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Weise hätte gefährden können.

      Sein Gang zur Senke von Tarrda endete abrupt und völlig unvorhergesehen. Für den Deltong fühlte es sich an, als sei er gegen ein engmaschiges Netz aus glühenden Fasern gelaufen. Blitze zuckten knisternd im gesamten Bereich seines Körpers auf. Funken sprühten nach allen Seiten. Winzige, rote Quadrate bedeckten seine Kleidung und fraßen sich in seinen Körper. Mit zunehmender Tiefe verdichteten sie sich und versengten seine inneren Organe.

      Seine unbestechliche Logik wurde dem Deltong zum Verhängnis. Er war von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Den Fehler in dieser Rechnung hatten aber nicht einmal die Schöpfer selbst vorausahnen können.

      Hätte der Seelenlose die Wurzel des Eisbaums erreicht, wäre er nicht mehr aufzuhalten gewesen. Stattdessen tappte er unmittelbar vor seinem Ziel in eine Falle. Seine letzten Gedankengänge wurden erneut von einer unumstößlichen Folgerichtigkeit geprägt: Offenbar musste jemand auf dem Kontinent mit der Denkweise der Schöpfer und ihrer Geschöpfe bestens vertraut sein. Oder stammte die Falle noch aus einer längst vergangenen Zeit und galt jemand anderem? Aber wem? Für die Menschen war sie offensichtlich unschädlich, denn sie reagierte auf eine Ausstattung, die kein Mensch besaß.

      *

      „Dies ist eine Begegnungsstätte, die zu einer friedlichen Verständigung der Völker beitragen soll“, erklärte Telimur eindringlich. „Selbst wenn wir Sie unterstützen wollten, hätten wir nicht die dafür notwendigen Mittel.“

      Damit gaben sich die beiden Besucher jedoch nicht zufrieden.

      „Wir sind von sehr weit hergekommen, um Ihre Hilfe zu erbitten“, appellierte der Kapitän aus Lokhrit. „Mir ist durchaus bewusst, dass Sie uns keine Armee zur Verfügung stellen können. Darum geht es aber auch nicht. Immerhin haben Sie mächtige Freunde.“ Er deutete mit einer vielsagenden Geste zur Tür, durch die gerade Ardenastra und Unitor eintraten.

      „Worum geht es?“, wollte die Herzogin wissen.

      In kurzen Worten schilderte der lokhritische Seefahrer, der sich in Begleitung eines Shondo befand, seine Geschichte zum zweiten Mal: „Ich habe zusammen mit vier anderen Schiffen der lokhritischen Flotte eine Sklaven-Galeere aufgebracht, die für den Schnorst von Oot Shondo nach Surdyrien transportieren sollte. Mein Begleiter hier war einer dieser Gefangenen. Er hat mir berichtet, dass Baradia und Uggx gemeinsam mit einem Schiffsbesitzer aus Lumbur-Seyth einen Seehafen oberhalb des Paradieses der Küste bauen, der vorwiegend diesem Sklavenhandel dienen soll. Baradia hat ihr Monasterium zu einer riesigen Befestigungsanlage umbauen lassen. Uggx hat ein Heer aus Shondo aufgestellt, mit dessen Hilfe er den Hafen und das Monasterium schützt, um weiterhin ungestört seinen Sklavenhandel betreiben zu können. Die Sklaverei verstößt gegen die Grundsätze der Menschlichkeit. Außerdem vertritt der Hafenmeister von Lohidan die Meinung, dass das Heer der Shondo eine Bedrohung für Lokhrit darstellt.“

      „Ich kenne Uggx“, erklärte Unitor und dachte an die Zeit zurück, in der er an der Seite des Shondo gegen die Obesier gekämpft hatte. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er eine Bedrohung für Ihr Land darstellt.“

      „Seit Berion nicht mehr lebt, hat sich der Schnorst von Oot verändert“, warf der Begleiter des Lokhriters ein. „Meine Leute behaupten, dass er schon immer hauptsächlich seine eigenen Ziele verfolgt hat. Das muss damit zusammenhängen, dass er und Baradia nicht altern. Es gibt anscheinend einen Pakt zwischen dem Schnorst von Oot und der „Gütigen Frau“. Nicht nur mein eigenes Volk, sondern auch die Steppenmenschen werden von den beiden verraten und unterjocht. Wir müssen sie aufhalten, bevor es in Oot zu einem schrecklichen Krieg kommt.“

      „Es tut mir leid“, wiederholte Telimur. „Wir können euch nicht helfen.“

      „Vielleicht können wir das doch“, meinte Unitor. „Wir haben zwar keine Armee, aber möglicherweise können wir euch bei dem Versuch unterstützen, eure Schwierigkeiten selbst zu lösen. Einem meiner Vorfahren, Gundur zu Drinh, ist es gelungen, allein mit der Macht des Wortes die drei Nordlande zu vereinen. Es gibt Novizen in Rabenstein, die ich aufgrund ihrer Lebenserfahrung und ihrer Belesenheit für fähig genug halte, in Oot etwas zu bewirken.“

      „Du denkst an Yruk und Drak“, erriet Telimur.

      „Ja. Als Abkömmlinge von Eingeborenen wären sie die erste Wahl“, bestätigte Unitor. „Es entspricht doch der Tradition dieser Schule, dass die Novizen eine Aufgabe erledigen müssen, um zu vollwertigen Mitgliedern der Gemeinschaft von Rabenstein aufzusteigen. Yruk und Drak brennen schon lange darauf, sich zu bewähren. Schicke sie nach Oot!“

      Telimur griff den Gedanken seines Freundes sofort auf. Auch er traute den beiden Shondo zu, in Oot eine Wendung zum Besseren bewirken zu können. Wenn es ihnen gelänge, die sittlichen Maßstäbe dort wieder ins Lot zu bringen, würden sie dadurch wahrscheinlich einen Krieg verhindern.

      Zur gleichen Zeit befand sich jedoch ein weiterer Mann auf dem Weg nach Oot. Seine Haut war nicht schwarz wie die der Shondo, wohl aber seine Haare und seine Kleidung. Er strebte auch keine Veränderung der sittlichen Maßstäbe an. Er hatte nicht einmal eine Vorstellung davon, worum es sich bei sittlichen Werten überhaupt handelte. Dafür hatte er umso genauere Vorstellungen davon, was dort zerstört werden musste.

      *

      Ein kurzer Ruck verriet Eftian, dass ein Fisch angebissen hatte. Da er einen Gefleckten Pilgrim als Köderfisch benutzte, handelte es sich bei dem Fang mit Sicherheit um einen der großen, schmackhaften Flusskarpfen. Es kostete den Fischer einen erheblichen Kraftaufwand, die Angel festzuhalten. Die mehr als fingerdicke Rute aus einem Stämmchen des Sorkar-Strauchs bog sich bereits gefährlich durch.

      Der hagere Mann stellte sich auf einen langwierigen Zweikampf mit dem armlangen Karpfen ein, der gewiss mehr als ein Drittel von Eftians eigenem Gewicht wog. Die dünne Tegkhra-Leine würde zweifellos halten. Aber galt das auch für die Sorkar-Rute, deren Krümmung nochmals verdächtig zugelegt hatte?

      Aus den Augenwinkeln erfasste der Fischer die zierliche Gestalt, die neben ihm mit zwei schnellen Schritten in das seichte Wasser des Uferbereichs trat und die Angelleine ergriff. Der schwere Fisch sprang zappelnd aus dem träge dahinfließenden Gewässer, während der Fremde zurück zur Uferböschung lief und die Leine hinter sich her zog. Das geschah so entspannt, als würde kein riesiger Karpfen am Haken verbissen um sein Leben kämpfen. Bewegungslos und bass erstaunt sah Eftian zu, wie der weißhäutige Mann mit den goldenen Locken den Fisch scheinbar ohne Kraftaufwand unbeirrt aus dem Wasser zog. Mit einem eleganten Schwung warf er ihn dem Angler vor die Füße.

      Ein kurzer Blick bestätigte Eftian, dass es sich um ein kapitales Exemplar handelte. Dann nahm er sich die Zeit, den Fremden genauer anzuschauen. Obgleich der Fischer angesichts der gelben Augen mit den schwarzen Sehschlitzen so etwas wie einen inneren Schlag verspürte, blieb er äußerlich völlig gelassen.

      Eftians ausgebleichte, abgewetzte Kleidung war an etlichen Stellen nur notdürftig zusammengeflickt. Er ging barfuß, und das leicht angerostete Fischmesser, mit dem er seinen Fang tötete und ausnahm, schien sein einziger nennenswerter Besitz zu sein. In seinen dunklen Augen lag jedoch ein wacher und aufmerksamer Ausdruck.

      „Bist du Eftian, der die Versammlungen der Flussfischer leitet?“, fragte der Weiße Mann.

      „Ja, das bin ich“, antwortete der Fischer. „Und wer bist du?“

      „Mein Name ist Dorothon“, entgegnete der Fremde mit den goldenen Locken. „Ich habe eine Bitte.“

      Eftian lächelte und sah an sich herab: „Ich wüsste nicht, was ich dir geben könnte.“

      „Ich befinde mich zusammen mit drei Gefährten auf der Flucht“, erklärte der Weiße Mann. „Wir mussten Sindra verlassen und sind nun hier in einem fremden Land, das uns völlig unbekannt ist. Meine Begleiter stammen aus Sindra, Borgoi und Obesien. Wir suchen nach einem Ort, an dem wir uns vorübergehend verstecken können.“

      „Fische und Gastfreundschaft sind die einzigen Güter, die wir Fremden anbieten können“, erwiderte Eftian. „Die meisten von uns besitzen nichts weiter als das eigene Leben. Ist es in Gefahr,

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