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Die Gilde der Seelenlosen. Eckhard Bausch
Читать онлайн.Название Die Gilde der Seelenlosen
Год выпуска 0
isbn 9783947721238
Автор произведения Eckhard Bausch
Жанр Языкознание
Серия Die Dunstein-Chroniken
Издательство Bookwire
Zyrkol klappte das Buch zu und legte es beiseite. Nachdenklich betrachtete er noch eine Weile den schweren Ledereinband. Dann sah er die Zwillinge an, die sich inzwischen an der gegenüberliegenden Seite des Tisches niedergelassen hatten.
„Was haltet ihr davon?“, wollte er wissen.
Orhalura und Teralura saßen wie versteinert da. In ihren Augen stand blankes Entsetzen.
Schließlich griff Teralura wortlos in die Seitentasche ihres kurzen Kittels, zog vier kleine Gegenstände hervor und legte sie vorsichtig auf die Tischplatte. Sie waren oval geformt und bestanden aus einem mattschwarzen, fremdartigen Material. An etlichen Stellen der Oberfläche befanden sich kleine, runde Punkte, die wie farbiges Glas wirkten.
Orhalura förderte ein zusammengerolltes Schreiben zutage und öffnete die Banderole, die es zusammengehalten hatte. Die Zwillinge verständigten sich mit einem kurzen Blick, dann sagte Teralura: „Der Ritter mit der goldenen Rüstung ist tot. Die Apokalypse hat begonnen.“
Zyrkol zog den Brief zu sich heran und las:
„Orhalura und Teralura, euer Schicksal ist eng verwoben mit den verflochtenen Weiden von Bogogrant. Die Zwillingsweide ist ein Baum der Seelen. Ich bitte euch, sie vor der Invasion des Bösen zu beschützen, die über den Kontinent hereinbrechen wird. Dafür benötigt ihr die vier Gegenstände, die diesem Brief beigefügt sind. Geht nach Bogogrant und vergrabt sie rund um die verflochtenen Weiden in einer Tiefe von mindestens zwei Metern. Sie sollen ein Quadrat bilden und von der Zwillingsweide einen Abstand von mindestens achtzig Metern haben. Ein grässliches Wesen wird kommen, um den Baum und den Stein der Seelen zu vernichten. Haltet euch von ihm fern! Es hat keine Seele und wurde allein dazu geschaffen, Tod und Verderben zu bringen. Ihr erkennt es an seinem fahlen Gesicht und den glänzend schwarzen Haaren. Möget ihr dem Untergang entgehen!“
Der Brief trug keine Unterschrift.
Wie zuvor die Zwillinge, erkannte Zyrkol auf Anhieb den grausigen Zusammenhang zwischen der Textstelle im „Buch der Vorzeit“ und dem soeben gelesenen Brief. Seine Gedanken schweiften ab nach Dunculbur. Schon immer hatte er den Verdacht gehegt, dass es sich auch bei dem riesigen Ölbaum im Innenhof des Monasteriums um einen Baum der Seelen handelte. Musste er nicht auch geschützt werden? Dann aber wurde dem Rektor schlagartig klar, dass die Zweige des Baumes bis in den umlaufenden Wandelgang hingen. Die Entfernung des Stammes zu den Wänden betrug nicht annähernd achtzig Meter.
*
„Wir sind nun in Kerdaris“, stellte Septimor überflüssigerweise fest und deutete auf die Bergkuppe mit den weißen Türmen, Kuppeln und Brücken.
„Ich habe es bemerkt“, lächelte Grakinov, der den Grund für die Äußerung des Eisgrafen natürlich sofort durchschaut hatte, aber nicht darauf einging.
„Sie haben versprochen, mir jetzt Fragen zu beantworten“, beharrte Septimor.
„Sie haben mich missverstanden“, widersprach der weißhaarige Einsiedler. „Ich werde Ihnen Ihre Fragen in der Krypta beantworten. Erst wenn ich den Raum betreten kann, werde ich Gewissheit haben.“
„Sie haben das Wort eines Eisgrafen“, protestierte Septimor.
„Darum geht es nicht“, stellte Grakinov klar. „Ich zweifle nicht daran, dass Sie mir den Zutritt ermöglichen. Aber erst wenn ich in der Krypta bin und die notwendigen Feststellungen treffen kann, werde ich überhaupt in der Lage sein, Ihnen die gewünschten Auskünfte zu geben.“ Inzwischen waren die beiden Männer am Tor der einstigen Tempelanlage angelangt, die nun dem Fürsten zu Kerdaris als Herrschaftssitz diente. Die Torwächter hatten Septimor bereits erkannt und zogen das Fallgitter hoch. Ächzend und rasselnd glitten die eisenbeschlagenen Holzbohlen des Gatters an den Ketten in die Höhe und gaben den Zugang zum ersten Turm frei.
Septimor und Grakinov saßen von ihren Pferden ab und übergaben die Zügel zwei herbeigeeilten Dienern. Der Eisgraf schritt voran und geleitete seinen eigentümlichen Gast über mehrere Brücken und durch mehrere Türme in einen der großen Kuppelbauten. Grakinov folgte dem Zwillingsbruder des Fürsten auf dem Fuß. Unter normalen Umständen hätte er sicherlich die kunstfertigen Stuckarbeiten und die fremdartig anmutenden Wasserspeier bewundert, aus denen überall in den Korridoren Fontänen und Wasserstrahlen in Marmorbecken und Abflussrinnen plätscherten. Derzeit schenkte er aber all diesen Dingen keine Beachtung, weil seine innere Anspannung ins Unermessliche stieg, obgleich er sich äußerlich nichts anmerken ließ.
Vor der Pforte der Krypta mit den Schwertwappen verhielt Septimor seine Schritte.
„Ich muss den Schlüssel holen“, erklärte er knapp und schickte sich an, die Gemächer seines Zwillingsbruders aufzusuchen. „Sie können hier warten.“
„Die Tür ist offen“, entgegnete Grakinov, ohne dass er die Pforte überhaupt berührt hatte. Septimor starrte ihn verwirrt an und überlegte, ob er auf diese Bemerkung tatsächlich eingehen sollte. Fast unwillkürlich ergriff er den Riegel. Der erwartete Widerstand blieb aus. Die Pforte schwang leise knirschend auf. Trotz des trüben Dämmerlichts im Inneren der Krypta konnte man die goldene Rüstung des Ahnherrn deutlich erkennen. Der Eisgraf fühlte einen innerlichen Stich. Aufgrund seiner Begegnung mit dem falschen Mulmok war er felsenfest davon überzeugt gewesen, den Harnisch hier nicht mehr vorzufinden. Zögernd betrat er den großen, kühlen Raum. Auch Grakinov trat ein. Septimor schloss die Pforte. Die Kerzen in den Wandlaternen flackerten unruhig. Zuckende Lichtkegel schienen der Rüstung ein gespenstisches Leben einzuhauchen. Selbst der durch zahlreiche außergewöhnliche Ereignisse abgebrühte Eisgraf fühlte sich plötzlich in diesem Raum unbehaglich.
Grakinov ging mit langsamen Schritten zu der goldenen Rüstung und umrundete sie. Dabei ließ er sich viel Zeit. Sein Blick schien jede Einzelheit aufsaugen zu wollen. Der Eisgraf stand unentschlossen daneben und ließ ihn gewähren. Schließlich trat der Borthuler zur Seite und richtete seinen Blick auf Septimor. Weder seine Augen noch seine Stimme spiegelten seine innere Erregung als er leise feststellte: „Die goldene Rüstung ist stark angestaubt. Sie wurde lange Zeit nicht benutzt.“
Die beiden Männer maßen sich mit abschätzenden Blicken. Grakinov bemerkte das Misstrauen in den Augen des anderen.
„Nicht diese Rüstung hat der Mann getragen, den Sie getötet haben“, hallten seine Worte durch die Krypta. „Um es mit Ihren Worten zu sagen: Seine Rüstung war ein Trugbild.“
Septimors Verblüffung kannte keine Grenzen, als er die Tragweite dieser Aussage begriff. Woher wusste Grakinov von der Tötung jenes rätselhaften Wesens? Er schob diese Frage jedoch beiseite.
„Ich habe die Rüstung gesehen“, beharrte er.
„Sie haben nur ein Abbild dieser Rüstung gesehen“, widersprach Grakinov. „Blendwerk! Genauso wie Sie auch nur das Abbild eines Lumburiers gesehen haben.“
Septimor hielt den Atem an. Dann stieß er hervor: „Wer sind Sie?“
Grakinov breitete hilflos die Arme aus und schüttelte den Kopf. „Ich bin nur ein Einsiedler“, versicherte er. „Ich habe jedoch während meines langen Lebens tiefe Einblicke in das Geflecht der alten Wesenheiten gewonnen. Sie sollten mir einfach vertrauen. Nur wenn Sie das tun, kann ich Ihnen helfen.“
Der Eisgraf erkannte sofort, dass sich hinter den Worten des Einsiedlers viel mehr verbarg als er zu sagen bereit war. Dennoch entschloss er sich, ihm zu vertrauen. Grakinov lächelte, während ihm Septimor seine Überlegungen und seinen Entschluss unumwunden mitteilte.
„Gut“, sagte er, „dann werde ich Ihnen jetzt einige Antworten geben. Das Wesen, das Sie getötet haben, sollte in dieser Welt eine wichtige Aufgabe erfüllen. Sein Tod wird unweigerlich eine Welle der Vernichtung auslösen.