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Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung. Friedrich von Hellwald
Читать онлайн.Название Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung
Год выпуска 0
isbn 4064066112547
Автор произведения Friedrich von Hellwald
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Wie alt aber die Sitten der Kulturarmen auch sein mögen, sie bekunden sicherlich schon einen unermesslichen Fortschritt gegenüber den ersten Anfängen der Urzeit. So weit wir die Geschichte rückwärts zu schauen vermögen, überall sind selbst die rohesten Menschenhorden im Besitze der Sprache, der einzigen hohen Schranke zwischen Mensch und Tier. Wie lange aber es gedauert, ehe der sprachlose Urmensch (Homo alalus) zum redenden Wesen sich entwickelte, entzieht sich jeder Berechnung. Auch die rohesten Wilden der Geschichte wie der Gegenwart haben teil an den eigenartigen Gütern der Menschheit und erweisen ihre Zusammengehörigkeit durch die Kunst, Nahrung, Obdach, Schmuck und Kleidung zu bereiten, Nährpflanzen zu ziehen, Nutztiere zu züchten und höchst zweckmässige Geräte und Waffen zu verfertigen. Alle Wilden kennen ferner, wenn auch in mehr oder weniger ausgebildetem Grade, die Zählkunst, den Ausdruck der Gemütsbewegungen durch Lachen und Weinen, durch Gesang und Musik, durch Spiel und Tanz. Sie sind vertraut mit dem Austausche der Freundschaft, mit Begrüssungs- und Höflichkeitsformen, sind der Mode und Etikette unterworfen, feiern zum Teil Geburts-, Hochzeits- und Totenfeste, halten Ernte- und Siegestänze. Alle haben zum mindesten einen gewissen Schatz abergläubischer Vorstellungen, welche der genügsame Forscher als die ältesten Spuren von Religion betrachtet, alle kennen und üben den Krieg. Sie leben endlich, wenn auch auf unterster Stufe, horden- und familienweise, haben einen Begriff von Eigentum und Sitten, welche die Begegnung der Geschlechter und die Hinterlassenschaft der Verstorbenen regeln, besitzen in ihren Stammessatzungen eine Art Rechtsgemeinschaft, stehen meist unter einer Obrigkeit und haben auch einigen Anteil am Ruhme der Erfindungen. Es bedarf wohl keiner weiteren Ausführung, dass die Gesittungshabe der Urzeit im Sinne der Entwicklungslehre eine beträchtlich geringere gewesen sein müsse. Die Sitten niedrigster Menschenstämme der Jetztzeit können daher als eine Art Grenze gelten, hinter welcher noch die Urzeit liegt, und in diesem Sinne ist deren Heranziehung bei urgeschichtlichen Betrachtungen ganz unerlässlich. Nicht als Vertreter urzeitlicher Zustände, sondern bloss als Wegweiser zu denselben haben sie zu dienen. Ist diese oder jene Sitte an der dermaligen äussersten Kulturgrenze nachweisbar, so spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Urzeit noch hinter derselben zurückgeblieben, im günstigsten Falle sie erreicht hat.
Nimmt man im Gegensatze zu der ganz unbewiesenen und unbeweisbaren Behauptung eines goldenen Zeitalters mit einem vollkommenen Urvolke eine natürliche Entwicklung, eine schrittweise Vervollkommnung namentlich der geistigen Fähigkeiten, sowie der sittlichen und geselligen Ausbildung des Menschen, als das Wahrscheinlichere an, so dürfen wir deshalb den ursprünglichen Zustand desselben in der That als einen tierähnlichen denken. Aber auch nur einen tierähnlichen, keinen tierischen mehr. Nur durch fortgesetzte, von äusseren Einflüssen begünstigte Veredlung konnte der Mensch aus seinen tierischen Vorfahren hervorgehen. Der Mensch im gewöhnlichen Sinne kann nur ganz allmählich entstanden sein, so dass er schon da war, als er noch nicht da war und umgekehrt, mithin der Ausdruck: „erster Mensch“ ein ungereimter ist. Einen ersten Menschen hat es niemals gegeben.[43] Ich will, weil dies hier überflüssig, nicht näher eingehen auf die früheren Urerzeuger des Menschen, wie sie Darwin auf Grund seiner Studien ahnt,[44] sondern nur betonen, dass der sprachlose Urmensch auch damals schon das höchstentwickelte und höchstgestiegene Lebewesen war, also in der organischen Welt an derselben Stelle stand wie auch heute, nämlich an der Spitze aller Geschöpfe. Gleichwohl ist die Annahme eines solchen Wesens und seiner allmählichen Entwicklung, seiner ethischen Menschwerdung, den Gläubigen aller Schattierungen höchst widerwärtig. Ihm vor allem gilt ihr Sturmlauf. Sie klagen und jammern, dass der Paradiesesmensch, „jene schön verzierte und tiefsinnige Initiale der biblischen Urgeschichte, dem hässlichen Bilde eines affenartigen Wilden weichen müsse, der an der Spitze der materialistischen Urgeschichte sich als Lehrer der Civilisation spreizt“.[45] Auch hierin liegt wieder eine der beliebten Verdrehungen. Nie und nirgends ward der „affenartige Wilde“ als „Lehrer“ der Civilisation, sondern lediglich als deren Ausgangspunkt dargestellt. Ein Ausgangspunkt ist aber kein Lehrer. Vollends frivol ist die Anschuldigung, dass die angebliche Verdrängung „um der religiösen Bedeutung und Lieblichkeit willen“ stattfinde. Die ernste Wissenschaft kennt kein anderes Ziel als die Erkenntnis der Wahrheit. Dem Glauben tritt sie nicht als solchem entgegen, dort wo er sich ausserhalb ihrer Sphäre bewegt. Sie lässt sich bloss nicht vom Glauben die Pfade vorschreiben, auf welchen sie ihrem Ziele entgegenschreitet. Endlich verlohnt es sich zu prüfen, wie sich denn „die schön verzierte und tiefsinnige Initiale der biblischen Urgeschichte“ zu dem Bilde verhält, welches die moderne Forschung vom Urmenschen entwerfen zu dürfen glaubt.
Der Urmensch, dem zuerst die Sprache fehlte, war auch lange nach Entwicklung dieses Vermögens ein nach unseren Begriffen unbeholfenes und hilfloses Wesen. Es wusste nichts von Obdach und Kleidung; das Feuer war noch nicht erfunden, seine Nahrung also eine vegetabilische, den Früchten der Bäume und Sträucher entnommen. Er hatte keine Waffen und kein Gerät. Es gab kein Eigentum. Fürsorglosigkeit ist eines seiner Merkmale. Auch später noch führt er den Kampf unmittelbar mit der Natur. Das Sinnen um die Erhaltung des Lebens, das Ringen um die tägliche Nahrung, die Abwehr der natürlichen, ihn stets und von allen Seiten her bedrohenden Feinde nimmt ihn völlig in Anspruch. Keine Spur von höheren geistigen Interessen ist noch bei ihm zu finden. Kein religiöser Begriff erhellt sein Dasein, moralische Regungen sind noch nicht vorhanden. Vermutlich fand er sich bald in kleinen Truppen zusammen, um so den Kampf ums Dasein, in dem er allein wegen seiner natürlichen Hilfslosigkeit nicht bestehen konnte, auf die Gesellschaft abzuwälzen. Aber roh und tierisch in ihrem Wesen gleichen einander die Genossen der Horde. Arm und inhaltsleer verrinnt ihr Leben. Keiner hat Gedanken, die er