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nebenbei in dem kleinen Cafe am Strand.“

      „Das Theos?“

      „Ja, genau. Waren Sie schon einmal dort?“

      „Ein einziges Mal.“ Dr. Smith lächelte. „Ich habe zu wenig Zeit.“

      „Die sollten Sie sich aber nehmen.“

      „Das versuche ich, aber es funktioniert nicht.“ Sie klappte die Patientenakte zu und bat Joan, sich auf die Liege zu setzen. Nachdem die Ärztin ihr Blut abgenommen hatte, führte sie die gynäkologische Untersuchung durch und wurde merkwürdig still.

      Joans Lächeln verschwand und wurde durch ein ausdrucksloses Gesicht ersetzt. Sie nahm weder die tickende Uhr an der Wand, noch den Lärm auf der Strasse wahr. „Dr. Smith, ist es etwas Ernstes?“, fragte sie nach einem Moment argwöhnisch.

      „Joan, wie soll ich sagen...“ Langsam rollte die Ärztin mit ihrem Hocker an ihre Seite. Bei der Untersuchung waren ihr sofort die zahlreichen Narben in der Vagina ihrer Patientin aufgefallen, die erst unlängst genäht worden waren. Da derartige Wunden bei einem normalen Geschlechtsverkehr niemals entstehen konnten, deutete alles auf eine brutale Vergewaltigung hin. „Dir hat jemand sehr weh getan, nicht wahr?“, fragte Dr. Smith behutsam.

      Joan, die noch immer auf dem gynäkologischen Stuhl saß, wandte den Blick von ihrer Ärztin ab. Bisher war sie jedem Gespräch über diese Nacht erfolgreich ausgewichen. Sie hatte geglaubt, das Geschehene längst verarbeitet zu haben, doch erst jetzt bemerkte sie, dass dem nicht so war. Zurückblickend erkannte sie, dass sie in den vergangenen Wochen jegliche Gedanken an die Vergewaltigung mit aller Gewalt verdrängt hatte, ehe die Erinnerungen daran sie wieder zerfressen konnten.

      „Joan, ich denke, du bist schwanger“, sagte Dr. Smith vorsichtig.

      Augenblicklich riss Joan den Kopf herum. „Das ist unmöglich!“, sagte sie fassungslos und sah ihre Ärztin an, die ihr einen mitfühlenden Blick zuwarf.

      „Deine Übelkeit, die Schwächeanfälle, das Schlappheitsgefühl. Wir sollten eine Ultraschalluntersuchung machen, damit wir Gewissheit haben“, erklärte Dr. Smith ruhig, da sie sich dem Schockzustand ihrer Patientin gewahr wurde.

      Ungläubig schüttelte Joan den Kopf. „Das kann nicht sein...“

      „Wir werden es gleich herausfinden, Joan“, sagte Dr. Smith und zog das Ultraschallgerät neben den Untersuchungsstuhl. „Jetzt wird es auf deinem Bauch etwas kalt werden“, bereitete sie Joan auf das Gel vor, das sie ihr sogleich auf den Bauch schmierte.

      Während die Ärztin ihr mit der Sonde langsam über den Bauch fuhr, hatte Joan die Augen geschlossen. Tränen standen darin, die nur auf den Augenblick warteten, sich ihren Weg hinauszubahnen. Sie bekamen ihre Chance, als Dr. Smith Joan die Schwangerschaft bestätigte.

      „Ich kann es nicht bekommen! Nicht von diesem Kerl...“, sagte Joan völlig aufgelöst, nachdem sie sich wieder angezogen hatte. Ihre Gedanken spielten Achterbahn. Ihre Gefühle überschlugen sich. Mit einem Mal kehrten die Erinnerungen an Raphael so deutlich in ihr Gedächtnis zurück, dass Joan glaubte, an dem Schmerz und die Scham zu ersticken. „Was ist mit einem Abbruch?“, fragte sie mit tränenverschleiertem Blick ihre Ärztin.

      „Im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen würde ich in deinem Fall einen Abbruch sogar befürworten, aber...“ Sie sah Joan mitfühlend an. „... da du bereits in der vierzehnten Woche bist, ist es dafür zu spät.“ Dr. Smith hielt es für überflüssig, ihre Patientin zu fragen, warum sie nicht schon eher zu ihr gekommen war. So wie sie die Situation auffasste, hatte Joan die Vergewaltigung aus ihrem Kopf verbannt, statt sie zu verarbeiten. „Joan?“, begann die Ärztin erneut. „Du warst doch sicher anschließend im Krankenhaus. Hat man denn dort keine Ausschabung vorgenommen?“

      „Ich weiß nicht...“

      „Hattest du nachher wieder sexuellen Kontakt?“ Sofort schüttelte Joan den Kopf. „Warum nimmst du denn die Pille nicht mehr?“, erkundigte Dr. Smith sich, als Joan ihre Tränen mit der Hand wegwischte.

      „Ich habe sie nie gut vertragen und nach Steves Tod... Es gab keinen Grund mehr.“

      Dr. Smith nickte verständnisvoll. „Wenn du jemandem zum Reden brauchst, ich bin jederzeit für dich da.“ Sie wusste, dass sie ihre Patientin in dieser Situation nicht allein lassen durfte.

      „Was soll ich jetzt tun?“

      „So grausam es für dich klingen mag - zuerst einmal dein Baby zur Welt bringen“, sagte die Ärztin mit weicher Stimme. „Es kommt Ende März. Bis dahin wirst du dir überlegen müssen, ob du dein Leben mit deinem Baby verbringen möchtest, oder ob du es zur Adoption freigibst.“ Sie hielt einen Moment inne und sprach dann weiter. „Joan, denke immer daran, dass das Baby auch ein Teil von dir ist. Dieser kleine Mensch wird immer zu dir gehören.“

      Fünf Tage darauf lag Joan gedankenverloren in ihrem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Seit sie von der Schwangerschaft erfahren hatte, war sie weder aus ihrer Wohnung gegangen noch hatte sie das Bett verlassen. Sie wusste nicht einmal mehr, wann sie zuletzt etwas gegessen hatte.

      Mit einem Mal wurde Joan aus ihren Gedanken gerissen. Ihr Telefon klingelte. Joan, die nur Theo über ihr fortbleiben informiert hatte, stöhnte genervt auf. Es konnte nur Brian, Rachel oder ihre Eltern sein - in der Universität vermisste sie niemand - und keinen von ihnen wollte sie im Moment sprechen.

      „Joan... bitte geh’ ans Telefon“, hörte sie die besorgte Stimme ihrer Ärztin schließlich auf dem Anrufbeantworter. „Joan, bitte... Wenn du nicht abnimmst, lässt du mir keine Wahl. Ich werde die Polizei alarmieren, die notfalls deine Tür aufbricht.“

      Da griff Joan nach dem Telefon, das auf ihrem Nachttisch lag, und meldete sich.

      „Hallo“, sagte Dr. Smith erleichtert. „Wie geht es dir?“

      „Ich liege im Bett und heule.“

      „Und das mit Sicherheit seit fünf Tagen“, stellte die Ärztin fest. „Hast du jemanden mit dem du sprechen kannst?“

      „Ich muss mir selbst erst klar werden, wie ich darüber denke...“

      „Versprichst du mir, dass du zwischendurch an die frische Luft gehst? Es würde euch gut tun.“

      „Uns...“, ließ Joan sich langsam durch den Kopf gehen. Es hörte sich noch immer ungewohnt an und womöglich, so dachte sie, würde sie sich nie daran gewöhnen.

      Nie zuvor hatte sie sich mehr nach einem Menschen gesehnt, der sie in seine Arme schloss. Sie vermisste die Behaglichkeit, die sie als kleines Mädchen stets von ihrer Familie geboten bekommen hatte. Ihren Eltern, die sie fortwährend behütet aber nie in Watte gepackt hatten, und Brian, der ihr stundenlang hatte zuhören können. Der ihr liebste Mensch befand sich jedoch nach wie vor am anderen Ende der Welt und hatte trotz ihrer häufigen Telefonate keine Ahnung, wie einsam sie sich fühlte. Sie wusste, dass ihn ihre gespielte Fröhlichkeit täuschte, doch konnte sie Gespräche derartiger Wichtigkeit nicht am Telefon führen. So ließ Joan eine weitere Woche verstreichen, in der sie ihre Arbeit im Cafe und ihr Studium wieder aufnahm, ohne mit ihrer Familie über die Schwangerschaft gesprochen zu haben.

      Am Mittwoch darauf landete Rachels und Brians Maschine auf dem Los Angeles International Airport. Angesichts ihrer offiziellen Verlobung vor Rachels Eltern, stiegen sie freudestrahlend aus dem Flugzeug und fuhren auf direktem Weg in ihr Appartement, wo sie die nächsten Stunden im Bett verbrachten. Nachdem sie sogar noch zu drei Stunden Schlaf gekommen waren, klingelten sie am Abend bei Joan, die sie eingeladen hatte. Während Brian und Rachel sich die kleine Wohnung ansahen, bestellte Joan beim Chinesen.

      „Habt ihr euch schon einen Termin für eure offizielle Verlobungsfeier ausgesucht?“, fragte Joan um ein Lächeln bemüht, als sie Brian und Rachel gegenüber in dem Sessel saß und ihre Nudeln mit Stäbchen aß.

      „Darüber haben wir noch nicht gesprochen“, antwortete Rachel und lächelte ihren frisch Verlobten an. Da erzählte Brian seiner Schwester ausführlich von dem zweiwöchigen Urlaub in Rom und seinem

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