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Stimme und sah zu Joan hinunter, deren Körper nach wie vor durch Schläuche mit den Geräten verbunden war. „Ohne das alles wäre sie doch längst nicht mehr bei uns...“

      „Sag so etwas nicht, Rachel“, bat er mit brüchiger Stimme, worauf sie zu ihm aufblickte und in seinem Gesicht ihre eigene Verzweiflung wiedererkannte. Er trat zu ihr und zog sie wortlos in seine Arme. Minutenlang hielten sie sich mit den Armen umschlossen.

      „Jetzt heule ich schon am frühen Morgen“, sagte Rachel schließlich lächelnd und schniefte in ein Taschentuch.

      Brian lächelte schwach und fuhr ihr sanft über den Arm. „Kann ich etwas für dich tun?“ Erst in Rachels Armen war ihm wieder bewusst geworden, dass er in den vergangenen sieben Tagen kaum an sie gedacht hatte, so sehr war er mit Joan beschäftigt gewesen.

      „Vielleicht könntest du heute Nacht in unserem Bett schlafen.“ Sie spürte, wie Brian einen Moment lang zögerte.

      „Okay.“ Zärtlich küsste er ihre Stirn.

      „Danke“, hauchte sie an seiner Wange. „Ich gehe mich frisch machen. Kann ich dir etwas mitbringen? Einen Kaffee vielleicht?“

      „Sehr gern.“

      Eine Viertelstunde später kehrte Rachel an die Tür zu Joans Zimmer zurück und klopfte gegen die Glasscheibe, damit Brian hinauskam.

      „Mhm, der tut gut“, sagte Brian nach dem ersten Schluck entspannter. „Wie geht es deinen Kindern?“, fragte er Rachel, die als Psychologin in einem Heim in Los Angeles arbeitete, das sich um misshandelte und missbrauchte Kinder und Frauen kümmerte. Vor eineinhalb Jahren war sie zur Leiterin des Heims ernannt worden und somit für die Organisation von Präsentationen und Ausstellungen sowie für die Suche nach neuen Spendern zuständig. Die Organisation „Hilfe für Kinder in Not“ hatte in allen größeren Städten von Amerika ihre Einrichtungen, in Los Angeles führten die einzelnen Fäden zusammen. Ein Team um Rachel herum verwaltete die Spendengelder und prüfte, wo diese am Dringendsten benötigt wurden.

      „Ich glaube, besser als dir“, sagte Rachel ehrlich, da ihr die dunklen Ringe unter seinen Augen Sorgen machten. „Ich muss dich für einige Tage allein lassen. Wir haben eine Schenkung für San Fransisco erhalten. Der Spender ist Schauspieler und möchte die Übergabe mit Presse und Fernsehen abwickeln.“

      „Eine nette Geste mit persönlichen Hintergedanken“, sagte Brian spitz.

      „Brian, wir sind für jeden Dollar dankbar und nicht alle Spender wollen so geheimnisvoll wie Farleys behandelt werden.“

      „Mein Vater rühmt sich eben nicht gern mit seinem Geld. Für ihn sind andere Qualitäten wichtiger.“

      „Und deshalb mag ich ihn“, sagte Rachel lächelnd. „Um auf meine Reise zurückzukommen. Ich hatte vor im Anschluss an San Fransisco nach Washington zu fliegen, um mir den Umbau des Hauses anzuschauen und mit den Bauleuten zu sprechen. Meinst du, du kommst solange ohne mich zurecht?“ Sie hatte Verpflichtungen, aber in diesen Tagen ließ sie Brian nur ungern allein. Wenn sie nicht da war, würde er ununterbrochen an Joans Bett sitzen und kaum etwas zu sich nehmen.

      „Ich komme klar. Wann fliegst du?“, fragte er, den Blick durch die Glasscheibe auf seine Schwester gerichtet.

      „Dieses Wochenende.“ Das war in drei Tagen.

      Brian trank den Rest seines Kaffees und warf den Becher in den Mülleimer neben ihm.

      „Liebling, vielleicht solltest du dich nachher im Geschäft melden...“, begann Rachel vorsichtig, da sie wusste, was er davon hielt. „Brenda rief mich heute Morgen an und gesagt, dass einige wichtige Termine anstehen, die du unbedingt wahrnehmen müsstest.“

      „Sie ist meine Sekretärin. Sie sollte sie umlegen können...“

      „Brian, sie kann nicht alles...“

      „Ich weiß, Schatz“, unterbrach er Rachel und wandte den Blick von Joan ab. Liebevoll legte er seine Hände an ihre Hüfte und sah sie sanft an. „Es tut mir Leid, Liebling. Ich weiß, ich war in den vergangenen Tagen schwer zu ertragen.“

      „Du sorgst dich um Joan, das ist doch verständlich.“

      „Aber beinahe hätte ich dich dabei vergessen.“ Seine Hände fuhren ihren Rücken hinauf, sein Gesicht kam dem ihren näher und dann küsste er sie zärtlich. „Ich liebe dich, Rachel.“

      „Ich liebe dich auch“, flüsterte sie und genoss den Moment der Zweisamkeit. Dann löste sie sich ein wenig von ihm und sah mit betrübtem Blick zu Joan hinüber. „Mach’ dir nicht so viele Sorgen um sie. Die Ärzte tun ihr Möglichstes, damit sie wieder zu uns zurückkehrt.“

      „Ich frage mich die ganze Zeit, was dann sein wird“, sagte Brian unsicher. Ebenso wie er sich darauf freute, dass seine Schwester aufwachte, so hatte er auch Angst davor. Bisher war es ihm relativ gut gelungen die Gedanken an mögliche Lähmungen, Gedächtnisbeeinträchtigungen oder Veränderungen ihres Gehirns nicht an sich heranzulassen, aber von Tag zu Tag wurden gerade diese Auswirkungen des Komas immer wahrscheinlicher. Wenn Joan aufwachte und feststellte, dass sie gelähmt war... Wenn sie ganz einfache Dinge, wie essen, schreiben oder den Gang zur Toilette neu erlernen musste. Wenn sie sich nicht mehr an ihre Familie und Freunde erinnerte. Vielleicht nie wieder mit ihm lachte. Er wollte nicht darüber nachdenken. Es schmerzte zu sehr.

      Mitte Januar fand der Trauergottesdienst für Steve in einer kleinen, unscheinbaren Kirche in L. A. statt. Als Brian, in seinen schwarzen Mantel gehüllt, nach seinen Eltern und Rachel in die Kirche getreten war, sah er bekümmert den braunen Sarg auf dem kleinen Altar stehen. Sein Blick glitt zu dem großen Foto davor, auf dem Steve ihnen lächelnd entgegensah. Brians Kehle verengte sich. Unwillkürlich musste er an Joan denken. Falls sie je aus dem Koma erwachte, würde sie nie die Chance bekommen sich von Steve zu verabschieden. Bemüht nicht an den möglichen Tod seiner Schwester zu denken, folgte Brian seinen Eltern und setzte sich neben Rachel in die zweite Reihe.

      Alle Freunde von Steve waren gekommen. Sie saßen schweigend und unter Tränen auf den Bänken hinter den Verwandten, hielten einander an den Händen und reichten sich gegenseitig Taschentücher. Ihren jungen Gesichtern war der Verlust des Freundes anzusehen.

      Vom Schmerz gezeichnet kamen Steves Eltern den Gang entlang. Mr. Baxter stützte seine Frau, als sie langsam durch die Kirche gingen und ihre Plätze in der ersten Reihe einnahmen. Voller Trauer um ihren Sohn weinte Mrs. Baxter während des gesamten Gottesdienstes. Jeder der Anwesenden hörte ihr lautes Schluchzen. Tröstend hatte ihr Mann einen Arm um sie gelegt, doch an seiner Haltung sah man, wie schwer es auch ihm fiel, seinen Sohn in dem Sarg vor ihnen liegen zu sehen. Der Tod seines einzigen Kindes traf ihn völlig unerwartet. Niemals hatte er geglaubt, dass sein Sohn vor ihnen die Welt verlassen würde.

      Nachdem die letzten Töne von „Amazing Grace“ verklungen waren, wurden alle zum Altar gebeten, um von Steve Abschied zu nehmen. Nacheinander traten Steves Freunde vor, viele von ihnen weinten. Während sie ihre Blumen auf seinen Sarg legten, hörte man einige leise sagen: „Ich werde dich vermissen.“ oder „Du warst ein guter Kumpel.“ Bedrückt und mit gesengten Köpfen verließen sie die Kirche.

      Schließlich standen Matthew und Isabelle auf und legten einen großen Strauß weißer Rosen zu den übrigen Blumen. Unter Tränen berührte Isabelle den Sarg und ließ sich von Matthew aus der Kirche führen. Sie hatten den Freund ihrer Tochter sehr gemocht und litten unter seinem tragischen Tod. In naher Zukunft wäre Steve ihr Schwiegersohn geworden.

      „Joan hat dich sehr geliebt“, sagte Brian leise und blickte auf den mit Blumen bedeckten Sarg, indem sein Freund lag. „Egal, wo du bist, Steve... versprich mir, dass du sie nicht zu dir holst.“ Brian schloss einen Augenblick lang die Augen. Einzelne Tränen rannten über seine Wange. Als er die Augen wieder öffnete, spürte er Rachel dicht neben sich stehen. Er umschloss ihre Hand mit der seinen und wandte sich vom Altar ab. Seinen Arm um Rachels Hüfte gelegt, liefen sie schweigend den Gang entlang und traten hinaus an die frische Januarluft. Ein leichter Wind wehte über sie hinweg.

      Am Rande des Parkplatzes

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