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Die Gilde der Seelenlosen. Eckhard Bausch
Читать онлайн.Название Die Gilde der Seelenlosen
Год выпуска 0
isbn 9783947721238
Автор произведения Eckhard Bausch
Жанр Языкознание
Серия Die Dunstein-Chroniken
Издательство Bookwire
„Was geschieht mit dem Eisbaum von Kerdaris?“, fragte Septimor sofort.
„Er ist sicher“, versprach Grakinov.
„Woher wollen Sie das wissen?“, zweifelte der Eisgraf.
„Sie sollten bemerkt haben, dass ich verhältnismäßig viel weiß“, wies ihn der Einsiedler zurecht. „Und Sie haben versprochen, mir zu vertrauen.“
*
„Wir schaffen das nicht!“, schrie der Steuermann aus Leibeskräften. Obwohl Jalbik Gisildawain unmittelbar neben ihm stand, konnte er ihn kaum verstehen. Die Worte Tornanthas hörte er überhaupt nicht. Er sah lediglich, wie sich ihre Lippen bewegten. Die „Brüllenden Lüfte“ machten ihrem Namen alle Ehre.
Der Mast des Großsegels bog sich gefährlich, obgleich die Takelung gerefft war. Ein Schwall von Regen ergoss sich erneut über die drei Personen auf dem Oberdeck der Galeere. Die Knöchel an den nassen Händen des Steuermanns traten weiß hervor. Unter Aufbietung aller Kräfte versuchte er, das Ruder gegen die Gewalt der Strömung zu behaupten.
„Umkehren!“, brüllte Jalbik Gisildawain.
Tornantha versuchte erneut, sich verständlich zu machen. Der Freibeuter winkte resigniert ab und kämpfte sich gegen den Orkan zum Einstieg ins Unterdeck durch. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Aufgeplusterte, dunkelgraue Wolken zogen mit beängstigender Geschwindigkeit am Himmel vorüber. Der Orkan entfesselte Naturgewalten, denen das Schiff auf Dauer nicht standhalten konnte. Das gefährliche Wendemanöver erschien noch als das geringere Übel. Die „Todesnaht“ zwischen dem südlichen und dem westlichen Ozean erwies sich in dieser Jahreszeit einmal mehr als unüberwindliches Hindernis.
Jalbik Gisildawain fluchte. Wieso hatte er dieser Frau erlaubt, an Deck zu kommen? Ständig musste sie sich in alles einmischen. Am liebsten hätte er zugelassen, dass das Meer sie über Bord spülte. Die Macht des Mitleids überwog jedoch. Er schickte drei seiner Matrosen zum Oberdeck, um die Drahtzieherin des „dämonischen Pentagramms“ von Nord-Obesien in Sicherheit bringen zu lassen.
Tornantha zitterte vor Kälte, als die Seeleute sie die Stiege hinabführten. Unter ihrer völlig durchnässten Kleidung zeichneten sich die weiblichen Rundungen ab, die die Männer in Verzückung versetzten. Jalbik Gisildawain hatte dafür aber keinen Blick übrig. Er warf ihr seinen schweren Mantel zu, drehte sich um und stapfte wortlos zu seiner Kajüte.
Das Wendemanöver hatte begonnen. Eine Woge der Ruhe erfasste den Freibeuter. Die Angst um das Schicksal der schlummernden Ovaria verflog. Sie hatte selbst dafür gesorgt. Der Mon’ghal in der Tasche des Kapitäns hatte ihr dabei geholfen.
Tornantha stand nicht unter dem Einfluss eines Mon’ghals. Niemand vermochte ihre Furcht zu lindern. Sie sorgte sich weiterhin um das riesige Raupenwesen, das sie noch kurz zuvor gejagt hatte und töten wollte. Weder die derzeit widrigen Umstände noch Zweifel am Gelingen des Kurswechsels plagten die heimliche Herrscherin Obesiens. Jalbik Gisildawain war einer der erfahrensten Freibeuter Borgois und damit einer der besten Seeleute auf den vier Meeren. Aber was kam danach? Der Kurswechsel bedeutete, dass die Galeere durch die Straße von Ludoi segeln musste, um ihr Ziel in Lumburia zu erreichen. Wie würde der Hafenmeister von Dukhul darauf reagieren? Tornantha wusste nicht einmal, wer dieses Amt zurzeit bekleidete, nachdem der vormalige Amtsinhaber Jekisebek einer Mordtat zum Opfer gefallen war.
Das Schiff aus Borgoi entfernte sich immer weiter von der „Todesnaht“ und gelangte in ruhigeres Fahrwasser. Die „Brüllenden Lüfte“ verstummten. Die schlimmen Vorahnungen der Obesierin blieben jedoch. Lauerte in Sindra eine noch größere Bedrohung?
*
Es zählte nicht zu den üblichen Erfahrungen des hoch aufragenden Mannes, dass jemand bei seinem Anblick gefasst blieb. Der athlethische Jüngling mit der auffälligen Amtskette sah ihm jedoch unerschrocken entgegen, eher sogar mit einer gewissen Neugierde.
„Haben Sie meinen Vorgänger umgebracht?“, fragte der neue Hafenmeister von Dukhul.
„Nein. Mein Name ist Kataraxas.“ Die Stimme des Mannes mit der silbernen Mitra klang wie eine kreischende Säge. „Ich komme in Frieden.“ Die Misstöne in seiner Aussprache schienen den Inhalt seiner Aussage Lügen strafen zu wollen. Den jungen Hafenmeister konnte aber auch dies nicht erschüttern.
„Und was wollen Sie von mir?“, erkundigte er sich, wobei er seinen Platz hinter dem wuchtigen Schreibtisch wieder einnahm.
„Dunkle Wolken ziehen am Horizont herauf“, verkündete Kataraxas. „Ein schrecklicher Sturm wird über das Land fegen. Wir stehen an der Schwelle gewaltiger Umwälzungen. Wenn Sindra diese Zeiten überstehen will, braucht es einen starken Hochkönig. Yxistradojn ist zu schwach.“
„Ist es den Bewachern der Gruft nicht untersagt, sich in die Angelegenheiten der lebenden Hochkönige einzumischen?“, wunderte sich der Hafenmeister.
„Die alten Regeln gelten nicht mehr“, erwiderte Kataraxas. „Wir sind nicht länger Bewacher der Gruft. Meine Brüder und ich haben einer Macht die Treue geschworen, die es nicht mehr gibt. Stattdessen stehen wir nun einem Feind gegenüber, der stark genug ist, Sindra und den Rest des Kontinents zu vernichten. Ab jetzt muss jeder so handeln, wie er es selbst für richtig hält. Lunalto, du hast bewiesen, dass du der Retter Sindras sein kannst. Du stammst aus der Blutlinie des Zitaxon, und du hast dich gegen deinen Onkel durchgesetzt.“
Nun erbleichte der Jüngling zum ersten Mal. Was wusste der ehemalige Bewacher der Gruft? Lunalto und seinem Onkel standen von der Abstammung her als Einzigen nach dem Tod Jekisebeks das Amt des Hafenmeisters zu, nachdem Lunaltos Vater zwölf Jahre zuvor einer der heimlichen Säuberungsaktionen Jekisebeks zum Opfer gefallen war. Der frühere Hafenmeister hatte mit Hilfe gedungener Mörder jeden ausgeschaltet, den er als Gefahr für sein Machtstreben ansah. Nach dem Tod seines Vaters tauchte Lunalto in den Wäldern nahe der Provinz Yacudac unter, um sich vor den Nachstellungen Jekisebeks in Sicherheit zu bringen. Während dieser Zeit gewöhnte er sich allmählich daran, unerbittlich mit Bedrohungen umzugehen und rücksichtslos, um das eigene Überleben zu kämpfen. Als sich ihm schließlich die Gelegenheit bot, nach der Ermordung des bisherigen Amtsinhabers zum drittstärksten Mann Sindras aufzusteigen, nutzte er sie mit der ihm inzwischen eigenen Skrupellosigkeit. Im Gegensatz zu Jekisebek brauchte er keine gedungenen Mörder, um sich seines Onkels zu entledigen. In den Wäldern bei Yacudac hatte er gelernt, solche Dinge eigenhändig zu erledigen und alle Spuren zu verwischen. Nach dem Ableben des Onkels ließen die alten Gesetze Sindras dem Hochkönig keine andere Wahl, als Lunalto zum Hafenmeister von Dukhul zu ernennen.
Mit der Ernennung Baron Schaddochs zum Statthalter von Doinat hatte Yxistradojn bereits einmal gegen diese Gesetze verstoßen. Er rechtfertigte dies mit der uralten Prophezeiung einer legendären Seherin. Das einfache Volk hatte er damit zunächst überzeugt. In der Oberschicht des Landes griff jedoch zusehends Unzufriedenheit um sich. Dass ein ungeliebter Fremder, der zudem nur selten im Land weilte, eine Schlüsselposition der Macht innehatte, rief Neid und Misstrauen hervor. Diese Ablehnung wog schwerer als eine alte Prophezeiung, deren Richtigkeit inzwischen ohnehin bezweifelt wurde. Zunehmend wurden Stimmen laut, die die Ankündigung der Seherin in das Reich der Fabel verwiesen und behaupteten, Yxistradojn selbst habe sie erfunden. Im Stillen begann sich Widerstand gegen den Hochkönig zu regen. Noch verhinderte seine Freundschaft mit dem König von Yacudac, vor allem aber die Tatsache, dass kein würdigerer Regent in Sicht war, einen Aufstand.
Durch die Mitteilung Larradanas kannten die einstigen Bewacher der Gruft die unvorstellbare Welle der Bedrohung, die auf den Kontinent zurollte. Kataraxas beschloss, entweder unterzugehen oder aus dem endgültigen Kampf als Sieger hervorzutreten und die Dynastie des Zitaxon durch seine eigene Dynastie zu ersetzen. Sein Spiel begann in diesem Augenblick. Er wusste genau, dass das Machtstreben des Hafenmeisters keine Grenzen kannte. Zu lange hatte sich der junge Mann unter den widrigsten Bedingungen in der Wildnis der Wälder durchgeschlagen. Jetzt schien er bereit, diese Erfahrungen in einen Kampf auf höchster Ebene einzubringen. Einen besseren Verbündeten konnte sich Kataraxas nicht vorstellbar. Den eigentlichen Ausschlag gab dabei aber nicht etwa eine Eigenschaft,