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„Ja, Herr!“ sagte Kenan.

      Sie erreichten Nazaret nach einem Eilmarsch in weniger als vier Stunden und sie gingen umgehend zu den Weisen. Erfreut wurden Jeschua und Johannes von ihnen begrüßt, doch in ihren Augen sah Jeschua, sie wussten, er und Johannes waren aus ernstem Anlass gekommen. Gestärkt von frischem Wasser, Brot und Salz berichteten Jeschua und Johannes von den Ereignissen seit ihrer Ankunft in NaÏn und die Weisen hörten ihnen zu, sie hatten nur wenige Zwischenfragen. „Wir danken Euch für Euren Bericht,“ sagte der Älteste der Weisen. „Gut habt Ihr gehandelt. Unser Entschluss und der Wille der Gottheit, Euch nach NaÏn zu entsenden, gebietet es, dass wir uns mit dieser ernsten Angelegenheit beschäftigen werden. Ruht Euch aus und kommt nach den Nachmittagsgebeten wieder zu uns. Dann werden wir Euch unseren Entschluss verkünden.“ „Ja, edle Weise,“ sagten Jeschua und Johannes.

      Ihnen wurde ein Schlafplatz bereitet und weil der Marsch anstrengend gewesen war, schliefen sie sofort ein. Einer der Schüler der Weisen weckte sie nach den Nachmittagsgebeten, sie wuschen sich, man brachte ihnen etwas Obst und frisches Wasser, dann gingen sie zu den Weisen. „Nun,“ sagte der älteste der Weisen. „Wir sehen, Ihr seid wieder zu Kräften gekommen.“ Und er lächelte ihnen freundlich zu. „Eure Berichte haben uns sehr berührt, Jeschua und Johannes, und wir trafen diese Entschlüsse: Ihr werdet morgen nach Tiberias reiten und Ihr werdet dem Römer und dem Rechtsgelehrten von der Entwicklung berichten. Und ich sage Euch: Nicht die Heerscharen der Gottheit werden über uns kommen, wenn wir den dunklen Mächten nicht Einhalt gebieten, sondern die römische Armee!“ Er machte eine Pause und sagte dann: „Einer aus unseren Reihen wird Deinen Platz in NaÏn einnehmen, bis Du aus Tiberias zurückgekehrt sein wirst. Er wird von mehreren, waffenerfahrenen Männern begleitet und beschützt, die in NaÏn bleiben, bis dieser Spuk vorüber ist!“ Abermals holte er Atem. „So soll es geschehen, denn wir fürchten die Amoriter nicht!“ Endete der älteste der Weisen.

      Doch Jeschua erhob seine Stimme: „Edle Weise, wir danken Euch für Euren Ratschluss, denn er ist gerecht.“ Jeschua zögerte kurz, doch dann sagte er: „Herr, ich kann nicht reiten!“ „Nun,“ sagte der älteste der Weisen, „dann wird Johannes es Dich lehren.“ Und die Weisen lächelten und sie verabschiedeten sich.

      Jeschua ging umgehend in Richtung seines Zuhauses und Johannes tat es ihm gleich. „Wir treffen uns hier kurz vor Sonnenaufgang wieder, Johannes,“ sagte Jeschua noch. „Wer sind die Amoriter, Jeschua?“ fragte Johannes. „Ich erkläre es Dir morgen, geh nun.“

      Tränen der Freude liefen über Marias Wangen, als sie ihren ältesten Sohn wiedersah und ihn fest ihre Arme schloss. Sein Bruder und seine Schwester, sein Patenonkel und dessen Familie freuten sich ebenso sehr. Von jeder Begebenheit musste Jeschua bis in die kleinste Einzelheit berichten und so wurde es ein langes Abendessen. Maria nahm keine Melancholie in Jeschuas Augen wahr. Die Stimme ihres Sohnes erschien ihr noch klarer geworden, seine Statur noch kräftiger, aber ihre Sorgen, die sie hatte, wenn sie Jeschua ansah, waren geblieben. Und nach fast einem Monat schlief Jeschua schließlich wieder auf dem Schlafplatz, auf dem er bisher die meiste Zeit seines Lebens geschlafen hatte. Es kam ihm vor, als wären viele Jahre vergangen.

      Kapitel 8

      Lange vor Sonnenaufgang wachte Jeschua auf und als er sich gewaschen hatte, ging er in den Küchenbereich. Seine Mutter war bereits mit dem Zubereiten des Frühstücks beschäftigt. „Guten Morgen, Mama,“ grüßte Jeschua sie. „Guten Morgen, mein Sohn,“ sagte Maria und „ich konnte nicht richtig schlafen. „Ich weiß, Mama, ich konnte es in meinem Schlaf spüren.“

      „Die Reise, auf die Du jetzt gehst, wird sie gefährlich sein?“ „Ich weiß es nicht, Mama. Die Wege der Gottheit sind immer voller wundersamer Wendungen.“

      „Und sie sind uns vorherbestimmt,“ sagte Maria. „Amen!“ Sagte Jeschua. Sie umarmten sich zum Abschied, sie sahen sich fest in die Augen und Jeschua ging zum Haus der Weisen, wo Johannes ebenfalls eintraf.

      Die Morgenluft war kühl und nur wenig später würde die Sonnenscheibe sichtbar werden. Ein tiefblauroter Streifen im Osten kündigte den neuen Tag an. Zwei der Weisen erschienen, hinter ihnen Knechte, die die Pferde, Decken, Ersatzkleidung und Proviant brachten. „Friede sei mit Euch, Jeschua und Johannes,“ sagten die Weisen und „haltet Euch an die Wege und gebt gut aufeinander Acht.“ „Ja, Herr,“ sagten sie. Johannes entschied, dass Jeschua hinter ihm sitzen solle und sie die Pferde unterwegs regelmäßig wechseln würden, um sie nicht zu überfordern. „Wir haben keine Zeit für Reitunterricht,“ sagte er.

      Jeschua lernte von Johannes, sich seinen Umhang so zu wickeln, dass er beim Reiten nicht störte und er gab ihm die wichtigsten Anweisungen für den richtigen Sitz. Beim ersten Versuch konnte Jeschua den Rücken des Pferdes nicht erreichen, und so halfen die Knechte. Doch bereits beim Anreiten fiel er vom Pferd, denn er hatte nicht mit der kraftvollen Bewegung des Tieres gerechnet. Jeschua musste sich drei Handbreit hinter Johannes auf die höchste Stelle über den Hinterläufen des Pferdes setzen und seine Beine auf einer Seite belassen. Er konnte sich, falls nötig, an Johannes Gürtel festhalten und mit der anderen aufstützen. Beim zweiten Versuch gelangen die Absichten besser. Im langsamen Schritt ritten sie in Richtung Tiberias, das Packpferd trottete gemütlich hinter ihnen her. Nach einer Weile wechselte Johannes in einen langsamen Trab, doch nicht, ohne Jeschua über den Tempowechsel vorgewarnt zu haben. Und so kamen sie gut voran. Die Pferde wurden im Laufe des Rittes mehrfach gewechselt. Die Passanten, an denen sie unterwegs vorbeiritten, waren mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, so wie Jeschua und Johannes auch. Jeschua brauchte alle seine Konzentration und Kraft, damit er sich im Gleichgewicht halten konnte. Johannes achtete mehr auf die Wege, kleinere Hindernisse, aber vor allem auf entgegenkommende oder sie überholende Reiter, denen er zuweilen ausweichen musste.

      Der Abstieg nach Tiberias dauerte längere Zeit. Sie mussten vom Pferd absteigen und diesen Abschnitt ihrer Reise zu Fuß gehen, denn die Serpentinen waren schmal und es herrschte reger Verkehr in Richtung Tiberias und aus Tiberias hinaus. Jeschua kannte das galiläische Meer von gelegentlichen Besuchen beim Bruder seines Patenonkels in seiner Kindheit, Johannes sah es an diesem Tag aber zum ersten Mal und er war beeindruckt von der Größe des Sees und dessen tiefblauer Farbe. Beide Männer hatten Tiberias vorher noch nicht gesehen, sie wussten aber, Fürst Herodes Antipas hatte diese Stadt vor einigen Jahren zu seinem neuen Herrschaftssitz bestimmt. Schon aus der Ferne konnten sie sehen, dass Tiberias größer als Nazaret war. Sie sahen eine Stadtmauer, die die Stadt wie einen Halbkreis umschloss, denn die Ostseite war zum See hin offen. Im Hafen lagen mehrere Schiffe. Sie nahmen an, dass das sichtbar größte Gebäude der Fürstenpalast sein musste. Bei den Farben der Häuser dominierten Ockertöne und das gebrannte Rot der Dachziegel, sie konnten aber auch hellere Strukturen erkennen. Vor dem Stadttor angekommen erkundigten sie sich nach Unterstand für die Pferde, und sie fanden schließlich einen Stall, der Ihnen ein für sie erschwingliches Angebot machte. Viele Einwohner von Tiberias und Besucher, die es sich finanziell leisten konnten, gingen jedoch mit ihren Reit oder Packtieren in die Stadt, dort waren die Stallungen teurer als außerhalb der Stadtmauern.

      Die Wachmänner in Dörfern wie Nazaret oder NaÏn, waren meist brave Männer aus den Dörfern selbst oder aus deren Umgebung. Sie waren oft nur unzureichend an den zumeist schlecht gefertigten Waffen ausgebildet, die sie trugen. In den Dörfern waren diese Umstände völlig ausreichend. In Tiberias wurden Reisende jedoch von römischen Legionären in Empfang genommen, die speziell im Wachdienst und für den Dienst an den Stadttoren ausgebildet waren. Über Jahrhunderte hatten die Römer diesen Dienst perfektioniert. Kein Außenstehender verstand ihre Handlungen, oder konnte daraus ein System entschlüsseln. Viele hatten das versucht und waren daran gescheitert. An einem Tag schien es, die Wachsoldaten seien gelangweilt oder die Hitze hätte ihnen zugesetzt, sodass viele Besucher oder Abreisende unbehelligt blieben. Am nächsten Tag führten sich genau die gleichen Soldaten trotz gleicher Hitze aber wie die Furien auf, und nahezu jeder Mensch und jede Kreatur wurde auf Herz und Nieren untersucht. Wenn den Soldaten eine Person oder eine Sache verdächtig erschien, wurde den betroffenen Personen der Zugang verweigert. Es konnte sogar geschehen, dass diese Personen von den Soldaten auf der Stelle verhaftet wurden. Große Städte zogen schließlich nicht

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