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sich in aller Ruhe von Steve verabschieden konnte.

      „Selbst wenn wir geahnt hätten, dass uns nur zwei Jahre miteinander bleiben, wir hätten die Zeit nicht anders verbracht...“, flüsterte Joan unter Tränen. „Es war die schönste Zeit in meinem Leben. Die wundervollsten Momente haben wir miteinander geteilt.“ Sie führte die rote Rose an ihren Mund, küsste die Blüten mit all ihrer Liebe und beugte sich hinunter. „Ich werde dich niemals vergessen, Steve. Ich liebe dich... ich werde dich immer lieben.“ Mit zittriger Hand legte sie die Rose vor Steves Grabstein auf den Rasen. Sie stand für den jungen Mann, der an einem gewöhnlichen Januarmorgen gestorben war...

      Zwei Tage darauf landeten sie um achtzehn Uhr Ortszeit auf dem Flughafen Malpensa in Mailand. Der Chauffeur des Grand Hotel erwartete sie bereits und fuhr sie ohne lange Verzögerung ins Hotel, wo sie die nächsten Tage verbringen würden. Matthew Farley hatte zwei Suiten für seine Kinder reservieren lassen. Nachdem sie eingecheckt hatten, aßen sie im Restaurant des Hotels zu Abend. Die anschließenden Stunden bis zum Morgen verbrachte Joan allein in ihrer Suite, während Rachel und Brian ins Plastic tanzen gingen.

      Ihr Umzug in das von Brian gemietete Haus verschob sich um einige Tage, doch eine Woche nach ihrer Ankunft in Mailand betraten sie zum ersten Mal das ruhiggelegene, im viktorianischen Stil erbaute Haus. Im Erdgeschoss befand sich das geräumige Wohnzimmer mit einer beigefarbenen Eckcouch und einem Kamin. Ein langer Esstisch für acht Personen verband das Wohnzimmer und die offene Küche. Aufgrund der hohen Fensterfront, durch die man in den großen Garten hinausblicken konnte, strömte in beide Räume sehr viel Licht.

      Über eine Steintreppe am Eingang des Hauses gelangte man in den oberen Stock, der zwei Schlaf- und zwei separate Badezimmer bereithielt. Warme Braun- und Terrakottatöne verliehen dem Haus erst das richtige Flair. In dem wunderschön bepflanzten Garten gab es außerdem einen großen Pool mit Grillecke.

      Die ersten Tage verließ Joan kein einziges Mal das Haus. Sie packte ihre zahlreichen Koffer aus und begnügte sich mit dem Einrichten ihres möblierten Zimmers, indem sie es mit Bildern, persönlichen Fotos und einigen Blumen verschönerte. Am Abend, wenn Brian und Rachel nach Hause kamen, wartete ein köstliches Abendessen auf sie, doch Joan aß nie mit ihnen. Brian wollte sie zu ihnen bitten, aber meistens war ihre Tür verschlossen und auf seine Bitten, sie zu öffnen, reagierte sie nicht.

      Eine Woche nach ihrem Einzug klopfte Brian an die Tür zum Zimmer seiner Schwester und drückte die Klinke hinunter. Er hatte Glück, diesmal war sie nicht abgeschlossen. Sieben Tage waren vergangen und er hatte seine Schwester kaum zu Gesicht bekommen. Wenn er morgens das Haus verließ, schlief Joan noch und abends war ihre Tür schon geschlossen.

      Joan saß in ihrem braunen Schaukelstuhl vor der geöffneten Balkontür und blickte in den Abendhimmel hinaus.

      „Hey“, sagte Brian von der Tür aus leise. Erst da wandte Joan den Kopf zu ihm herum.

      „Hallo.“

      Brian schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf ihr Doppelbett, das mit der Kopfseite an der Wand stand und mittig ins Zimmer ragte. Nur Joan wusste, dass man in den Morgenstunden aus dem Bett heraus einen herrlichen Blick durch die Balkontür auf den Sonnenaufgang hatte.

      Besorgt musterte Brian seine Schwester. Ihm war das Foto mit Steves Gesicht in ihren Händen nicht entgangen. „Wie geht es dir?“, fragte er sanft.

      Joan zuckte kaum merklich mit der Schulter.

      „Hast du dich etwas eingelebt?“

      „Es ist ruhiger... das ist schön.“

      Er nickte. „Und was machst du den ganzen Tag über?“

      Joan zog die Mundwinkel zu einem schmalen Lächeln hoch. „Brian, ich bin alt genug. Du brauchst nicht auf mich aufzupassen.“

      „Du wirst immer meine kleine Schwester bleiben und ich habe...“ Schon einmal versagt, dachte Brian im Stillen.

      „Du hättest den Unfall nicht verhindern können“, sagte Joan, als hätte sie seine Gedanken gelesen, und streckte ihm ihre Hand entgegen.

      Brian hob seine Hände und umschloss Joans Hand mit den seinen. „Ich weiß, Schwesterchen...“, sagte er in Erinnerung an Steve bedrückt. Aber dann schob er die Gedanken an seinen Freund in die hinterste Ecke seines Gehirns. „Hast du nicht Lust dir Morgen mit uns das Geschäft anzusehen und anschließend einen Einkaufsbummel zu machen?“, fragte Brian seine Schwester hoffnungsvoll. Seit ihrer Ankunft vor zwei Wochen hatte sie außer dem Flughafen und dem Hotel noch nichts von Mailand gesehen.

      „Brian, es ist zu früh. Ich kann noch nicht unter so viele Menschen gehen. Bitte versteh’ das.“

      Er nickte. „Okay, aber du versprichst mir, dass du nicht den ganzen Tag in deinem Bett bleibst. Setz’ dich an den Pool, ließ ein Buch oder lass dich meinetwegen auch nur bräunen. Bitte!“, flehte er seine kleine Schwester an.

      Joan lächelte. „Ich verspreche es dir.“

      In der darauffolgenden Woche sollte Brian keine Gelegenheit bekommen, um ihr Versprechen zu überprüfen. Joans blasses Aussehen sprach jedoch für sich. Allem Anschein nach verbrachte sie den ganzen Tag im Haus.

      Die Tage an denen Joan allein zu Hause war, vergingen ereignislos. Ewigkeiten schienen zwischen Tag und Nacht zu liegen. Minuten verstrichen so langsam wie Stunden. In der Nacht sehnte Joan den Tag herbei, am Tag die Nächte, in denen sie manchmal von Steve träumte. Stundenlang saß sie in ihrem Schaukelstuhl am offenen Balkon, im gemütlichen Wohnzimmer oder, was in der letzten Zeit häufiger vorkam, im Garten und wartete darauf, dass es endlich dunkel wurde und die Nacht hereinbrach.

      Im Gegensatz zu Joan, konnte der Tag für Brian nicht lang genug sein. Meist war er bereits um sieben Uhr auf der Baustelle von Farleys anzutreffen, um die Arbeiten im Geschäft zu beaufsichtigen, die dank der vielen Bauleute zügig vorangingen. Während er den Vormittag im Geschäft verbrachte, telefonierte er immer wieder mit seinem italienischen Ansprechpartner Mr. Bandero, der hauptsächlich für die Einstellung des Personals zuständig war, Brian jedoch auch andere kleine Dinge abnahm, die bis zur Eröffnung am ersten Juli erledigt sein mussten. Er traf sich mit den Innenarchitekten, mit Vertretern der Werbefirma, den Geschäftspartnern des neuen Stofflieferanten, bei dem die erste Produktion ihrer Modelle beinahe abgeschlossen war, und gab den zwei bedeutendsten Zeitungen Mailands ein Interview. Als das Ereignis des Jahres wurde die Eröffnung von Farleys in Mailand angekündigt. Alle erdenklichen Leute der Modebranche und der High Society waren eingeladen worden und Brian rechnete mit regem Zulauf.

      Unterdessen suchte Rachel einige Einrichtungen in Mailand auf, die sich für missbrauchte und misshandelte Kinder und Frauen einsetzten. Es gab die unterschiedlichsten Organisationen, doch sie alle hatten dasselbe Ziel: die psychologische Betreuung der Geschädigten. Rachel sprach mit den leitenden Personen, machte zahlreiche Fotos und ließ sich ausführlich über die jeweilige Einrichtung in Kenntnis setzen. Zum Schluss versprach sie jedem Einzelnen, dass sie sie bei den nächsten Spenden in Los Angeles berücksichtigen würde.

      Neben diesen zeitaufreibenden Tätigkeiten sahen sich Brian und Rachel nur am Abend und diese wenigen Stunden gehörten dann nur ihnen.

      „Allmählich mache ich mir Sorgen um Joan“, sagte Brian eines Juniabends nachdenklich zu Rachel, als sie mit einem Glas Wein am Pool saßen. „Wir sind seit einem Monat in Mailand und sie hat kein einziges Mal das Haus verlassen.“

      „Lass ihr etwas Zeit“, sagte Rachel und schmiegte sich gegen seine Brust.

      „Steve ist erst seit fünf Monaten tot und während der Rehabilitation hatte sie kaum Zeit, um zu trauern.“

      „Sie sollte sich eine Beschäftigung suchen, um nicht zu viel nachzudenken“, sagte er und fuhr ihr mit den Fingern zärtlich über den nackten Arm.

      Rachel zog die Augenbraue hoch. „Nicht jeder Mensch überwindet seine Trauer, in dem er bis spät in die Nacht hinein arbeitet. Jeder trauert auf seine Weise.“

      „Joan entfernt sich von uns“, stellte er bekümmert fest. „Von mir...“

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