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weiß es nicht, Kleines.“

      „Lass... mich... allein...“, bat sie ihn unter Tränen.

      Zweites Kapitel

      Mit jedem Tag verbesserten sich Joans anfängliche Sprachprobleme zusehends. Die Worte kamen noch ein wenig holprig und verlangsamt über ihre Lippen, aber Dr. Cooper war angesichts der neuen Computertomographie sehr zuversichtlich, dass ihr Sprachvermögen vollständig zurückkehren würde. Einzig die starken Kopfschmerzen, unter denen Joan litt, schienen die Nachwirkung der Gehirnprellung zu sein.

      Nach einer Woche war Joans Gesamtzustand so stabil, dass Dr. Cooper seine Patientin auf die normale Station verlegte. Noch am selben Tag begann die Physiotherapeutin mit einer für Joan abgestimmten muskelaufbauenden Therapie. Gut gelaunt plapperte sie auf ihre Patientin ein und es schien sie nicht zu stören, dass sie nie eine Antwort bekam.

      Schlief Joan nicht, dann lag sie stumm in ihrem Bett, starrte an die Decke oder weinte leise in ihr Kissen. Niemand drang zu ihr durch, nicht einmal Brian, der sie täglich besuchte.

      „Du hattest einen Schutzengel“, sagte Brian leise, da sie angesichts ihrer schweren Verletzungen sehr viel Glück gehabt hatte.

      „Nein... ich hatte zwei. Steve hat mir seinen geliehen“, flüsterte Joan unter Tränen. Es war das erste Mal, dass sie mit jemanden sprach, seit sie von Steves Tod erfahren hatte. Langsam wandte sie den Kopf zu Brian herum und blickte ihn mit traurigen Augen an. „Es tut mir Leid. Ich wollte euch nicht verstoßen.“

      „Ich weiß“, sagte er sanft und nahm ihre Hand zwischen die seinen. „Du brauchtest Zeit für dich und deine Trauer.“

      „Ich vermisse ihn so...“

      „Ich weiß, Kleines... ich weiß...“

      Es war nicht nur Steves fröhliche Art, die sie vermisste, sondern auch seine wunderschönen, grünen Augen. Seinen liebevollen Blick, wenn er ihr sagte, dass er sie liebte. Es gab so viel, was sie ihm noch hätte sagen wollen, wofür sie ihm danken wollte, doch all ihre Gedanken endeten letztendlich in drei kleinen aber sehr bedeutungsvollen Worten. Ich liebe dich. Dafür war es nun zu spät. Steve würde ihr nie wieder zuhören und mit ihr lachen. Er hatte sie für immer verlassen.

      Als Dr. Cooper am nächsten Morgen zu ihr ins Zimmer kam, fragte Joan ihn erstmals, wie ihre weitere Behandlung aussah. Vor zwei Wochen war sie aus dem Koma erwacht, doch sie hatte noch keinen Fuß aus ihrem Bett gesetzt.

      „Da sowohl Ihr Handgelenk als auch Ihre gebrochenen Rippen sehr gut geheilt sind und Ihnen keine Probleme mehr bereiten, denke ich, dass die Physiotherapeutin nun mit der muskelaufbauenden Therapie beginnen kann. Sie haben sehr lange gelegen und an Gewicht verloren...“, erklärte er ihr, während er auf dem Stuhl neben ihrem Bett saß. „...deshalb werden Sie sich erst wieder Schritt für Schritt ans Laufen gewöhnen müssen.“

      „Was genau bedeutet das, Doktor? Heißt das, ich kann meine Beine nicht mehr bewegen?“

      „Mrs. Farley, Sie sind nicht querschnittsgelähmt“, klärte Dr. Cooper sie auf. „Denken Sie an eine Marionette, die sich nur dann bewegt, wenn ein Mensch an den Fäden zieht. Anstelle der Fäden haben wir Muskeln. Ihre Muskeln wurden jedoch in den vergangenen sechs Wochen kaum bewegt, sie sind erschlafft. Wenn Sie jetzt das Bett verließen, würden Ihre Beine unter der Last Ihres Körpers zusammenbrechen.“

      „Aber durch die Physiotherapie werde ich doch wieder laufen können?“, fragte sie hoffnungsvoll.

      „Anfangs werden Sie Probleme haben, aber ich versichere Ihnen, nach einigen harten Wochen Physiotherapie laufen Sie aus unserem Krankenhaus“, sagte Dr. Cooper lächelnd.

      Der März verging und bei jedem seiner Besuche fiel Brian auf, wie Joan mehr und mehr zu Kräften kam. Nach kurzer Zeit waren ihre Arme so kräftig, dass sie sich mit ihrem Rollstuhl allein fortbewegen konnte – der erste Schritt in die Unabhängigkeit. Joan verschwendete keine Zeit, arbeitete hart an sich und ihrem Körper und bald stellten sich die ersten Erfolge bei der Therapie ihrer Beine ein. Mariella, Joans Physiotherapeutin, war sehr Stolz auf ihre Patientin. Nach wochenlangem Muskeltraining konnte Joan sich mit Hilfe von zwei Krücken auf ihren eigenen Füßen halten und einige Schritte gehen. Damit hatte Joan einen weiteren Pass des Berges erklommen, doch es würden noch Wochen vergehen, bis sie den Gipfel endlich erreicht hatte.

      Neben der täglichen Therapie mit Mariella, traf Joan sich dreimal in der Woche mit einer Psychologin, der sie jedoch weitaus weniger Sympathien als Mariella entgegenbrachte. Anfangs hatte Joan sich ihr nur schwer öffnen können, was hauptsächlich daran lag, dass sie mit Fremden nicht gern über persönliche Dinge sprach. Dennoch überwand sie mit der Hilfe ihrer Psychologin ihre Angst vor dem Alleinsein. Ihr Lebenswille kehrte zurück, während der Hass, den sie zumeist auf sich selbst gerichtet hatte, allmählich verebbte. Nur noch selten, in besonders schweren Stunden, wünschte Joan sich, in jener Nacht mit Steve gestorben zu sein. Doch auch diese Gedanken wurden immer seltener.

      Es wurde April. Der Frühling beglückte sie mit warmen Temperaturen um die fünfundzwanzig Grad Celsius, sodass Joan wann immer sich ihr die Gelegenheit bot einige Stunden im Park des Krankenhauses verbrachte. Während sie mit ihrem Rollstuhl die Sandwege entlang fuhr und dann und wann anhielt, lauschte sie dem Rauschen des Ozeans. In diesen Momenten wünschte sie sich, sie könnte einfach aufstehen, an den Strand rennen und ins Wasser springen.

      Brian, der seine Schwester jeden zweiten Tag im Krankenhaus besuchte, brachte ihr jedes Mal frische Frühlingsblumen mit und stellte sie in die Vase auf ihrem Nachtschrank. Dann erzählte er Joan stundenlang alle Neuigkeiten, während sie im Park spazieren gingen oder, was nur selten vorkam, in ihrem Zimmer saßen. Beide fühlten sich an ihre gemeinsame Kindheit erinnert und genossen die Momente der Zweisamkeit.

      „Haben Mum und Dad sich bei dir gemeldet?“, fragte Brian seine Schwester, als sie auf einer Bank Platz genommen hatten, damit Joan sich etwas erholen konnte. Ihre Krücken standen hinter der Bank.

      „Ja, gestern“, antwortete sie und setzte sich ihre Sonnenbrille auf. „Dad erwähnte ein Angebot, das er dir unterbreitet hat. Worum geht es dabei?“, fragte sie interessiert.

      „Er bietet mir an, nach Europa zu gehen - Mailand. Ich soll dort die Neueröffnung unserer Filiale überwachen und diese vorerst für ein Jahr leiten.“

      „Wow! Was für ein Karrieresprung“, sagte Joan lächelnd. „Ich freue mich für dich.“ Sie wusste, dass er insgeheim immer darauf hin gearbeitet hatte, eines Tages eine der Filialen zu leiten. Einzig New York zog er dabei nicht in Betracht. Der ständige Rummel um seine Person würde ihn verrückt machen.

      „Ich würde sein Angebot gern annehmen, aber...“

      „Natürlich machst du das“, sagte Joan bestimmt. „Das ist gar keine Frage.“ Da traf sie den unsicheren Blick ihres Bruders und ahnte, warum er mit der Zusage zögerte. „Rachel? Sie weiß es noch nicht, oder?“, fragte sie sanft.

      Brian wandte den Blick von ihr ab. „Wie kann ich darüber nachdenken?“ Er seufzte. „Wir haben in L.A. unser Leben. Rachel hat einen Job, der ihr viel bedeutet. In Mailand würde sie von vorn beginnen.“

      „Vielleicht stört sie das nicht. Kam dir je in den Sinn, dass sie sich auf Italien freuen könnte? Schließlich leben ihre Eltern in Rom und sie hat sie sehr lange nicht mehr besucht.“

      Joan bemerkte, wie er über ihre Worte nachdachte und überließ ihn einige Minuten seinen Gedanken. Sie sah zu einem Pärchen hinüber, das sich auf einer Decke in den Armen lag und versuchte die schmerzvollen Gedanken an Steve zu verdrängen. Die Psychologin hatte ihr gesagt, dass eine Zeit kommen würde, in der die Erinnerungen an Steve ihr nicht zwangsweise die Kehle zuschnürten. Sie würde seinen tragischen Tod überwinden und nur noch an die schönen Augenblicke mit ihm denken, doch dazu musste sie Steve erst einmal loslassen.

      „Ungelegen käme es nicht“, sagte Brian plötzlich mehr zu sich selbst. Unbewusst hatte er die Worte laut ausgesprochen.

      „Wie

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