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ist kein Tag vergangen, an dem wir nicht miteinander telefoniert haben. Gestern Abend habe ich in New York angerufen und ihnen erzählt, dass du aus dem Koma erwacht bist. Sie werden morgen hier eintreffen.“

      Sie zwinkerte und öffnete abermals ihren Mund. Doch als ihr trotz sichtlicher Bemühungen die Worte wieder im Hals stecken blieben, zog Joan die Stirn kraus und sah ihren Bruder verzweifelt an.

      „Versuche es mit kurzen Wörtern“, sagte er ruhig, obwohl sein Herz wild schlug. In dieser Minute gingen ihm viele Dinge durch den Kopf. All die Wochen hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als das sie aufwachte. Dabei hatte es keine Rolle für ihn gespielt, wie der Zustand seiner Schwester danach sein würde. Erst jetzt machte er sich erstmals darüber Gedanken, dass durch die schwere Gehirnprellung oder das Koma geistige Schäden bei Joan entstanden sein könnten. „Lass dir etwas Zeit. Du bist gerade erst wieder aufgewacht und...“

      „Br...ria...n...”, kam es mit einem Mal leise über ihre Lippen. Augenblick verstummte er und lächelte sie an. „Dan...ke...“

      Brian standen Tränen in den Augen. „Wofür denn?“ Er hob ihre Hand an seinen Mund hinauf und küsste ihre Finger. „Du hast mir so unglaublich gefehlt...“

      „Du... mir... au...ch...“, flüsterte sie.

      Plötzlich durchbrachen seine angestauten Gefühle, seine nun ausgestandenen Ängste, das Schutzschild seines Körpers. Mit verschleiertem Blick sank sein Kopf auf die Bettdecke gegen Joans Bauch hinunter. Ihre rechte Hand fest umklammert, schloss Brian die Augen und ließ seinen Tränen freien Lauf. Da spürte er Joans verbundene Hand auf seinem Kopf, spürte, wie ihre Finger langsam über seine kurzen Haare fuhren. Es war, als wollte sie ihm zeigen, dass sie für ihn da war.

      In den nächsten Tagen schlief Joan sehr viel. Zumeist war sie nicht länger als eine halbe Stunde am Stück wach, dann schlief sie erschöpft wieder ein. Doch in dieser kurzen Zeit sah sie Brian, Rachel oder ihre Eltern an, die abwechselnd an ihrem Bett saßen, und hörte ihnen zu, wenn sie über Dinge sprachen, die sie verschlafen hatte.

      Vier Tage nachdem Joan aus dem Koma erwacht war, saß Brian am späten Nachmittag allein an ihrem Bett, las in seinen Unterlagen und wartete darauf, dass sie die Augen aufschlug. Seit einer Stunde war er bereits bei ihr, als sie plötzlich leise stöhnte.

      Brian legte die dünne Mappe auf die Beine seiner Schwester und beugte sich zu ihr vor.

      „Joan?“, fragte er leise, doch sie gab keinen Laut mehr von sich. „Hey, du hast lange genug geschlafen.“ Er beobachtete sie noch einen Moment, aber sie erwachte nicht. Schließlich widmete er sich seinen Unterlagen, doch während er dies tat, hörte er sie immer wieder leise stöhnen und sah, wie ihre Hände zuckten. „Joan, was ist denn los?“ Misstrauisch ließ er die Mappe auf seinen Schoß sinken und berührte ihre Hand. Er spürte, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. Vermutlich träumte sie.

      Mit einem Mal schlug Joan ihre Augen auf. Sie waren angsterfüllt, ließen Brian schaudern. Irritiert sah sie sich im Zimmer um. Sie fühlte sich nicht wohl, das sah Brian ihr an ihrer krausgezogenen Stirn an.

      „Hey“, sagte er sanft. „Du hast nur schlecht geträumt. Es ist alles in Ordnung.“

      „Wo... bin... ich?“, fragte sie leise.

      „In einem Krankenhaus in Malibu“, erklärte Brian und nahm ihre Hand in die seine. Da hörte er, wie hinter ihm jemand die Tür öffnete und ins Zimmer trat. Er wandte den Rücken herum und sah Dr. Cooper.

      „Was ist... mit mir... passiert?“, kam es mit sichtlicher Anstrengung aus Joans Mund, worauf Brian sich zu ihr drehte und sie mit besorgtem Blick ansah.

      „Erinnerst du dich denn nicht?“ Joan schüttelte den Kopf und stöhnte unter den Schmerzen auf, die die plötzliche Bewegung auslösten. Ihr Kopf fühlte sich an, als hätte jemand mit einem Baseballschläger zugeschlagen.

      Indessen wandte Brian den Blick zu Dr. Cooper, der am Ende des Krankenbettes stand. Seine Hände ruhten auf dem Gestänge.

      „Das ist nach einem tiefen Koma nicht ungewöhnlich“, erklärte Dr. Cooper in ruhigem Ton. Ihm war Joans Problem bereits bekannt, doch die neuerlichen Untersuchungen hatten keinerlei Hinweise auf eine Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens gegeben. Zudem waren die ersten Tests positiv ausgefallen. Joan kannte sämtliche ihrer persönlichen Daten, konnte ihre Besucher richtig zuordnen und wusste über Ereignisse aus der ganzen Welt Bescheid. Sie konnte sich an alles erinnern, nur eben nicht an den Tag des Unfalls. „Ich bin sicher, dass die Erinnerungen in einigen Tagen zurückkehren werden“, fuhr Dr. Cooper zuversichtlich fort. „Mrs. Farley, Sie haben eine sehr lange und anstrengende Reise hinter sich. Davon hat sich ihr Gehirn noch nicht erholt. Gönnen Sie sich und Ihrem Körper etwas Ruhe.“

      Für einen Moment schloss Joan ihre Augen und hörte nicht, wie der Arzt nach einem knappen Nicken zu Brian ihr Zimmer verließ. Als sie Brian wieder ansah, fiel ihm ein, dass er ihre Frage noch nicht beantwortet hatte.

      „Du hattest einen schweren Unfall“, sagte Brian, während er ihre Hand fest umschlossen hielt. „Du bist ins Koma gefallen.“

      „Wie... lange?“, presste sie leise hervor.

      „Etwas mehr als vier Wochen.“

      Joan nickte und verzog das Gesicht vor Schmerz. Sie schloss die Augen und er glaubte, sie sei wieder eingeschlafen, aber da öffnete sie die Lider und sah ihn mit sorgenvollem Blick an.

      „Kleines, kann ich etwas für dich tun?“, fragte Brian leise. Er legte seine Hand an ihre Wange und streichelte sie liebevoll, als Joan den Mund öffnete. Unsicherheit stand in ihr Gesicht geschrieben. „Sag’ mir, was dir durch den Kopf geht.“

      „Wo...“, kam es endlich über ihre Lippen. „...ist... Steeeve?“

      Der Schreck über diese unerwartete Frage musste ihm allzu deutlich im Gesicht stehen, denn plötzlich lief ihr eine einzelne Träne aus dem rechten Auge. Brian hatte umsonst gehofft. Ihr war nicht entgangen, dass Steve kein einziges Mal an ihrem Bett gesessen hatte, wenn sie aufgewacht war.

      Erwartungsvoll sah Joan ihren Bruder an, der sich überlegte, wie er die Nachricht von Steves Tod noch einige Tage hinauszögern konnte. Dr. Cooper hatte eindringlich gesagt, dass sie jegliche Aufregung von Joan fernhalten sollten. Sie brauchte absolute Ruhe. Doch der Arzt hatte vergessen ihm zu sagen, wie er Steves Tod vor ihr verbergen sollte.

      „Joan, er kann nicht zu dir kommen.“

      „Er... will... nicht“, sagte sie mit traurigem Blick. „Ich bin... nicht mehr... wie vorher.“

      „Das hat damit absolut nichts zu tun. Wenn er könnte, würde Steve dich niemals in dieser Situation alleine lassen“, erklärte Brian von seinen Worten fest überzeugt.

      Sie schöpfte neue Hoffnung. „Warum... ist er... dann... nicht... hier?“

      „Jo...“, nannte er sie sanft beim Kosenamen. „...Steve saß mit dir im Auto. Ihr hattet beide den Unfall.“

      „Wie...geht es... ihm?“, fragte sie mit sorgenvollem Blick. „Ist er... schwer... verletzt?“

      Brian, der sich unweigerlich an Steves Beerdigung erinnerte, traten Tränen in die Augen. Er wusste nicht, wie er seiner Schwester die schreckliche Nachricht mitteilen sollte. Vielleicht wäre es das Sinnvollste, wenn er sie zu ihrem eigenen Schutz belog, ihr nichts von Steves Tod erzählte.

      „Brian...“, drängte sie ihn.

      „Jo...“, begann er leise. Erwartungsvoll sah sie ihn an. Als Brian zu ihr aufblickte und sie mit traurigen Augen ansah, wusste sie, was geschehen war.

      Kaum merklich schüttelte sie den Kopf. „Ich habe ihn... in meinen Träumen... gesehen.“ Tränen liefen aus ihren Augen. „Wir sind den Weg... gemeinsam... gegangen. Hand... in Hand...bis zur... Gabelung. Er wollte... den dunklen Weg... gehen, aber ich hatte... Angst. Der andere Weg... war viel... heller und ich habe... dich gesehen.“ Sie schluchzte laut. „Plötzlich... war er... nicht mehr... bei mir. Warum... hat er mich... allein

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