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In beiden stank es, als hätte ein Toter über Monate darin gelegen. Joan wusste, dass sie aufgrund ihres kleinen Einkommens keine große Auswahl hatte, doch deshalb wollte sie nicht in solch einem Loch wohnen.

      „Sag mir wie viel du für eine bessere Wohnung benötigst und ich gebe dir das Geld“, bot Brian ihr an, als sie ihm von der Enttäuschung erzählt hatte.

      „Ich nehme dein Geld nicht an, Brian. Ich schaffe es allein.“

      „Warum bist du nur so stur?“

      Joan lächelte. Vielleicht hatte er Recht und sie war stur. Sie aber sah es aus einer anderen Sicht. Sie wollte ohne den Rückhalt ihrer Eltern oder Brian ihr eigenes Leben führen. Und dazu gehörte auch, dass sie für sich selbst sorgte.

      Nach etwas Geduld fand Joan schließlich eine Wohnung in Venice, die ihr auf Anhieb gefiel. Sie besaß eine kleine, gemütliche Küche und ein ebenso kleines Badezimmer, das anstelle der Badewanne nur eine Dusche enthielt. Joan, die sehr gern badete, ging diesen Kompromiss ein. Das geräumige Schlaf- und Wohnzimmer dagegen besaß einen Balkon.

      Nachdem Joan den Mietvertrag unterzeichnet hatte, strich sie neben ihrer Arbeit im Cafe das einzige Zimmer ihrer Wohnung und begann es einzurichten. Zwischendurch fuhr sie immer wieder ihre Sachen, die Brian in Kartons verstaut hatte, mit dem Auto ihres Bruders in ihre erste eigene Wohnung.

      Im Juli verbrachte Joan ihren vierundzwanzigsten Geburtstag zurückgezogen in ihrer Wohnung. Im Nachthemd saß sie auf dem Bett und pustete die einzelne Kerze auf der kleinen Torte aus, die sie sich selbst am Vortag gekauft hatte. Es war das erste Mal seit Jahren, dass es keine große Feier für sie gab. Noch vor Tagen hatte sie sich vor ihrem Geburtstag gefürchtet, aber nun störte sie das Alleinsein nicht so sehr, wie sie angenommen hatte.

      „Wie geht es dir, Schwesterchen?“, fragte Brian sie, nachdem er ihr zum Geburtstag gratuliert hatte.

      „Ich fühle mich gut“, antwortete Joan lächelnd und zum ersten Mal glaubte Brian ihr. Bereits bei ihrem letzten Telefonat war ihm ihre bessere Stimmung aufgefallen. Ihre Stimme hatte glücklicher geklungen, sodass Rachel und er auf Joans Drängen hin beschlossen hatten, doch bis Anfang September in Mailand zu bleiben und anschließend nach Rom zu fliegen. Ab ersten Oktober würde Brian dann die Leitung der Filiale in Los Angeles übernehmen.

      Der August verflog wie im Wind, die hohen Temperaturen blieben ihnen jedoch standhaft erhalten. Während des heftigsten Waldbrandes in der Umgebung von Los Angeles, den Tausende Feuerwehrmänner beinahe drei Wochen lang ununterbrochen bekämpften, verloren sieben Menschen in Leben. Darunter befanden sich auch zwei Kinder, die im Wald gespielt hatten und vom Feuer eingeschlossen worden waren. Bei dem Versuch, sie aus der Flammenhölle zu retten, starben zwei Feuerwehrmänner. Als Joan in den Sechs-Uhr-Nachrichten davon erfuhr und die schrecklichen Bilder der Zerstörung im Fernsehen sah, wurde ihr übel. Sie rannte ins Badezimmer und übergab sich.

      „Obwohl es fürs Geschäft gut ist, habe ich diese Hitze allmählich satt“, stöhnte Theo, wischte sich die feuchte Stirn ab und griff nach seiner Wasserflasche.

      Joan lächelte ihn an. „Ruh’ dich aus, alter Mann. Ich übernehme die Bestellung für dich.“ Sie befüllte drei Gläser mit Orangensaft, steckte jeweils einen Strohhalm hinein und ging mit dem Tablett nach draußen. Von dort kam sie einige Minuten später mit einem befüllten Tablett zurück und erreichte gerade noch rechtzeitig die Theke, ehe sie schwankte und Theo sie augenblicklich stützte.

      „Komm’ setz dich“, sagte er im väterlichen Ton und führte sie zu einem Stuhl, auf den Joan sich wiederwillig setzte.

      „Es geht schon wieder“, beruhigte sie ihn und nahm das Glas Wasser, das Theo ihr daraufhin reichte. „Das kommt von der Hitze...“

      „Du bleibst hier sitzen, bist du wieder Farbe im Gesicht hast“, ordnete Theo an, obwohl es ihr anscheinend wirklich besser ging. „Wehe du stehst vorher auf“, sagte er und drohte ihr mit seinem Zeigefinger, worauf sie lächelte.

      In der Woche nach dem Labor Day, den sie ausgiebig im Theos gefeiert hatten, begann Joan das erste Semester nach ihrer einjährigen Pause an der Universität in Los Angeles. Mit viel Freude stürzte sie sich in ihr Studium und ließ keine einzige Lesung ausfallen. Sobald ihr Tag als Studentin zu Ende war, fuhr sie mit dem Fahrrad zum Cafe, um dort zu arbeiten, bis Theo die Türen schloss. An den Wochenenden arbeitete sie sogar von früh bis abends im Cafe, da sie nur so am Monatsende genügend Geld für ihre Miete zusammen bekam.

      „Wenn du so weiter machst, gehst du daran zu Grunde“, warnte Theo sie eines Abends, als er die Tür abschloss. Seit Tagen schon bemerkte er, wie angespannt und entkräftet sie war und nach dem heutigen Tag wollte er nicht länger zusehen. Am Morgen hatte er zufällig mit angehört, wie Joan sich in der kleinen Toilette übergeben hatte, nachdem sie einem Gast eine extra Portion Majonäse zu seinem Sandwich serviert hatte.

      „Du hast ja Recht, Theo. Im Moment habe ich ziemlich viel Stress, aber das legt sich bestimmt wieder“, war Joan sich sicher.

      Theo sah sie mit besorgtem Blick an und brummte zerknirscht, da er wusste, welch ein Sturkopf sie sein konnte. Wenn er zu diesem Zeitpunkt jedoch eine Ahnung davon gehabt hätte, dass sie sich seit zwei Wochen regelmäßig übergeben musste, dann hätte er Joan persönlich zu einem Arzt gebracht.

      An besonders heißen Tagen sehnte Joan sich den Abend regelrecht herbei, da diese letzten Stunden des Tages ihr allein gehörten. Sobald das Theos schloss, rannte sie ins kalte Wasser des Pazifiks und schwamm eine Weile, um ihre Füße und Arme zu entspannen, die von der schweren Arbeit im Cafe schmerzten. Immer häufiger fühlte sie sich schlapp und ausgepowert und die tägliche Übelkeit ließ ebenfalls nicht von ihr. Beides schob sie auf den Virus, den sie sich anscheinend vor einigen Wochen eingefangen und noch nicht überstanden hatte. Doch trotz dieser spürbaren Veränderungen ihres Körpers verringerte sie weder ihr Lernpensum noch die Stunden im Cafe. Sie stürzte sich in beide Arbeiten, bis sie schließlich im Theos zusammenbrach.

      „Du siehst nicht gut aus, Joan“, sagte Theo, nachdem sie wieder zu sich gekommen war und er sie zu einem Stuhl in der Küche geführt hatte, und betrachtete bekümmert das blasse Gesicht seiner jungen Freundin.

      Sie lächelte schwach. „Ein nettes Kompliment.“

      „Ich meine es ernst, Jo. Du solltest dich gründlich durchchecken lassen“, meinte er mit väterlich besorgter Stimme.

      „Ich habe mir einen Virus eingefangen, der mich etwas schwächt“, tat sie ihren Zusammenbruch leichthin ab.

      „Dein Virus ist sehr hartnäckig“, gab er jedoch zu bedenken, da die ersten Anzeichen beinahe vier Wochen zurücklagen. „Du solltest das von einem Arzt abklären lassen.“

      „Okay, ich lasse mir einen Termin geben.“

      „Und lässt damit Wochen verstreichen? Nein, du gehst sofort zum Arzt und wartest dort, bis man dich untersucht. Vorher will ich dich hier nicht sehen.“

      „Aber...“

      „Kein aber!“, sagte Theo entschieden und duldete keinen Widerspruch.

      Noch am selben Nachmittag saß Joan im vollen Wartezimmer ihrer Gynäkologin und wartete darauf, dass sie endlich aufgerufen wurde. Als dann schließlich ihr Name durch die Sprechanlage drang, stand sie auf und betrat das Untersuchungszimmer, wo Dr. Smith sie lächelnd begrüßte.

      „Hallo Joan. Du warst lange nicht mehr bei mir“, sagte die hochgewachsene, schwarzhaarige Frau, die die Vierzig erst knapp hinter sich hatte, und schloss hinter ihnen die Tür.

      „Ich war in Europa“, erklärte Joan und nahm auf dem angebotenen Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz. Seit ihrem Umzug nach L. A. war Dr. Smith nicht nur ihre Frauenärztin, sondern auch die erste Ansprechpartnerin bei allen anderen medizinischen Problemen.

      „Ich war vor einigen Jahren in Europa, Paris. Es war wunderbar“, sagte die Ärztin in Erinnerung daran lächelnd und klappte die Akte ihrer Patientin auf. „Nun, was führt dich zu mir? Die üblichen Untersuchungen?“

      „Ich

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