das „Bestreben“ verkünde, die Scheidewand zwischen Mensch und Tier zu erhöhen.[143] Ein solches „Bestreben“ sollte doch in gesteigerter Sittsamkeit und Keuschheit seinen nächsten Ausdruck finden. Dem ist aber nicht so, und halb oder ganz bekleidete Völker thun es in dieser Beziehung nackten Stämmen häufig gleich. Ja, die völlig nackten Wakawirondo in Ostafrika sind z. B. wahre Engel der Keuschheit gegenüber den schamhaft verhüllten Massai, ihren Nachbarn, bei denen die Zügellosigkeit in der unverschleiertsten Form verbreitet ist.[144] Die gut bekleideten japanischen Mädchen besitzen unter anderen Spielen auch das der „Wunderschachtel“, aus der rosenrot gefärbte, erhobene Phallus hervorspringen. Der gewissenhafte russische Naturforscher Nikolaus v. Miklucho-Maclay, welcher so viel für die Entschleierung Neuguineas geleistet, berichtet, dass die australischen Eingebornen, wenn von Europäern aufgefordert und wenn Weiber bei der Hand sind, gegen eine geringfügige Belohnung durchaus kein Bedenken finden, am hellen Tage vor Zuschauern auszuüben, was selbst niedrige Rassen sonst mit dem Schleier des Geheimnisses zu umhüllen pflegen. Europäer, beim Zusammentreffen mit Eingebornen in fernen Bezirken, gönnen sich nicht selten „zum Spass“ für ein Glas Gin dieses Schauspiel.[145] Die Australier sind nun allerdings nackt, aber ein gleiches Beispiel von Schamlosigkeit bewahrt auch von einem wohlgekleideten Volke kein geringeres Buch als die Bibel, wo sie von den Juden erzählt: „Da machten sie Absalom eine Hütte auf dem Dache, und Absalom beschlief die Kebsweiber seines Vaters vor den Augen des ganzen Israel.“[146] Noch vor einem Jahrhunderte wurden auf Tahiti, wie Cooks Reisebegleiter sahen, die Umarmungen öffentlich vor aller Augen vollzogen, unter gutem Rat der Umstehenden, namentlich der Weiber, worunter die vornehmsten sich befanden. Ähnliches erlebte La Pérouse auf Samoa.[147] Bei den Malayen der Philippinen geschieht dies nach Cañamaque gleichfalls angeblich ganz ungescheut auf offener Strasse; desgleichen heute noch auf dem Eilande Peling, dem grössten in der Banggai-Gruppe östlich von Celebes.[148] Auf den Andamanen verlangt endlich die Sitte, dass die Frauen der nackten Mincopies gar öffentlich gebären müssen;[149] aber auch in Kamtschatka, wo doch das Klima eine starke Bekleidung erheischt, gebären die Frauen ohne jegliche Scheu in Gegenwart der sämtlichen Ostrogbewohner, ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes. Man sieht, dass die Kleidung an sich keinen Unterschied in dem sittlichen Verhalten der Völker bewirkt.
Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, dass die Schamhaftigkeit nichts Ursprüngliches, sondern ein Erzeugnis der Erziehung des Menschengeschlechts, und zwar sowohl der persönlichen wie der allgemeinen im Laufe der Jahrtausende ist,[150] ein jüngerer, gesellschaftlicher Instinkt und, wie alle zarten Gefühle, eine moralische Zierde, welche der Mensch nur langsam und spät erworben hat. Deshalb verschwindet sie auch wieder rasch und leicht, sowie Gefahr, Krankheit oder dergleichen hereinbrechen. Nichts anderes als die Ausgeburt einer von der Geisteskrankheit seiner Zeit angesteckten Phantasie, als eine widernatürliche Ungeheuerlichkeit, vermag ich daher in dem Gedanken Bernardins de Saint-Pierre zu erblicken, der in seinem vielgepriesenen Buche „Paul und Virginie“ die Heldin den Untergang in den Wellen der Verletzung ihres Schamgefühls durch, nebenbei gesagt, recht überflüssiges Entkleiden vorziehen lässt. Wie wenig Schamhaftigkeit der menschlichen Natur als solcher eigen ist, haben wiederum recht schlagend die modernen hypnotischen Versuche dargethan, bei welchen die züchtigsten Frauenzimmer das Gefühl der Schamhaftigkeit verlieren und, wenn man ihnen eine entsprechende Idee suggeriert, Akte eines offenbaren geschlechtlichen Cynismus begehen.[151]
Nur aus der sekundären Natur dieses Instinktes erklären sich endlich die erstaunlichen Rösselsprünge, welche das mehr oder weniger entwickelte Schamgefühl macht. Bei den sehr wenig bekleideten Mortlockinsulanern geht die Wahrung des äusseren Anstandes so weit, dass man in Gegenwart einer Frau, deren Stammesgenosse zugegen ist, sich nicht erlauben darf, irgend welche freien Redensarten zu führen, ja man darf dann nicht einmal das Wort Nabel, Bauch, den Namen des Gürtels, „Kinsak“, oder des die Hüften deckenden „Arvar“ nennen. Ein Europäer, durch das geschickte Muster des letzteren oder die gelungene Ausführung des Kinsak zu einem Ausdruck der Bewunderung verleitet, würde argen Anstoss erregen; die beiden Stammesgenossen würden sich schamrot abwenden und den unschuldigen Fremdling verachten. Würden die Gegenstände seines Lobes sich aber nicht an dem Leibe der Frau befunden, sondern etwa auf der Erde gelegen haben, so würde deren Nennung kein Vergehen gegen den Anstand gewesen sein.[152] Auf den Markesas schämt man sich durchaus nicht nackt zu gehen, aber es gilt für äusserst unanständig, das Praeputium nicht zuzubinden; ebenso auch auf Neuseeland und auf vielen andern Inseln der Südsee, wo die sonst ganz nackten Männer es schamlos fänden, sich ohne den Bambubehälter, das zusammengerollte Blatt, den Kürbis oder die Muschel (Bulla ovum) zu zeigen, in denen sie das Geschlechtswerkzeug verstecken. Dasselbe gilt von den sonst ausschweifenden Patagonen. Die Tubariweiber in Mittelafrika gehen ganz nackt bis auf einen schmalen Leibriemen, an welchem ein nur nach hinten herabhängender Zweig befestigt ist, bei dessen Verlust sie in Gesellschaft von der äussersten Scham ergriffen werden.[153] Die sehr mässig bekleideten Hottentottinnen tragen stets ein Tuch als Haube auf dem Kopfe und manche lassen sich durch nichts bewegen, es zu entfernen; umgekehrt erachten es die Palauinsulanerinnen für unanständig, einen Hut aufzusetzen. Der Schamhaftigkeit mancher Malayenvölker ist Genüge geleistet, wenn nur der Nabel bedeckt ist. Für eine grosse Frechheit wird es in dem alten Kulturlande China angesehen, wenn eine Frau einem Manne ihren künstlich verkümmerten Fuss zeigt; ja es ist sogar unschicklich von ihm zu sprechen und auf züchtigen Gemälden bleibt er immer unter dem Kleide versteckt. Die Frauen der germanischen Langobarden hielten sich ebenfalls für tötlich beschimpft, wenn Männer ihre Füsse bis zu den Knieen sahen; feine Europäerinnen denken heute über diesen Punkt viel weniger strenge.
Was aber einer grossen Reihe von Völkern am allermeisten der Verhüllung bedürftig erscheint, das ist das Antlitz der Frau! In Maskat sieht nicht einmal mehr