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was heckst du aus?“

      „Nichts!“, log er und verkniff sich ein Lächeln. Er wusste, sie würde nicht Ruhe geben, ehe sie erfahren hatte, worum es ging.

      Joan zwickte ihm in die Seite. „Los, erzähl’ es mir!“

      „Okay, aber du hältst deinen Mund“, mahnte er seine kleine Schwester, die vor Ungeduld fast platzte.

      „Mach’ es nicht so spannend!“

      „Ich will Rachel bitten, meine Frau zu werden.“ Joans Mund blieb offen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Die Beiden lebten seit Jahren zusammen und noch nie war das Wort Hochzeit zwischen ihnen gefallen. „Ich denke schon seit längerem darüber nach. Dein Unfall hat mir den entscheidenden Anstoß gegeben“, erklärte er ruhig. „Mir ist bewusst geworden, dass plötzlich alles zu Ende sein kann. Ich liebe Rachel und ich will mit ihr alt werden.“

      „Ich freue mich, dass ich dein Anstoß gewesen bin“, sagte Joan lächelnd. „Wann willst du sie fragen?“

      „Wenn du Recht hast und wir tatsächlich nach Mailand gehen, dann werden wir ganz sicher einen Abstecher nach Rom machen und Rachels Eltern besuchen. Dort könnte ich Rachel im Beisein ihrer Eltern bitten, meine Frau zu werden.“

      „Oh mein Gott! Du willst vor ihren Eltern um ihre Hand anhalten?“

      „Rachel liebt diese alten Traditionen.“

      „Wie romantisch...“

      „Sie ist nun einmal der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich will, dass sie glücklich ist.“

      „Mit dir kann man nur glücklich werden, Bruderherz.“

      Es war, wie Joan es vorausgesagt hatte. Mit dem Tag von Rachels Zustimmung gab es unzählige Dinge bis zu ihrer Abreise Mitte Mai zu erledigen. Sie beschlossen, ihr Appartement nicht zu verkaufen, sondern einem Freund für die Zeit ihrer Abwesenheit zu vermieten, bis dieser seine eigene Wohnung beziehen konnte. Zudem kümmerte sich Rachel um eine geeignete Vertreterin ihres Postens, den sie erst nach ihrer Rückkehr wieder wahrnehmen würde, und hatte erste Kontakte zu einer Organisation in Mailand geknüpft, die sich ebenfalls um misshandelte Kinder kümmerte.

      „Hast du dir schon überlegt, was du tust, wenn du hier entlassen wirst?“, fragte Brian seine Schwester eines Aprilabends, als sie gemeinsam auf ihrem Krankenbett saßen und fernsahen.

      „Ich denke, ich werde unsere Studentenbude räumen und mir eine kleinere Wohnung suchen“, sagte sie wehmütig, da sie die Bude sehr gemocht hatte. Aber ohne Steve war es einfach nicht mehr dasselbe. Während ihres Krankenhausaufenthaltes bezahlten ihre Eltern die Miete, die Steve und Joan sich vor ihrem Unfall geteilt hatten. Eine Geste, die Joan zu schätzen wusste, aber sie hatte sie nur angenommen, weil man sonst Steves und ihre Sachen vor die Tür gestellt hätte.

      „Und dein Studium?“, harkte er nach.

      „Ich weiß nicht... Der Gedanke ohne Steve an die Uni zu gehen...“

      Verständnisvoll legte Brian seinen Arm um ihre Schulter. „Was hältst du davon, mit uns nach Mailand zu kommen?“

      Joan sah zu ihrem Bruder. „Ich soll mit euch kommen?“

      „Ich habe mit Rachel gesprochen und auch sie hält es für eine gute Idee. Nach allem was geschehen ist, brauchst du Abstand von L.A. und du hast mir immer von Europa vorgeschwärmt.“

      „Es ist dort auch sehr schön“, sagte sie lächelnd, da er wusste, wie sehr sie Europa liebte. Seit der Reise mit einer Freundin vor einigen Jahren war sie nicht mehr dort gewesen. Joan dachte einen Moment über sein verlockendes Angebot nach, ehe sie antwortete: „Ich würde euch sehr gern begleiten.“

      „Herr, dir sei dank! Sie hat ja gesagt“, sagte Brian erfreut und umarmte sie. „Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich hatte bedenken, dich allein in L.A. zurückzulassen - du machst allein nur Unsinn“, neckte er sie lächelnd.

      „Oh, du hast Recht. Ich bin ohne dich völlig unfähig.“

      „Das nenn’ ich eine Erkenntnis!“

      Während Joan in den folgenden Wochen viele Stunden mit Mariella im Trainingsraum verbrachte und immer sicherer an ihren Krücken lief, kümmerten Brian und Rachel sich um die Vorbereitungen ihrer langen Reise. Brian suchte in Mailand nach einem geeigneten Haus, das er vorerst für ein Jahr mieten wollte, kündigte die Studentenbude auf dem Campus und ließ Joans und Steves Sachen einlagern. Lediglich die Kleider seiner Schwester brachte er in sein Appartement.

      „Jedes Mal, wenn ich dich besuche, sehe ich deutliche Fortschritte“, sagte Brian Ende April erfreut zu ihr. Nach einem anstrengenden Tag im Büro war er am späten Abend außer Plan noch zu ihr gefahren und hatte soeben von ihren langen Rundgängen durch das Krankenhaus erfahren.

      „Ich möchte dir etwas zeigen.“ Ihre Augen strahlten, als sie in grauer Trainingshose und T-Shirt das Bett verließ und noch etwas unsicher langsam im Zimmer umherlief.

      „Hey, das ist ja großartig! Du brauchst deine Krücken nicht mehr“, freute Brian sich. „Seit wann kannst du so gut laufen?“

      Sie grinste. „Das sollte eine Überraschung werden.“

      „Die ist dir gelungen. Komm’ her, Kleines“, sagte Brian lächelnd und zog Joan in seine Arme. „Ich bin sehr Stolz auf dich.“

      Sie küsste seine Wange. „Es wird Zeit, dass ich hier endlich rauskomme.“

      Brian nickte zustimmend. „Mailand ist der Anfang eines neuen Lebensabschnittes.“

      Wie von Dr. Cooper angesetzt wurde Joan am ersten Maifreitag aus dem Krankenhaus entlassen. Ehe sie den Ort verließ, der für vier Monate ihr Zuhause gewesen war, dankte sie besonders Dr. Cooper und Mariella für deren Hilfe. Sie wusste, wie viel diese zwei Menschen für sie getan hatten. Dem Einen verdankte sie ihr Leben, der Anderen, dass sie an diesem Tag auf ihren eigenen Beinen das Krankenhaus verlassen konnte.

      „Ich habe die Wohnung wie du wolltest ausgeräumt und deine Sachen in unserem Gästezimmer untergestellt“, sagte Brian, als sie in sein Mercedescabrio stiegen. „Ich dachte, wir fahren gleich zu uns, damit du genug Zeit zum Packen hast.“ Am Sonntag würden sie bereits im Flugzeug nach Mailand sitzen.

      „Brian?“

      „Mhm?“ Er sah zu ihr hinüber.

      „Kannst du mich vorher... zu ihm bringen?“, bat Joan ihren Bruder leise. Nun wusste er, warum er ihr den schwarzen Rock und die schwarze Bluse mitbringen sollte, die sie angezogen hatte, ehe sie losgefahren waren.

      Brian legte seine Hand auf die ihre und nickte. „Natürlich.“

      Auf der Fahrt nach Santa Monica nahmen sie den Pacific Coast Highway. Währenddessen blickte Joan unentwegt aus dem Seitenfenster hinaus aufs offene Meer. Ihre Gedanken glitten zu jener Nacht, in der Steve und sie viel Spaß gehabt hatten. Auf der Heimfahrt hatten sie gesungen und gelacht. In Erinnerung daran rannten Tränen über ihre Wangen.

      Brian sah von Zeit zu Zeit kurz zu seiner Schwester hinüber und konzentrierte sich dann wieder auf die Strasse. Nach einer halben Stunde erreichten sie den Santa Monica Freeway, den sie wenige Minuten darauf verließen und durch ruhigere Strassen fuhren. Schließlich hielt Brian auf einem Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Friedhofs.

      „Das ist es“, sagte Brian leise, worauf Joan sich die Tränen aus den Augen fuhr, die Autotür öffnete und ausstieg.

      Mit langsamen Schritten ging sie untergehakt bei ihrem Bruder über die Wiesen des Friedhofs, entlang an hunderten Gräbern. Noch nie zuvor war sie hier gewesen, sodass sie mit klopfendem Herzen die Namen auf den Grabsteinen las, die aus dem grünen Gras ragten. Auf einigen standen frische Blumen, andere waren kahl.

      Plötzlich blieb Brian stehen. Joan sah erst ihn und dann den Grabstein zu ihren Füßen an. Ihre Augen waren auf den schlichten, weißen Stein gerichtet. Steve Baxter. Geliebter Sohn und Freund, las sie und ließ

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