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an, dass sie nicht mit ihrem Geld sparen musste. Ihr weinrotes Kostüm war schlicht, doch allen Anschein nach nicht sehr preisgünstig gewesen. Es passte hervorragend zu ihren kurzen, braunen Haaren und rundete ihren sanftmütigen Körper ab, der über den Gang zu schweben schien. In ihrem ganzen Wesen strahlte die fremde Frau eine vertrauenswürdige, sehr warmherzige Aura aus. Sie gehörte eindeutig zu den wenigen Menschen auf dieser Welt, die man auf Anhieb sympathisch fand.

      „Mr. und Mrs. Farley?“, fragte Schwester Claire, als sie einander gegenüberstanden und sah Matthew darauf kurz nicken.

      „Wie geht es unserer Tochter?“, fragte er die Schwester. In seinem Blick lag etwas Seltsames, etwas, das ganz und gar nicht zu seinem Erscheinungsbild passte: Furcht. Es war der sorgenvolle Blick eines Vaters.

      „Unverändert. Sie liegt auf der Intensivstation. Ich bringe Sie hin“

      Schweigend folgten sie Schwester Claire den Gang hinunter zur Intensivstation. In einem Durchgangszimmer erhielten sie die grüne Schutzkleidung, dann wurden sie an geschlossenen Türen mit Glasfenstern vorbeigeführt, hinter denen die Patienten lagen. Schließlich blieb die Schwester vor einer der Türen stehen. Als Matthew und Isabelle durch die Glasscheibe ins Zimmer blickten und ihre Tochter auf dem Krankenbett inmitten der Geräte und Schläuche sahen, erschraken sie zutiefst. Die zitternde Hand vor dem Mund sah Isabelle zu ihrem Sohn auf, der am Bett saß und die Hand seiner Schwester hielt. Rachel stand etwas abseits mit dem Rücken zu ihnen am Fenster.

      Schwester Claire spürte ihr zögern und ließ sie gewähren. Wenn sie sich an den Anblick gewöhnt hatten, würden sie von selbst ins Zimmer ihrer Tochter gehen. Leise öffnete Schwester Claire die Tür und trat ans Bett ihrer Patientin, um die Monitore zu überprüfen. Diesen Kontrollgang wiederholten die Schwestern alle fünf Minuten. Falls sich in der Zwischenzeit ihr Zustand veränderte, würden die Geräte sofort Alarm schlagen.

      Als die Schwester das Thermometer in die Hand nahm, um Joans Temperatur abzulesen, hob Brian den Kopf und sah sie fragend an. „Es ist ein wenig gesunken“, sagte sie lächelnd und schrieb eine kurze Notiz in die Akte. Dann legte sie zwei der mitgebrachten, weißen Mullbinden auf den kleinen Tisch neben dem Bett und nahm die übrigen mit, ehe sie das Zimmer wieder verließ.

      „Ich hole mir einen Kaffee. Soll ich dir eine Tasse mitbringen?“, fragte Brian seine Freundin und erhob sich von seinem Stuhl.

      „Das kann ich doch machen“, erwiderte Rachel und drehte sich zu ihm um. „Bleib’ du bei...“ Sie verstummte, als sie Brians Eltern in der Tür stehen sah.

      Augenblicklich wandte Brian sich um. „Mom!... Dad!“ Erleichterung stand in seinem Gesicht geschrieben. Er war froh, seine Eltern endlich in L. A. zu wissen. Hier bei ihrer Tochter, die noch immer nicht über den Berg war.

      „Mom...“ Mit einer langen Umarmung begrüßte er seine Mutter, der Tränen in den Augen standen, und umarmte Matthew mit einem Schulterklopfen. „Schön, dass ihr da seid“, sagte Brian und trat näher ans Fenster, damit Rachel mit einer Umarmung und einem sachten Kuss auf die Wange seine Eltern ebenfalls begrüßen konnte.

      Isabelle trat ans Bett und strich mit zittrigen Fingern über das leblose, vom Unfall gezeichnete Gesicht ihrer Tochter. Matthew stand neben seiner Frau und berührte Joans Hand.

      „Die Schwester sagte, ihr Zustand sei unverändert“, kam es Matthew leise über die Lippen.

      Brian nickte zustimmend. „Sie liegt noch immer im Koma.“

      „Hast du mit dem Arzt sprechen können?“

      „Dr. Cooper sagte, wir müssen abwarten, wie sie die nächsten Tage übersteht. Es ist ungewiss, wann sie aufwachen wird.“ Über Einzelheiten des Gesprächs mit Dr. Cooper hatte Brian seine Eltern am Telefon noch nicht aufgeklärt.

      „Wird sie durchkommen?“, fragte Isabelle schluchzend.

      Brian tat der kummervolle Blick seiner Mutter im Herzen weh. „Ihr Zustand ist kritisch. In der Nacht hatte sie hohes Fieber.“ Bemüht seine Fassung nicht zu verlieren, wandte Brian seinen Eltern den Rücken zu. „Ich weiß es nicht, Mom...“, sagte er mit feuchten Augen und blickte aus dem Fenster.

      „Ich möchte mit dem Arzt sprechen. Ist er noch im Haus?“, wollte Matthew von seinem Sohn wissen.

      Brian drehte sich zu seinem Vater um. „Soweit mir bekannt ist, ja.“ Doch er klärte ihn darüber auf, dass Dr. Coopers Zeit zumeist knapp bemessen war.

      „Nun, er wird sich für mich Zeit nehmen müssen“, sagte Matthew mit bestimmter Stimme, da er nicht vorhatte, sich mit wenigen Worten abspeisen zu lassen.

      „Wisst... wisst ihr schon, wie der Unfall geschehen ist“, fragte Isabelle, während sie sich die Augen mit einem Taschentuch trocken tupfte.

      „Wir haben vorhin mit der Polizei gesprochen“, begann Brian. „Der Fahrer des anderen Wagens war betrunken und hat wohl immer wieder die Fahrspur gewechselt. Sie hatten keine Chance...“

      „Sie?“, fragte Matthew verwundert.

      „Joan und Steve.“

      „Steve war bei ihr im Auto?“

      Brian nickte. „Die Polizisten sagten, dass er nur Sekunden zum Reagieren gehabt hätte, ehe die beiden Autos frontal aufeinander fuhren.“

      „Ist er schwer verletzt?“, fragte Isabelle und bemerkte den merkwürdigenden Blick ihres Sohnes, den er mit Rachel wechselte. „Brian, wie schlimm ist es?“

      „Mom“, sagte Brian leise und sah den leblosen Körper seines Freundes wieder vor sich, als er sich im Krankenhaus von ihm verabschiedet hatte. „Steve hat den Unfall nicht überlebt.“

      Isabelle schloss die tränenverschleierten Augen. Unbewusst verstärkte sie den Druck auf Joans Hand, so als wollte sie ihr Kraft geben. Da spürte sie Matthews Hand auf ihrer Schulter.

      Steves Verlust traf sie völlig unvorbereitet. Erst Weihnachten hatte sich die Familie, einschließlich Rachel und Steve, in New York getroffen, um die Feiertage miteinander zu verbringen. Trotz anfänglicher Abneigungen gegen die Wahl ihrer Tochter hatten Isabelle und Matthew Steve im vergangenen Jahr besser kennen gelernt und nach kurzer Zeit verstanden, warum Joan diese Wahl getroffen hatte. Steve war so ganz anders als die Männer, die sie aus New York kannte. Er lebte ein freies Leben; ein Leben, das Joan sehr schnell zu lieben lernte. Wann immer es Steves Zeit erlaubte, traf er sich mit seinen vielen Freunden oder ging abends auf deren Partys, doch dabei hatte er niemals sein Ziel, sein Medizinstudium bestmöglichst zu beenden, aus den Augen verloren. Steve, dessen Eltern ihr Leben lang für wenig Geld schwer gearbeitet hatten, kannte viele harte Seiten des Lebens und hatte sich geschworen in allen Dingen sein Bestes zu geben. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren genoss er wie kein anderer Freund von Joan den Respekt, die Achtung und das Vertrauen von Matthew Farley. Matthew hatte Steve freundlich in die Familie aufgenommen und mit der Zeit war er zum Schwiegersohn in spe geworden.

      Nachdem sie den ersten Schock über Steves Tod verkraftet hatten, ließen Matthew und Isabelle ihre Tochter ein letztes Mal in Brians Obhut, um mit dem behandelnden Arzt zu sprechen. Dr. Cooper war jedoch nicht gewillt seine Zeit mit den immergleichen Fragen einer Familie totzuschlagen. Gehetzt schüttelte er Matthew und Isabelle die Hand und informierte sie mit knappen Worten über Joans Zustand. Daraufhin wollte er sich von ihnen verabschieden, aber er hatte nicht mit einem Mann wie Matthew Farley gerechnet. Einem Mann, der es gewohnt war, dass man ihm zuhörte. Unter Geschäftsleuten galt Joans Vater als taktischer Mann, der seine Geschäfte mit viel Scharfsinn abschloss. In diesen Minuten war es jedoch die Angst in seiner Stimme, die Dr. Coopers eigentliches Vorhaben änderte.

      Wie Brian einen Tag zuvor, klärte der Arzt Matthew und Isabelle ausführlich über die schweren inneren Verletzungen und den bedenklichen Zustand ihrer Tochter auf. Des Weiteren erläuterte Dr. Cooper die möglichen Folgen des Komas, hielt aber von Spekulationen abstand, die die Verfassung seiner Patientin betraf, wenn sie aufwachen sollte. Der Hoffnungsschimmer, das dies trotz Joans schlechter allgemeiner Verfassung eintrat, war schwindend gering, doch es war das Einzige, woran sie sich in diesen Stunden klammerten.

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