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die sich von Besuchern für den Einlass bestechen ließen, und die dabei überführt wurden, zu drakonischen Strafen verurteilt. Gleiches galt für Wachsoldaten, die den Wachdienst ausnutzten, um ihren Sold aufzubessern, indem sie von Besuchern für den Zugang zur Stadt Geld erpressten. Rom war das Licht der Welt und nichts sollte diesen Eindruck bei den Menschen, die aus allen Ländern der Welt kamen, trüben. Vollständig verschwand diese Praxis zwar nie, aber für die überwiegende Zahl der Menschen, die nach Rom kamen oder aus Rom abreisten, war sie praktisch nicht spürbar. Aber Rom war von den Provinzen weit entfernt und Bestechung der Wachsoldaten war in den Provinzen Gang und gäbe, genauso wie Erpressung von Besuchern durch die Wachsoldaten. Es sei denn, ein zumeist neu angekommener, oft junger und übereifriger Kommandant der Wachsoldaten überwachte und bestrafte diese Praxis. Die Wachsoldaten fürchteten diese Neuankömmlinge aber nicht sehr. Denn, so sicher wie die Sonne im Osten auf und im Westen untergeht, so sicher war es, dass die neuen Kommandanten sich nach wenigen Tagen mit den örtlichen Gesetzmäßigkeiten anfreundeten.

      Und so gingen Jeschua und Johannes zum Stadttor und sie sprachen einen der Wachsoldaten in ihrer Unerfahrenheit mit diesen Dingen direkt an: „Herr,“ sagte Jeschua, „wir möchten Legat Claudius Babillus sprechen. Wie können wir ihn finden?“ Kein Aramäer sprach einen römischen Wachsoldaten ohne Not ungefragt an, daher wusste dieser im gleichen Augenblick, dass die beiden Aramäer, die vor ihm standen, unerfahrenes Landvolk waren. Aber der unergründliche Wille der römischen Götter hatte entschieden, dass die Wachsoldaten zu dieser Stunde zu Scherzen aufgelegt waren, was Jeschua nicht wissen konnte. Und der Römer fragte mit der ihm größtmöglichen Freundlichkeit: „Nun, edle Herren, was ist Euer Begehr?“ Ein anderer Wachsoldat, der die Szene sah, kam zu ihnen und Jeschua sagte: „Wir möchten mit Legat Claudius Babillus in einer persönlichen Angelegenheit sprechen.“ Der erste Wachsoldat sah seinen Kameraden an: „Die edlen Herren wollen Legat Claudius Babillus in einer persönlichen Angelegenheit sprechen,“ wiederholte der erste Wachsoldat sichtlich amüsiert. Johannes ahnte, dass sie einen Fehler begangen hatten. Er berührte Jeschua an einem Arm. Dann zog Jeschua den versiegelten Papyrus aus seinem Umhang hervor, den Bezalel und Claudius ihnen gegeben hatten und zeigte es dem Wachsoldaten. Johannes tat es ihm gleich „Wir erhielten diese Schreiben von Legat Claudius Babillus persönlich. Er versicherte uns, dass wir damit jederzeit zu den höchsten Stellen in Tiberias vorgelassen werden.“ Die Wachsoldaten entrollten die Papyri, sahen die Siegel von Claudius und eines Rechtsgelehrten und auf der Stelle veränderte sich der Tonfall ihrer Stimmen. „Geht zum Palast des Fürsten, dort werdet Ihr Legat Claudius Babillus antreffen. Ihr dürft passieren,“ sagte der erste Wachsoldat und er gab Jeschua und Johannes die Papyri zurück. Die Wachsoldaten sahen sich an. „Ei, da wären wir ja beinahe in einen Schlamassel, geraten,“ sagte der zweite Wachsoldat.

      Und die gute Laune der römischen Götter wandelte sich genauso schnell, wie sie gekommen war. Am meisten verärgerte die Wachsoldaten aber die entgangenen Einnahmen, die sie in ihren Gedanken von den beiden Aramäern erwartet hatten. Die Jeschua und Johannes nachfolgenden Reisenden wurden daher den strengsten Kontrollen unterzogen, was die eben noch verlorenen Einnahmen der Wachsoldaten mehr als kompensierte und schnell bildete sich eine Warteschlange vor dem Stadttor.

      Nachdem sie einige Schritte gegangen waren, fragte Johannes: „Wer waren die Amoriter, Jeschua?“ Und Jeschua sagte ihm: „Bevor das Volk Israel in das gelobt Land gehen konnte, mussten sie das Volk der Amoriter besiegen, die sehr stark waren und so fürchteten sich viele im Volk Israel, obwohl die Gottheit doch an ihrer Seite stand. So verzögerte sich der Einzug des Volkes Israel in das gelobte Land um vierzig Jahre, denn die Gottheit bestimmte, dass keiner aus der Generation der Ängstlichen das gelobte Land sehen solle, außer Kaleb und Josua.“ Johannes verstand nun die Worte der Weisen in Nazaret.

      Sie erkundigten sich mehrmals bei Passanten nach dem Weg zum Fürstenpalast. Viele Menschen, die sie sahen, trugen fremdländische Kleidung und hatten fremdländisches Aussehen. Da waren Römer, Menschen aus Syria, Mazedonien, Galatien, Ägypten, Mauretanien. Ein Stimmengewirr unterschiedlicher Dialekte und Sprachen umgab Johannes und Jeschua. „Ist es nicht erstaunlich,“ fragte Johannes, „wie alle diese Menschen hier miteinander leben? Obwohl man doch meinen könnte, sie müssten einander feindlich gesonnen sein.“ „Wir alle haben die gleichen Wurzeln, Johannes,“ sagte Jeschua. „Und doch besteht die Schöpfung der Gottheit aus Vielfalt. Kein Stein gleicht einem anderen und doch ist er Stein. Die Menschen hier, Johannes, besinnen sich auf ihr gemeinsames Interesse, das Geschäftemachen. Ihre Herkunft und ihr Aussehen sind dafür nicht von Belang.“ Darüber wollte Johannes später nachdenken, denn sie hatten ihr Ziel erreicht. Aus einer der kleineren Straßen kamen sie zu einem großen, offenen Platz, an dessen Ende der Eingang zum Palast war.

      Anders, als in den Straßen, war der Boden des Platzes mit großen, grauweißen Steinplatten bedeckt, der das Sonnenlicht reflektierte und sie blendete. An seinen Rändern standen hohe Säulen im griechisch-römischen Stil, dazwischen Statuen von verschiedenen römischen und griechischen Gottheiten, auch mehrere kleinere Tempel und ein großes, aramäisches Gebetshaus. Der Platz war nicht so bevölkert, wie die Straßen, auf denen sie gekommen waren. Nur auf einer Seite, vor einem der Eingänge mit niedrigen Türen, warteten einige aramäisch aussehende und gekleidete Menschen. Vor diesem Eingang stand ein Aramäer hinter einem Schreibpult. Ein Wartender trat vor, sagte etwas zu dem Aramäer, der etwas aufschrieb. Dann ging der Wartende durch den kleineren Eingang, kurz danach kamen zwei Aramäer aus dem kleineren Eingang und entfernten sich vom Palast.

      Jeschua und Johannes gingen zum größten Eingang, vor dem mehrere Legionäre Wachestanden, die aber anders gekleidet waren, als die Wachsoldaten am Stadttor. Jeschua ging zu einem der Männer, von dem er annahm, dass er der Älteste von ihnen war. Und er sagte: „Herr, die Soldaten am Stadttor sagten uns, hier würden wir Legat Claudius Babillus antreffen.“ Jeschua reichte ihm den Papyrus. Der Legionär besah zuerst den Papyrus und musterte dann die Ankömmlinge kurz, denn ihre Erscheinung erschien ihm nicht zu dem Schreiben zu passen, das vom Legaten und einem aramäischen Rechtsgelehrten persönlich versiegelt war. Höhergestellte Römer und Aramäer, mit feinerer Kleidung, als Jeschuas und Johannes, führten üblicherweise derartige Schreiben mit sich. Doch der Legionär erkannte die Echtheit der Siegel: „Ihr seid zum ersten Mal hier?“ Fragte er in ihrer Sprache. „Ja, Herr,“ sagten sie. „Wartet hier,“ sagte der Legionär und er ging in den Palast. Wenig später kehrte er mit einem Mann zurück, den Jeschua und Johannes als einen Sklaven erkannten, denn er trug den Umhang etwas anders zugeschnitten als üblich. Johannes musste dem Legionär seine Waffen übergeben. „Du erhältst sie bei Verlassen des Palastes zurück,“ sagte der Legionär. Dieser gab Jeschua auch den Papyrus zurück und der Sklave bat sie ihm zu folgen.

      Weder Jeschua noch Johannes hatten in ihrem bisherigen Leben das Haus eines reichen Aramäers oder Römers betreten oder gar einen Fürstenpalast. So waren sie sehr beeindruckt von der Größe der Flure, durch die sie gingen und von der prachtvollen Ausstattung. Einige Diener und Beamte mit Papyri unter den Armen kreuzten ihre Wege, insgesamt herrschte ruhige Geschäftigkeit vor. Die Luft in den Fluren war angenehm kühl, anders als in den stickig heißen Straßen von Tiberias. Wie im Laufe der Anreise wurden sie nur von wenigen Menschen beachtet. Diejenigen, denen Jeschuas und Johannes Anwesenheit bewusst auffiel, befanden das Erscheinen von zwei ärmlich aussehenden Aramäern an diesem Ort zwar ungewöhnlich, doch alle sahen einen der ihnen bekannten Sklaven vor den Aramäern hergehend und so gingen sie wieder ihren Beschäftigungen nach. In einem Seitenflügel des Palastes, in dem nach Jeschuas Eindruck die Verwaltung untergebracht war, blieb der Sklave vor einer hohen Tür aus schwerem Holz stehen, die dieser öffnete. „Wartet hier,“ sagte er ihnen und er verschwand hinter der Tür, die er hinter sich schloss. „Immerhin wissen wir jetzt, wofür wir unsere Steuern zahlen,“ flüsterte Johannes. Jeschua nickte ihm kurz zu, doch mit einer Geste bedeutete Jeschua ihm auch, nicht alles laut auszusprechen, was er gerade dachte.

      Die Tür wurde wieder geöffnet, der Sklave erschien erneut. „Folgt mir,“ sagte er abermals zu ihnen. Vor einem großen offenen Fenster sahen Jeschua und Johannes Claudius stehen, der sich ihnen gleich zuwandte. Der Sklave sagte: „Die Besucher, die Dich sprechen wollen, Herr.“ Und fast lautlos entfernte er sich. Claudius freute sich sehr, Jeschua und Johannes wiederzusehen, und sie begrüßten sich herzlich, dann sagte Claudius: „Mir

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