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unsere Eltern“, erklärte Brian ruhig.

      „Warum sollten sie sich auch noch Vorwürfe machen? Brian, es war weder deine noch ihre Schuld. Wann begreifst du das endlich?“

      Brian erstarrte hinter seinem Schreibtisch. Er hatte nicht gewusst, dass seine Gefühle so offensichtlich gewesen waren. Immerzu hatte er versucht, sie vor ihr zu verbergen.

      „Es betrifft allein mich, also lass mich auch allein damit fertig werden“, sagte sie mit feuchten Augen und legte den Hörer auf. Obwohl er ihr gegenüber nie eine Anmerkung gemacht hatte, wusste sie von seinen Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen. Beides konnte sie nicht länger ertragen.

      Als es gleich darauf erneut klingelte, hob Joan nicht ab. Stattdessen verließ sie das Bett und ging ins Badezimmer, wo sie sich unter die Dusche stellte und das Wasser andrehte.

      In den nächsten Stunden läutete immer wieder ihr Telefon. Es war Brian, der sie über den Anrufbeantworter bat, ans Telefon zu gehen, aber während sie auf der Couch saß und seinen Worten lauschte, folgte sie seiner Bitte kein einziges Mal.

      Am Abend dann ertönte der Summer ihrer Sprechanlage. Joan, die im Bademantel im Sessel saß, stellte die Musik leiser, stand auf und ging zur Eingangstür. „Bob, was gibt es?“, fragte sie den Portier freundlich durch die Sprechanlage.

      „Verzeihen Sie die Störung, Mrs. Farley. Bei mir ist Mr. Nicholas Blake. Er lässt anfragen, ob er sie einige Minuten sprechen könnte?“

      Joan seufzte. Ein Freund Brians, der sich sicher auf dessen Drängen hin nach ihrem Wohlbefinden erkundigen sollte. „Bob, sagen Sie ihm, dass es mir gut geht.“

      „Das ist alles, Mrs. Farley?“

      „Ja. Danke, Bob“, sagte sie und hängte den Hörer in die Anlage zurück.

      Nach einer weiteren von Albträumen geplagten Nacht, in der sie mehrmals schweißgebadet aufgeschreckt war, sah Joan am Morgen in den Spiegel im Badezimmer und bedauerte die junge Frau, die sie darin erblickte. Wo war die Stärke geblieben, die sie all die Jahre so deutlich gezeigt hatte? Steves Tod, den schweren Unfall und die Rehabilitation hatte sie überwunden und überstanden, also würde sie diesen Abschnitt ihres Lebens auch bewältigen.

      „Nimm’ dich endlich zusammen, Joan Farley“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Es ist an der Zeit, dass ich mein Leben wieder in die Hand nehme.“

      Sie war fest entschlossen, sofort damit zu beginnen. Sobald sie geduscht und ausgiebig gefrühstückt hatte, zog Joan sich ihr zartrosafarbenes, geblümtes Trägerkleid an und verließ das Appartement. Ihr Weg führte sie geradewegs zu dem kleinen Friedhof. Als Joan nach so langer Zeit wieder vor Steves Grab trat, sich hinunterbeugte und die Rose vor den weißen Stein legte, verspürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben Seelenfrieden. Die Sehnsucht nach Steve und das erdrückende, schmerzende Gefühl in ihrer Brust, wenn sie an die gemeinsame Vergangenheit dachte, waren endgültig verschwunden. Sie hatte sich von ihm gelöst und sie konnte nicht sagen, was ihr mehr Angst einjagte: der fremde, doch angenehme Seelenfrieden oder die Tatsache, dass sie keinen Schmerz mehr empfand, wenn sie an Steve dachte.

      Nach ihrem Besuch auf dem Friedhof schrieb Joan sich für das kommende Semester an der University of California at Los Angeles ein. Ab September wollte sie ihr Marketingstudium wieder aufnehmen.

      Mittlerweile war Joan seit vier Wochen in Los Angeles. Ende Juni stiegen die Temperaturen weit über die dreißig Grad Grenze. Nach wochenlanger Trockenheit gab es keine Stelle, an der die Erde nicht ausgedorrt war und förmlich nach Wasser schrie. Die Strände entlang des Pazifiks waren dicht belegt. Jeder der die Möglichkeit hatte, stürzte sich in die hohen Wellen.

      Joan lief barfuss den Sandstrand hinunter und lächelte, als sie von weitem das Strandcafe sah, in dem sie bis zu ihrem Unfall mit Steve gearbeitet hatte. Das Theos war das einzige Cafe weit und breit, das einen direkten Zugang zum Strand von Santa Monica hatte. Die meisten Gäste kamen in Badehose und Bikini und wählten einen Platz an den Tischen mit den Korbstühlen, die auch draußen im Sand standen.

      „Joan!“, rief ihr die Kellnerin lächelnd entgegen und wartete mit einem vollen Tablett in der Hand, bis Joan zu ihr herankam.

      „Hey, Julie“, sagte Joan und umarmte sie kurz.

      „Seit wann bist du wieder in L.A.?“

      „Seit ein paar Wochen“, antwortete Joan und folgte ihr durch die besetzten Tische hindurch.

      „Und da kommst du erst jetzt zu uns!“ Julie drehte den Kopf zu ihr herum. „Sag’ das bloß nicht Theo. Er wird ausflippen.“

      „Ist er da?“

      Julie nickte. „Klar. Der alte Bursche steht wie eh und je hinter der Theke.“

      Joan lächelte. Das alles hatte sie in Mailand vermisst. Das Meer, den Strand, das Theos und ihre Freunde.

      Von der Tür bis zur Theke wartete eine lange Schlange, doch ungeachtet dessen ging Joan an den Wartenden vorbei und erblickte Theo hinter der Theke. Er hatte sich kein bisschen verändert. Wie immer trug er Shorts und Badeschlappen, sein kräftiger Oberkörper war jedoch wie üblich unbekleidet. Obwohl er inzwischen die Vierzig überschritten hatte, sah man ihm sein Alter nicht an. Jeden Abend, nachdem er das Cafe geschlossen hatte, ging er ins Fitnessstudio, um sich fit zu halten und am Morgen verbrachte er mindestens eine Stunde auf seinem Surfbrett.

      Gerade als Theo seinen Gästen den Rücken zugedreht hatte, trat Joan hinter die Theke, stellte ihre Tasche auf den Boden und wandte sich an ein junges Mädchen.

      „Was darf es für dich sein?“ Sogleich hörte sie sich die Bestellung an.

      „Jo!“ Überrascht sah Theo sie an. Er strahlte. „Ich dachte, du bist in Mailand!“

      „Ich habe deine Hilfeschreie bis dorthin gehört.“ Lachend umarmte er sie, aber Joan löste sich schnell aus seinen Armen. „Unterhalten wir uns später. Sag’ mir einfach, wo ich dir am Besten helfen kann.“

      Dankend nahm Theo ihre Hilfe an, da ihm seit einigen Tagen zwei Kellnerinnen fehlten. Julie und das andere Mädchen liefen sich die Hacken ab. Seit ihrer Öffnung am Mittag hatte es nicht fünf Minuten gegeben, in denen sie sich einen Moment hatten ausruhen können.

      „Erst sind sie alle heiß auf den Job“, erklärte Theo ihr nach einigen Minuten. „... dann merken sie wie hart die Arbeit ist und sind nach zwei Tagen wieder weg. Jeden Morgen bete ich dafür, dass ich nicht eines Tages alleine hier stehe.“ Er reichte seinem Gast zwei Gläser und kassierte ab.

      „Ich würde gern wieder bei dir arbeiten, Theo“, sagte Joan, während sie den Cocktail für ihren Kunden mixte.

      „Wirklich?“

      „Ich könnte schon morgen anfangen. Ich will mein Studium wieder aufnehmen. Alles wie beim Alten“, fügte sie leichthin hinzu. Da streifte ihr Blick eines der vielen Bilder an der Wand. Drei Menschen waren darauf zu erkennen. Theo, Steve und sie.

      „Wir waren ein eingespieltes Team“, sagte Theo, der ihren verstohlenen Blick bemerkt hatte. „Auf euch war immer Verlass...“

      Nach Feierabend fand Theo sie gedankenverloren an einem der Tische vor. Sie saß am Eingang in einem der Korbstühle, den Blick auf dem Foto von Theo, Steve und ihr gerichtet. Zum ersten Mal erlebte er sie nicht fröhlich, lachend oder lächelnd. Diese Seite, diese Trübseligkeit war ungewöhnlich für sie und doch hatte Theo sich längst gefragt, wie es in ihrem Herzen aussehen möge.

      „Du vermisst ihn, hm?“ Erledigt setzte Theo sich in den Stuhl neben sie. Joan wandte den Kopf zu ihm und lächelte schwach.

      „Es tut nicht mehr so weh, wenn ich an ihn denke“, sagte sie leise und verdrängte die aufsteigenden Tränen. „Aber ja... ich vermisse ihn.“

      „Ich bin da, wenn du jemanden zum Reden brauchst. Obgleich ich nicht so aussehe, ich bin ein guter Zuhörer.“ Er lächelte.

      „Ich weiß, Theo. Danke.“ Sie beugte sich hinüber und küsste seine Wange.

      Im

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