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aber er vermutete richtig, dass Steve im Mittelpunkt stand. Vermutlich erzählten sie einander von ihren Erlebnissen mit ihm. Da er allgemein beliebt und für jeden Spaß zu haben gewesen war, gab es wahrscheinlich jede Menge zu erzählen.

      Brian hätte sich gern zu der kleinen Gruppe gesellt, um seine Geschichten über Steve auszuplaudern und ihn so in Erinnerung zu behalten, doch Mr. und Mrs. Baxters luden sie in ein ruhig gelegenes Restaurant ganz in der Nähe des Friedhofes ein. Bei Tisch wurde kaum ein Wort gewechselt. Es gab kein passendes Thema, dazu war die Stimmung zu gedrückt.

      Vom Restaurant aus fuhren Isabelle, Matthew und Brian ins Krankenhaus, um nochmals nach Joan zu sehen. Bekümmert saß Isabelle am Bett ihrer Tochter und betrachtete sie mit Tränen in den Augen. Der Besuch im Krankenhaus fiel ihr an diesem traurigen Tag besonders schwer. Sie fühlte mit Mrs. Baxter und trauerte um Steve, den sie sehr lieb gewonnen hatte.

      Matthew dagegen machte die lange Warterei wahnsinnig. Er konnte nicht länger zusehen, wie seine Tochter leblos im Bett lag und darauf warten, dass sich ihr Zustand veränderte. Er wollte etwas tun. Er wollte seiner Tochter helfen. Diese sinnlose Warterei brachte ihn zum Nachdenken und je mehr er grübelte, desto schmerzhafter wurden seine Gedanken. Immer wieder stürzten dieselben Fragen auf ihn ein: Wie lange würde sie wohl noch im Koma liegen? Würde er seine Tochter ebenfalls zu Grabe tragen müssen oder hatte sie Glück und überlebte ihren schweren Unfall? Doch wenn sie überlebte, in welchem Zustand befand sie sich dann? Wie sähe ihr Leben dann aus? Gedächtnisverlust? Lähmungen? Würde sie zum Pflegefall werden? Die Reihe der unbeantworteten Fragen war endlos und ließ Matthew kaum zur Ruhe kommen. Die Grübelei ließ ihn immer verzweifelter werden.

      Sichtlich unwohl ging Matthew durch den Raum zu seinem Sohn, der am Fenster stand, und legte die Hand auf dessen Schulter. „Begleitest du mich in den Park?“, bat er seinen Sohn, der darauf nickte. „Wir bleiben nicht lange, Liebling“, sagte Matthew zu seiner Frau, berührte sachte ihre Hand und folgte dann Brian auf den Gang hinaus. Schweigsam verließen sie nebeneinander die Intensivstation und gingen die Gänge des Krankenhauses entlang. Am Hinterausgang traten sie durch die doppelseitige Glastür hinaus ins Freie und folgten langsam den Sandwegen des kleinen Parks.

      Es war Brian, der nach einer Weile zu erzählen begann. „Gestern Abend habe ich Joan Geschichten aus unserer Kindheit erzählt. Wir hatten soviel Spaß miteinander. Ich erinnere mich an ihr frohes Lachen, an ihre leuchtend, blauen Augen.“

      Matthew lächelte. Genau diese blauen Augen waren jedes New Yorker Weihnachtsfest riesengroß geworden. Neugierig hatte sein kleines Mädchen ihre Geschenke ausgepackt. Ihre Augen hatten zu leuchten begonnen, wenn sie eine Puppe in ihre Arme schloss oder ihr erstes Fahrrad aus der Packung hüllte. Stolz hatte Matthew sie dabei beobachtet.

      „Es ist sehr schwer für mich, deine Schwester dort drinnen liegen zu sehen“, gestand Matthew seinem Sohn. „Zu wissen, dass ich nichts für sie tun kann... bricht mir das Herz.“

      Brian verstand nur zu gut, was sein Vater meinte. „Manchmal bedrückt mich ihr Anblick so sehr, dass ich aus ihrem Zimmer fliehen muss. Dann gehe ich hier im Park spazieren und ordne meine Gedanken.“

      „Ich will sie nicht verlieren...“

      „Wir werden sie nicht verlieren, Dad. Sie wird wieder aufwachen.“ Davon war Brian vollkommen überzeugt. Er bemühte sich, jegliche Gedanken, die zwangsläufig mit dem Tod seiner Schwester zusammenhingen, zu verdrängen. Für ihn stand fest, dass sie aufwachte. Es war nebensächlich, wann sie ins Leben zurückkehrte und in welchem Zustand sie sich dann befinden würde. Seine Liebe zu ihr würde nie geringer werden.

      Am nächsten Tag brachte Brian seine Eltern und Rachel zum Flughafen. Sie würden fast zur selben Zeit fliegen, nur ihr Ziel war ein anderes. Zuerst verabschiedete sich Brian von Rachel, die in einigen Tagen zu ihm zurückkehren würde, dann begleitete er seine Eltern zu ihrem Flugzeug.

      „Du weißt, dass wir nur ungern zurück nach New York gehen... Dr. Cooper sagte, wir können nichts für sie tun“, erklärte Isabelle mit Tränen in den Augen zu ihrem Sohn.

      Enttäuscht sah Brian seine Mutter an. Er wusste von Matthews dringender Abreise, da dessen Anwesenheit in New York benötigt wurde, doch hatte er gehofft, dass zumindest seine Mutter noch eine Weile in Los Angeles bleiben würde.

      „Du könntest dich zu Joan setzen und ihr etwas erzählen...“

      „Schatz, ich glaube nicht, dass sie mich hören kann.“ Liebevoll strich sie ihm mit der Hand über die Wange, beugte sich zu ihm und hauchte einen Kuss auf seine Wange. „Wir telefonieren jeden Tag miteinander. Ich werde bald wiederkommen“, versprach sie ihrem Sohn. „Pass gut auf sie auf.“

      „Das werde ich, Mom“, sagte er leise und umarmte seine Mutter zum Abschied ein letztes Mal. Schließlich sah er zu, wie ihr Flugzeug langsam auf das Rollfeld fuhr und kurz darauf in Richtung New York startete. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Brian sich einsam und alleingelassen.

      Die Tage vergingen, ehe sie richtig begonnen. Während Matthew und Isabelle mit der Sorge um ihre gemeinsame Tochter in New York bemüht waren, ihren Verpflichtungen weitgehend nachzukommen, hatte auch Brian wieder zu arbeiten begonnen. Abwechselnd verbrachte er die Nächte in ihrem Appartement in Santa Monica oder im Krankenhaus, von wo aus er zu Farleys fuhr und der Vormittag mit Besprechungen und etlichem Schriftverkehr in seinem Büro verging. Jegliche Arbeit, die er nicht zwangsweise im Büro erledigen musste, nahm Brian am Nachmittag mit ins Krankenhaus. Dort blieb er dann bis zum Abend, erzählte Joan von seinem langen Tag und arbeitete seine mitgebrachten Unterlagen durch. Unterdessen hörte Joan über den Walkman ihre Lieblingsmusik.

      Nach drei Wochen schien Joans Zustand weiterhin unverändert. Ihre sichtbaren Wunden, die Abschürfungen an Armen und Beinen sowie die Platzwunde an der Stirn, verheilten sehr gut. Wie Dr. Cooper Brian mitteilte, würden noch einige Wochen verstreichen, ehe die gebrochenen Rippen und das gebrochene Handgelenk völlig geheilt waren. Er war jedoch sehr zuversichtlich, dass dies ohne Komplikationen geschehen würde. Joans Leber schien sich allmählich zu erholen, ihre Lunge aber würde wohl erst mit der Zeit ihre volle Funktionsfähigkeit zurückgewinnen. Die einzig gute Nachricht, die sie in diesen Tagen erhielten, betraf die geplante Operation des Neurochirurgen. Anscheinend war der Druck in Joans Gehirn gesunken, sodass man vorerst auf eine weitere Operation verzichten konnte.

      Jeden Tag arbeitete die Physiotherapeutin eine Stunde lang mit Joan, damit deren Muskeln vom langen Liegen nicht erschlafften. Mit Fingerspitzengefühl versuchte sie die natürlichen Reize ihrer Patientin zu stimulieren, um sie somit ein Stück näher ins Leben zurückzubringen. Immer häufiger sah Brian der Physiotherapeutin zu, wie sie die Arme und Beine von Joan dehnte, bis sie ihm eines Tages auf seine Bitte hin die Übungen genau zeigte, damit auch er sie am Nachmittag bei seiner Schwester durchführen konnte.

      „Sie haben eindeutig den falschen Beruf gewählt“, sagte eine bekannte Frauenstimme hinter Brians Rücken, als er am Abend die Übungen mit Joan machte, die die Therapeutin ihm gezeigt hatte.

      „Lassen Sie das nicht meinen Vater hören, Schwester Claire“, sagte Brian lächelnd, bevor diese in sein Blickfeld trat und die Monitore kontrollierte. „Es gab keine Abweichung“, meinte er und deutete mit dem Kopf auf den Monitor.

      Schwester Claire lächelte. „Sie machen das sehr gut, Doktor.“

      „Alles, nur kein Arzt! Ich mag keine Krankenhäuser“, wehrte Brian ab. „Die netten Krankenschwestern selbstverständlich ausgenommen“, rettete er sich in letzter Sekunde.

      Claire lachte. „Aber Sie hätten es auch schlechter treffen können. Ich kann nur davon träumen mir von meinem Lohn ein Kleid von Farleys zu leisten.“

      „Wenn Sie das nächste Mal in der Nähe sind, Claire, schauen Sie bei mir vorbei. Ich bin sicher, wir finden etwas für Sie.“

      Sie sah ihn verschreckt an. „Mr. Farley, ich wollte Sie nicht...“

      Brian lächelte. „Ich weiß. Machen Sie mir trotzdem die Freude?“

      „Wenn ich in der Nähe bin...“, versprach sie ihm, obwohl sie nicht daran glaubte,

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