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Die Gilde der Seelenlosen. Eckhard Bausch
Читать онлайн.Название Die Gilde der Seelenlosen
Год выпуска 0
isbn 9783947721238
Автор произведения Eckhard Bausch
Жанр Языкознание
Серия Die Dunstein-Chroniken
Издательство Bookwire
*
Verwundert beobachtete der hochbetagte Mann den gänzlich in schwarz gekleideten Reiter, der sich ihm näherte. Längst fühlte er sich bereits viel zu alt, um Todesangst zu empfinden. Dennoch beschlich ihn ein leiser Schauder. Sowohl in den Augen des Reiters wie in den Augen seines pechschwarzen Pferdes schienen Flammen zu lodern. Der Fremde mit den langen, glänzenden Haaren trug über der Hose lediglich ein dünnes Hemd, das angesichts der bitterkalten Temperaturen im Spätherbst Gatyas völlig unpassend wirkte.
Der alte Mann fröstelte nun noch mehr und zog seinen ausgefransten Fellumhang enger um den Körper. Für kurze Zeit wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem riesigen Eisbaum zu, dessen Blätter in unterschiedlichen Rotschattierungen vom Herannahen des Winters kündeten. Der seltsame Reiter schien den Baum nicht zu beachten. Er hielt genau auf den alten Mann zu. Sein bleiches Gesicht blieb völlig ausdruckslos, und kein Wort kam über seine schmalen, zusammengepressten Lippen, als er unmittelbar vor dem Alten sein Pferd zum Stehen brachte. Er schwang sich aus dem Sattel und legte die wenigen Schritte bis zu dem einsamen Gatyer ohne Hast zurück. Seine Augen flackerten unruhig, gerade so, als ob das Feuer in ihnen den alten Mann verzehren wollte. Der aber stand völlig unbewegt, obgleich er das herannahende Unheil körperlich spürte. Was hätte er auch schon dagegen tun können?
Völlig übergangslos lag ein schwerer Streitkolben in der Hand des Fremden. Der greise Gatyer wunderte sich, wo die klobige Waffe plötzlich hergekommen und wie sie in die Hand des Schwarzgekleideten gelangt war. Es wirkte fast wie Zauberei. Seine Gedanken wurden jäh beendet. Der Hammer sauste herab und zermalmte den Schädel des alten Mannes.
Völlig ungerührt drehte sich der schwarzgekleidete Fremde um und schritt zu dem Eisbaum. Der Streitkolben in seiner Hand verformte sich zu einer Schaufel. In der Nähe des Baumstamms begann er, die Erde aufzugraben. In einer Tiefe von zwei Metern stieß er auf einen kleinen, grauen Stein.
Im schwachen Licht der herbstlichen Sonne des Nordens glitzerten winzige Einschlüsse, die sich über die gesamte Oberfläche des Steins erstreckten und wie der Sternenhimmel an einem grauen Firmament anmuteten. Der schwarzhaarige Mann schob den Stein in den Mund und verschluckte ihn. Fast zwanzig Minuten lang stand er wie eine leblose Statue unter dem Eisbaum von Orondinur. Gelegentlich schwebten einige vertrocknete Blätter zu Boden, die ersten Vorboten des kommenden Winters. Der stumme Mann nahm sie genauso wenig wahr wie die zwölf Reiter, die zuerst am Horizont erschienen und sich nun bis auf Rufweite annäherten.
Das Feuer in den Augen des Fremden erlosch. Unversehens verspürte er Kälte. Etwas benommen ging er mit unsicheren Schritten zu dem erschlagenen Mann, dessen zertrümmerter Schädel den Boden in seiner unmittelbaren Umgebung mit Blut getränkt hatte. Er legte den Spaten zur Seite, wickelte die Leiche aus dem Fellmantel und zog sich den Mantel über. Danach ergriff er wieder den Spaten. Beim Aufstehen blickte er in ein Gesicht, das anscheinend aus dem Nichts aufgetaucht war.
„Du hast einen wehrlosen, alten Mann umgebracht“, lautete der Vorwurf. „Warum hast du das getan?“
Den Fremden überkam der Eindruck, aus einer geordneten, analytischen Welt herausgerissen zu werden. Die Aufgaben, die er zu erledigen hatte, lagen allerdings immer noch klar vor ihm. An seinem folgerichtigen Denken hatte sich nichts verändert. Aber plötzlich war da noch etwas anderes, ein verworrener Wust von Empfindungen, wo zuvor nur Leere geherrscht hatte. Er beschloss kurzerhand, dieses Chaos einfach außer Acht zu lassen.
Blitzartig ordnete er seine Kenntnisse. Die dunklen Augen, die gebogene Nase und die kurzen, schwarzen Haare verrieten ihm, dass es sich bei seinem Gegenüber um einen Pylax handelte, einen gefährlichen Krieger, der über einen außergewöhnlich schnellen Bewegungsablauf verfügte. Im gleichen Augenblick gewahrte er auch die Frau und die zehn weiteren Reiter. Sie hatten grüne Augen – Gatyer. Ohne dass ihm dies wirklich klar zu Bewusstsein kam, hatte er bereits die Vorgehensweise festgelegt: Der Pylax war am gefährlichsten. Er musste zuerst ausgeschaltet werden, dann die zehn bewaffneten Reiter und zuletzt die zierliche, harmlose Frau.
Der immer noch in seiner Hand liegende Spaten verwandelte sich in ein kurzes Rohr mit einigen sonderbaren, leuchtenden Ausbuchtungen.
Argo a Narga starrte in die Mündung des aus dem Spaten entstandenen Rohrs. Geistesgegenwärtig warf er sich zur Seite. Ein Lichtbündel zuckte auf und hinterließ ein hässliches, rundes Loch mit verkohlten Rändern in der Schulter des Pylax. Während er zu Boden stürzte, flammte die Waffe erneut in schneller Folge auf und erfasste mit tödlicher Präzision einen der Reiter nach dem anderen.
Dann geschah etwas Unvorhergesehenes.
Duotora hatte zunächst nicht begriffen, was vor ihren Augen ablief. Ein völlig in schwarz gekleideter Mann verharrte während ihrer Annäherung bewegungslos wie ein Standbild nahe dem Stamm des Eisbaums von Orondinur. Dann lief er mit einer Schaufel in der Hand wie ein Traumwandler zu einem leblosen Körper, der einige Meter abseits am Boden lag.
Für die Eisgräfin hatte es zunächst den Anschein, als ob ein in Trauer versunkener Mensch einen geliebten Toten bestatten wollte. Argo a Narga hatte sich dagegen nicht von Mutmaßungen leiten lassen. Ihm klangen immer noch die warnenden Worte des Bewachers der Gruft im Ohr nach. Er stürmte sofort zu der Stelle, wo der Tote am Boden lag. Duotora konnte die Worte des Pylax nicht hören. Dann warf sich Argo a Narga zur Seite. Aus einem seltsamen Gerät in der Hand des Fremden blitzten Lichtstrahlen auf. Die Schaufel war verschwunden. Erst als weitere Blitze aufzuckten, und die Stadtgardisten aus Orondinur von ihren Pferden stürzten, begriff die Eisgräfin, dass der Fremde eine ihr völlig unbekannte Waffe betätigte.
Die Mündung dieser Waffe zeigte nun auf Duotora. Der Lichtstrahl, der sich daraus löste, wurde jedoch in einer zuerst wabernden, dann grell aufleuchtenden Blase erstickt. Duotora hatte den „vernichtenden Blick“ zur gleichen Zeit eingesetzt, als der Fremde den Abzug seiner Waffe erneut betätigte. Ein heftiger Schreck durchzuckte den Schwarzgekleideten. Die Waffe in seiner Hand zerfiel plötzlich zu Staub. Aber letztlich war es nicht dieser Vorgang, der ihn sekundenlang lähmte. Das Gefühl des Erschreckens selbst hatte ihn überwältigt, denn er hatte noch nie zuvor irgendetwas empfunden.
Ein nicht minder großer Schock fuhr der Eisgräfin in die Glieder. Ihre besondere Gabe hatte zwar die Waffe des Fremden zerstört; an ihm selbst perlten die Wellen des „vernichtenden Blicks“ dagegen wie Wasser ab. Dass Duotoras gesamtes Leben wie dasjenige aller anderen Menschen von einer Abfolge aus vertrauten Gefühlen begleitet wurde, zu denen auch das Erschrecken gehörte, verschaffte ihr den entscheidenden Vorsprung. Noch im gleichen Augenblick hatte sie verstanden, dass den Fremden etwas umgab, das sie auch mit dem „vernichtenden Blick“ nicht zu zerstören vermochte.
Während der Schwarzhaarige die von ihm fälschlicherweise als harmlos eingestufte Frau noch betroffen anstarrte, wendete die Eisgräfin bereits ihr Pferd ab und stob davon. Der Fremde sah sich demgegenüber nicht zu einer sinnvollen Reaktion imstande. Zuerst musste er den logischen Grund für seine Fehleinschätzung finden und daraus das weitere Vorgehen ableiten.
Von einer Anhöhe in einer knappen Meile Entfernung beobachtete ein einsamer Reiter den Ablauf der Geschehnisse. Zerknirscht musste er sich eingestehen, dass er zu spät gekommen war, um das Verderben noch aufhalten zu können. Unschlüssig wartete er ab.
Der Fremde mit dem bleichen Gesicht und den schwarzen Haaren hob langsam den Kopf. Er hatte nun Klarheit. Die zierliche Frau musste eine Eisgräfin sein. Damit gehörte sie als eine Helferin des Geflechts der alten Wesenheiten zu den Personen, die es zu beseitigen galt. Er hielt Ausschau nach seinem Pferd. In diesem Moment blendete ihn ein kurzer Lichtreflex von der entfernten Anhöhe. Der Blick des Fremden fiel auf die Kuppe, und er erspähte den Reiter, dessen goldene Rüstung weithin sichtbar in der Sonne schimmerte. Der goldene Ritter bemerkte, dass er entdeckt worden war. Hastig ritt er nach Osten davon.
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