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      Doch Claudius interessierte sich mehr für die verlassenen Anwesen. „Wann wurden die Hütten verlassen, Johannes, was denkst Du?“

      „Nun, Herr, dem Staub auf dem Boden der Hütten nach, vielleicht vor vier bis fünf Tagen.“

      „Beide Anwesen?“ „Ja, Herr.“ „Und was ist Dir sonst in den Hütten aufgefallen?“

      Johannes erinnerte sich an seine Wahrnehmungen. „Die Hütten waren vollständig leer. Keine Möbel, keine Gebrauchsgegenstände, nur kahle Wände und Ziegeln auf den Dächern.“ „Du bist ein guter Beobachter, Johannes. Was sagst Du, Bezalel?“

      „In beiden Hütten, im Bereich der Feuerstellen, waren ungewöhnliche, kleine Formen auf die Wände gemalt,“ sagte Bezalel. „Zwei flache Rundbögen offen zueinander, mit Kohle gemalt, vor den rechten Enden der Linien überkreuzten sich allerdings die Striche, für mich sah es aus wie ein schmales, geschminktes Auge einer Frau.“

      „Hast Du die Zeichen auch gesehen, Johannes?“ Fragte Claudius. „Ja, Herr, doch ich dachte mir nichts dabei.“ Bezalel ging zu den Feuerstellen, nahm von einem Rand ein warmes Stück Holzkohle und er malte das Zeichen, das er gesehen hatte, auf den Fußboden. „Sieht für mich eher nach einem Fisch aus, Bezalel,“ sagte Jeschua, „einer der Fische, die im Galiläischen Meer gefangen werden können.“

      „Ja,“ sagte Rebecca, „das sieht aus, wie eine Sardine.“ Sie war es nicht gewohnt, ungefragt zu sprechen und sie wollte sich entschuldigen, doch Jeschua lobte sie für ihren Beitrag. „Hat jemand von Euch dieses Zeichen schon irgendwo gesehen?“ Fragte Claudius. Sie alle schüttelten die Köpfe. Und dann sagte Claudius: „Wir wollen dem Zeichen noch keine große Bedeutung beimessen. Vielleicht kannten sich die Menschen auf den beiden Anwesen, vielleicht haben ihre Kinder die Wände bemalt. Ich habe das Zeichen schon in ähnlicher Form in Roms Straßen gesehen.“ Und Jeschua sagte: „Auch wir Kinder haben manchmal aus Spaß Zeichen auf die Wände im Haus gemalt und meine Mutter fand nicht alle Kunstwerke gelungen.“

      Sie lachten, weil sie alle die gleichen Geschichten aus ihrer Kindheit kannten. Sie redeten noch eine Weile über alltägliche Dinge, dann wurden sie müde und sie gingen schlafen.

      Nach dem Frühstück am nächsten Morgen traten sie wieder zur Versammlung zusammen. Und Claudius sprach: „Gestern waren Bezalel und Johannes im Osten und Südwesten von NaÏn. Heute werden Bezalel und Kenan die Kunden mit offenen Rechnungen in den nördlichen Richtungen besuchen.“ „Ja, Claudius,“ sagten die Aufgerufenen. „Doch achtet auf die Pferde. Sie waren gestern sehr erschöpft. Wir haben nur diese und wir brauchen sie.“ Bezalel und Kenan nickten. „Johannes,“ sagte Claudius. „Wie geht es Deinen Muskeln und Knochen heute Morgen?“ Johannes lachte. „Gut, Herr! Doch ich bin darüber froh, vermutlich hierbleiben zu dürfen, um das Anwesen zu bewachen.“

      „So sei es,“ sagte Claudius und er sah Jeschua an. „Rebecca und Esther,“ fuhr Jeschua fort. „Heute ist Markttag, und morgen ist Sabbat. Wir wollen unseren Gästen aus Tiberias, uns allen, ein anständiges Sabbatmahl bereiten.“ „Ja, Herr,“ sagten sie und ihre Augen strahlten.

      „Kennt Ihr die Verpflichtungen der Frauen am Sabbat?“ „Ja, Herr,“ sagten sie wieder. „Nun, niemand ist hier mit niemandem verwandt oder verheiratet, doch es würde uns alle sehr freuen, wenn Ihr trotz dieses Umstandes die Aufgaben der Frauen am Sabbat übernehmt. Ist das für Euch akzeptabel?“

      „Ja, Herr,“ sagten beide erneut. „Ihr Weingärtner wisst, was zu tun ist.“ „Ja, Herr,“ antworteten sie. Und Claudius sagte: „Jeschua und ich werden die Untersuchungen in NaÏn fortsetzen.“ Und Jeschua sagte: „Wir könnten zuerst mit dem Arzt sprechen. Ich hörte, er ist heute im Dorf. Danach muss ich die Sabbatfeier vorbereiten, am Nachmittag können wir mit den Untersuchungen fortfahren.“

      „Das trifft sich gut, Jeschua. Ich werde in dieser Zeit an meinem Bericht arbeiten, der von mir bei meiner Rückkehr in Tiberias erwartet wird.“ Sie nickten alle und gingen an ihre Arbeiten. Jeschua und Claudius gingen mit Bezalel und Kenan zu den Pferden. „Die Ruhe hat ihnen gutgetan,“ sagte Claudius. „Wir werden sie heute aber nicht sehr antreiben, Claudius,“ sagte Bezalel. „Gut,“ sagte Claudius.

      Auf dem Weg nach NaÏn sagte Claudius: „Es ist ein guter Gedanke mit dem Dorfarzt zu sprechen, Jeschua. Ich bin gespannt seine Eindrücke zu hören.“ Unter den Dorfbewohnern war die erste Anspannung über die Anwesenheit der Fremden der üblichen Geschäftigkeit gewichen. Selbst die Katzen schlugen ihre Krallen wieder ins Holz und auch die Hunde dösten, wie sonst, vor den Hütten. Jeschua sah, wie der Wochenmarkt vorbereitet wurde. Sie gingen zu Elias und Tobias, um sich über ihr Befinden zu erkundigen. Auch sie waren beschäftigt. „Friede sei mit Euch,“ sagte Jeschua zu ihnen. „Und der Friede sei auch mit Dir, Schriftgelehrter“ sagten sie. „Wie gehen die Geschäfte?“ Erkundigte sich Jeschua bei Elias. „Nun, Schriftgelehrter, ganz gut, sie könnten aber besser sein. Die Ereignisse hier in NaÏn haben sich schnell unter den Menschen verbreitet und der eine oder andere Kunde hält sich mit Aufträgen zurück.“

      „Wie das, Elias?“ „Du kennst die Menschen hier, Schriftgelehrter. Der Aberglauben über unnatürliche Todesfälle ist groß unter ihnen. Sie fürchten, der Zorn der Gottheit, der über NaÏn kommen wird, kommt auch zu ihnen, wenn sie mit uns Geschäfte machen.“

      „Dann sage Ihnen dies: Der Zorn der Gottheit wird über NaÏn und seine Menschen kommen, wenn sie sich am Tod des Simon schuldig gemacht haben sollten. Und! Der Zorn der Gottheit wartet sicher nicht auf das Urteil der Menschen. Der Zorn der Gottheit hätte Dich und alle Menschen von NaÏn bereits gerichtet, wenn sie schuldig wären. Wie also kannst Du leibhaftig vor Deinen Kunden stehen, obwohl Dich die Gottheit ja schon gerichtet hat?“ Elias sagte: „Das ist wahr, Jeschua. Danke für Deine Worte.“ Und Jeschua fragte Elias: „Weißt Du, wo sich der Arzt gerade aufhält?“

      „Geht zu Aviels Haus. Aviel fühlte sich heute Morgen nicht wohl.“ „Danke, Elias.“ Und sie verabschiedeten sich. Jeschua führte Claudius zu Aviels Haus. Dort angekommen warteten sie bis der Arzt, der Gallech hieß, Aviels Haus verließ. Gallech war sichtlich überrascht darüber, dass er Jeschua und Claudius antraf. „Friede sei mit Dir, Gallech,“ sagte Jeschua. „Und Friede sei mit Euch,“ grüßte Gallech. „Ihr seid nicht gekommen, weil ihr eines Arztes bedürft, nehme ich an,“ sagte Gallech. „Nein, Gallech. Das ist wahr. Wir wollen uns bei Dir über den Tod des Simon erkundigen und ein paar Fragen an Dich stellen, deren Beantwortung Dir im Rahmen der Schweigepflicht natürlich freisteht,“ sagte Jeschua.

      Claudius hatte, wie viele wohlhabende Menschen in Rom, seit seiner Kindheit Kontakt zu griechischen Ärzten oder zu Römern, die bei den Griechen studiert hatten. In Tiberias versorgten griechische Ärzte die höhergestellten Offiziere, falls diese erkrankten. Einen aramäischen Arzt hatte er bisher noch nicht gesprochen. „Beschreibe uns, was Du zu Simons Tod sagen kannst,“ bat Claudius Gallech. Der Arzt bestätigte Daniels Beschreibung vom völlig zertrümmerten Schädel und Gesicht des Simon. „Ich hatte Schwierigkeiten ihn als Simon zu erkennen,“ sagte Gallech. „Doch Du bist sicher, dass es Simon war?“ Fragte Claudius. „Ja, Römer,“ sagte Gallech. „Ich habe Simon, möge er in Frieden ruhn, einige Mal untersucht und behandelt, als er noch lebte. Er hatte Narben am Rücken, die sich hin und wieder entzündeten, und ich verordnete ihm Salben aufzutragen. Ich besah Simons Leichnam und sah die Narben, die ich kannte.“

      „Was waren das für Narben, Gallech?“ Fragte Claudius. „Ich würde sagen, ursprünglich waren es Wunden von einer Klinge.“

      „Mit was wurde der Schädel des Simon Deiner Meinung nach zertrümmert?“ Fragte Claudius. „Ich sah keine Reste von Erde oder Verfärbungen, wie sie von Steinen hinterlassen werden. Meiner Meinung nach benutzte der Täter einen schweren Hammer. Habt Ihr noch Fragen?“ Wollte Gallech wissen. „Andere Menschen warten bereits auf mich und ich muss heute noch weiterziehen.“

      „Du lebst nicht hier, Gallech?“ Fragte Jeschua. „Nein, Schriftgelehrter. Ich stamme aus Garizim und ich besuche NaÏn in regelmäßigen Abständen, da sie hier keinen Arzt haben und weil meine älteste

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