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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
»Ach die?« unterbrach ihn der Baron, noch wutzitternd, »die ist mir ganz gleichgültig. Es ist Julius, der mich so wütend macht. Es ist schändlich, was er da gemacht hat und ich will meine Tochter mit mir nehmen.«
Sich immer mehr in die Hitze redend, ging er auf und ab. »Es ist infam, meine Tochter so zu hintergehen, infam! Er ist ein Lump, dieser Mensch, eine Canaille, ein Elender; aber ich werde es ihm sagen, ich werde ihn züchtigen, ihn mit meinem Degen umbringen!«
Der Pfarrer nahm, neben der trostlosen Baronin stehend, bedächtig eine Priese und suchte seines Amtes als Friedensspender zu walten. »Sehen Sie, Herr Baron, er hat es, unter uns gesagt, gemacht wie alle Welt. Kennen Sie viele Ehemänner, die treu sind?« Und mit etwas boshafter Harmlosigkeit fügte er hinzu: »Sicher, ich wette, dass Sie selbst auch so Ihre kleinen Scherze gehabt haben. Schauen Sie, Hand aufs Herz, ob ich nicht recht habe.«
Der Baron war überrascht stehen geblieben und schaute dem Priester ins Gesicht, der ruhig fortfuhr:
»Nun ja, Sie haben es gemacht wie alle anderen. Wer weiß, ob Sie nicht auch mal so eine leckere Frucht gekostet haben, wie diese da. Ich sage Ihnen, alle Welt treibt es so. Ihre Frau ist darum nicht weniger glücklich und weniger geliebt gewesen, nicht wahr?«
Der Baron wusste wirklich nicht, was er antworten sollte.
Wahrhaftig, in der Tat, er hatte es ebenso gemacht und recht oft sogar, so hinge er gekonnt hatte. Auch er hatte sein eigenes Haus nicht rein gehalten. Wenn die Zofen seiner Frau halbwegs hübsch waren, so hatte er sich nicht lange bedacht. War er deshalb ein schlechter Mensch? Warum beurteilte er Julius’ Aufführung so streng, während er für die seinige doch stets eine Entschuldigung gefunden hatte?
Der Baronin schwebte mitten zwischen ihrem krampfhaften Schluchzen doch ein Lächeln auf den Lippen, wenn sie an die kleinen Vergesslichkeiten ihres Gatten dachte. Sie war eine von jenen sentimentalen, schnell erregbaren und zugleich nachsichtigen Naturen, für welche Liebes-Abenteuer das halbe Leben ausmachen.
Johanna lag indessen mit offenen Augen, die Arme unter dem Kopf gekreuzt, auf ihrem Kissen und starrte, in schmerzliches Nachdenken versunken, vor sich hin. Ein Wort Rosaliens kam ihr immer wieder in den Sinn, das sie tief verletzt hatte und ihr einen Stich ins Herz gab: »Ich wollte nichts sagen, er war so nett und gut.«
Auch sie hatte ihn nett und gut gefunden und nur deshalb hatte sie sich ihm ergeben, sich ihm fürs ganze Leben verbunden, auf jede andere Hoffnung, auf alle ihre Jugendträume, auf alle unbekannten Erwartungen verzichtet. Sie hatte sich in diese Ehe gestürzt, in dieses grundlose Loch, um in dieses Elend zu geraten, in diese trostlose, verzweifelnde Lage, weil sie, wie Rosalie, ihn so nett und gut gefunden hatte.
Die Türe flog mit einem heftigen Stosse auf und Julius trat ein, das Antlitz vor Wut entstellt. Er hatte Rosalie jammernd auf der Treppe gefunden und wollte sich nun selbst überzeugen. Er ahnte, dass irgendetwas vorgefallen war, dass das Mädchen ohne Zweifel geplaudert hatte. Der Anblick des Priesters bannte ihn auf seinen Platz.
»Was ist los? Was gibts?« fragte er mit zitternder Stimme, aber im Übrigen ruhig. Der Baron, vorhin noch so heftig, wagte nichts zu sagen; es war ihm bei den Worten des Pfarrers und dem Hinweis auf sein eigenes Beispiel nicht recht wohl zu Mute geworden. Die Mama weinte wieder stärker. Johanna hatte sich auf die Hände gestützt und betrachtete schwer atmend den, der ihr so grausames Weh verursacht hatte.
»Was es gibt?« stammelte sie. »Nun, dass wir alles wissen, dass wir Ihre ganze Schändlichkeit kennen seit … seit dem Tage, wo Sie dieses Haus betreten haben … dass das Kind dieser Zofe Ihnen gehört … wie … das meinige, … dass es Geschwister sein werden.« Und vom Übermasse des Schmerzes bewältigt, barg sie das Gesicht in die Kissen und weinte bitterlich.
Er blieb verblüfft stehen und wusste nicht, was er tun und sagen sollte.
»Nun ja, meine junge Dame«, mischte sich der Pfarrer ein, »grämen wir uns nicht so sehr; seien Sie vernünftig.« Er stand auf, näherte sich dem Bette und legte sanft seine Hand auf die Stirn der Verzweifelten. Diese milde Berührung stimmte sie seltsam weich; sie fühlte sich alsbald sprachlos, als ob diese einfache starke Hand, gewohnt Verzeihung zu spenden, Trost zu bringen, ihre Seele mit einem geheimnisvollen Frieden erfüllt habe.
»Madame«, begann der wackere Mann, bei ihr stehen bleibend, aufs Neue, »man muss stets Verzeihung üben. Sehen Sie, ein großes Unglück hat Sie betroffen; aber Gott hat in seiner Barmherzigkeit ihm ein großes Glück zur Seite gestellt, indem Sie sich Mutter fühlen. Das Kind wird Ihr Trost sein. In seinem Namen flehe ich Sie an; ich beschwöre Sie, Herrn Julius zu verzeihen. Es wird ein neues Band zwischen Ihnen bilden, ein Unterpfand seiner zukünftigen Treue. Können Sie sich von dem Herzen dessen lossagen, dessen Liebespfand Sie unter dem Herzen tragen?«
Sie antwortete nicht; sie war geknickt, von Schmerz zerrissen und zu erschöpft jetzt. Sie hatte selbst für Zorn und Abscheu keine Kraft mehr. Ihre Nerven waren abgespannt, wie langsam zerschnitten; sie fühlte kaum noch, dass sie lebte.
»Ja, sieh nur mal, Johanna!« sagte die Baronin, der jeder Groll zuwider war, und deren Seele einer andauernden Erregung unfähig blieb.
Da nahm der Pfarrer die Hand des jungen Mannes, zog ihn nahe an das Bett heran, und legte sie in die Hand seiner Frau. Er drückte beide Hände mit der seinigen, als wollte er sie endgültig vereinen, und seinen gewöhnlichen salbungsvollen Ton bei Seite lassend, sagte er mit zufriedener Miene:
»So, das wäre in Ordnung; glauben Sie nur, es wird alles gut gehen.«
Die beiden Hände, eben erst miteinander vereint, lösten sich sofort wieder. Julius wagte es noch nicht, seine Frau zu umarmen und küsste nur seine Schwiegermutter auf die Stirn. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und nahm den Arm des Barons, der es sich gern gefallen ließ, froh im Grunde genommen, dass die Geschichte so abgelaufen war. Beide gingen fort, um draussen eine Zigarre zu rauchen.
Die Kranke schlummerte vor Erschöpfung ein, während der Priester mit der Mama noch eine leise Unterhaltung hatte.
Der Abbé führte das Wort und entwickelte seine Ideen, während die Baronin zuweilen durch ein leichtes Kopfnicken ihren stummen Beifall zu erkennen