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bei den Kin­dern fängt es schon an,« sag­te er, dann erns­ter wer­dend. »Fand ich doch neu­lich auf dem Kirch­hof ein Pär­chen, das noch die Schu­le be­sucht! Ich teil­te es den El­tern mit. Wis­sen Sie, was ich zur Ant­wort er­hielt? »Was soll man ma­chen, Herr Pfar­rer? Wir ha­ben ih­nen die­se Schmut­ze­rei nicht bei­ge­bracht; wir kön­nen nichts da­für.« Se­hen Sie, Herr Baron, Ihr Mäd­chen hat es ge­macht, wie die an­de­ren auch …«

      »Ach die?« un­ter­brach ihn der Baron, noch wut­zit­ternd, »die ist mir ganz gleich­gül­tig. Es ist Ju­li­us, der mich so wü­tend macht. Es ist schänd­lich, was er da ge­macht hat und ich will mei­ne Toch­ter mit mir neh­men.«

      Sich im­mer mehr in die Hit­ze re­dend, ging er auf und ab. »Es ist in­fam, mei­ne Toch­ter so zu hin­ter­ge­hen, in­fam! Er ist ein Lump, die­ser Mensch, eine Ca­nail­le, ein Elen­der; aber ich wer­de es ihm sa­gen, ich wer­de ihn züch­ti­gen, ihn mit mei­nem De­gen um­brin­gen!«

      Der Pfar­rer nahm, ne­ben der trost­lo­sen Baro­nin ste­hend, be­däch­tig eine Prie­se und such­te sei­nes Am­tes als Frie­dens­spen­der zu wal­ten. »Se­hen Sie, Herr Baron, er hat es, un­ter uns ge­sagt, ge­macht wie alle Welt. Ken­nen Sie vie­le Ehe­män­ner, die treu sind?« Und mit et­was bos­haf­ter Harm­lo­sig­keit füg­te er hin­zu: »Si­cher, ich wet­te, dass Sie selbst auch so Ihre klei­nen Scher­ze ge­habt ha­ben. Schau­en Sie, Hand aufs Herz, ob ich nicht recht habe.«

      Der Baron war über­rascht ste­hen ge­blie­ben und schau­te dem Pries­ter ins Ge­sicht, der ru­hig fort­fuhr:

      »Nun ja, Sie ha­ben es ge­macht wie alle an­de­ren. Wer weiß, ob Sie nicht auch mal so eine le­cke­re Frucht ge­kos­tet ha­ben, wie die­se da. Ich sage Ih­nen, alle Welt treibt es so. Ihre Frau ist dar­um nicht we­ni­ger glück­lich und we­ni­ger ge­liebt ge­we­sen, nicht wahr?«

      Der Baron wuss­te wirk­lich nicht, was er ant­wor­ten soll­te.

      Wahr­haf­tig, in der Tat, er hat­te es eben­so ge­macht und recht oft so­gar, so hin­ge er ge­konnt hat­te. Auch er hat­te sein ei­ge­nes Haus nicht rein ge­hal­ten. Wenn die Zo­fen sei­ner Frau halb­wegs hübsch wa­ren, so hat­te er sich nicht lan­ge be­dacht. War er des­halb ein schlech­ter Mensch? Wa­rum be­ur­teil­te er Ju­li­us’ Auf­füh­rung so streng, wäh­rend er für die sei­ni­ge doch stets eine Ent­schul­di­gung ge­fun­den hat­te?

      Der Baro­nin schweb­te mit­ten zwi­schen ih­rem krampf­haf­ten Schluch­zen doch ein Lä­cheln auf den Lip­pen, wenn sie an die klei­nen Ver­ge­ss­lich­kei­ten ih­res Gat­ten dach­te. Sie war eine von je­nen sen­ti­men­ta­len, schnell er­reg­ba­ren und zu­gleich nach­sich­ti­gen Na­tu­ren, für wel­che Lie­bes-Aben­teu­er das hal­be Le­ben aus­ma­chen.

      Jo­han­na lag in­des­sen mit of­fe­nen Au­gen, die Arme un­ter dem Kopf ge­kreuzt, auf ih­rem Kis­sen und starr­te, in schmerz­li­ches Nach­den­ken ver­sun­ken, vor sich hin. Ein Wort Ro­sa­li­ens kam ihr im­mer wie­der in den Sinn, das sie tief ver­letzt hat­te und ihr einen Stich ins Herz gab: »Ich woll­te nichts sa­gen, er war so nett und gut.«

      Auch sie hat­te ihn nett und gut ge­fun­den und nur des­halb hat­te sie sich ihm er­ge­ben, sich ihm fürs gan­ze Le­ben ver­bun­den, auf jede an­de­re Hoff­nung, auf alle ihre Ju­gendträu­me, auf alle un­be­kann­ten Er­war­tun­gen ver­zich­tet. Sie hat­te sich in die­se Ehe ge­stürzt, in die­ses grund­lo­se Loch, um in die­ses Elend zu ge­ra­ten, in die­se trost­lo­se, ver­zwei­feln­de Lage, weil sie, wie Ro­sa­lie, ihn so nett und gut ge­fun­den hat­te.

      Die Türe flog mit ei­nem hef­ti­gen Stos­se auf und Ju­li­us trat ein, das Ant­litz vor Wut ent­stellt. Er hat­te Ro­sa­lie jam­mernd auf der Trep­pe ge­fun­den und woll­te sich nun selbst über­zeu­gen. Er ahn­te, dass ir­gen­det­was vor­ge­fal­len war, dass das Mäd­chen ohne Zwei­fel ge­plau­dert hat­te. Der An­blick des Pries­ters bann­te ihn auf sei­nen Platz.

      »Was ist los? Was gibts?« frag­te er mit zit­tern­der Stim­me, aber im Üb­ri­gen ru­hig. Der Baron, vor­hin noch so hef­tig, wag­te nichts zu sa­gen; es war ihm bei den Wor­ten des Pfar­rers und dem Hin­weis auf sein ei­ge­nes Bei­spiel nicht recht wohl zu Mute ge­wor­den. Die Mama wein­te wie­der stär­ker. Jo­han­na hat­te sich auf die Hän­de ge­stützt und be­trach­te­te schwer at­mend den, der ihr so grau­sa­mes Weh ver­ur­sacht hat­te.

      »Was es gibt?« stam­mel­te sie. »Nun, dass wir al­les wis­sen, dass wir Ihre gan­ze Schänd­lich­keit ken­nen seit … seit dem Tage, wo Sie die­ses Haus be­tre­ten ha­ben … dass das Kind die­ser Zofe Ih­nen ge­hört … wie … das mei­ni­ge, … dass es Ge­schwis­ter sein wer­den.« Und vom Über­mas­se des Schmer­zes be­wäl­tigt, barg sie das Ge­sicht in die Kis­sen und wein­te bit­ter­lich.

      Er blieb ver­blüfft ste­hen und wuss­te nicht, was er tun und sa­gen soll­te.

      »Nun ja, mei­ne jun­ge Dame«, misch­te sich der Pfar­rer ein, »grä­men wir uns nicht so sehr; sei­en Sie ver­nünf­tig.« Er stand auf, nä­her­te sich dem Bet­te und leg­te sanft sei­ne Hand auf die Stirn der Verzwei­fel­ten. Die­se mil­de Berüh­rung stimm­te sie selt­sam weich; sie fühl­te sich als­bald sprach­los, als ob die­se ein­fa­che star­ke Hand, ge­wohnt Ver­zei­hung zu spen­den, Trost zu brin­gen, ihre See­le mit ei­nem ge­heim­nis­vol­len Frie­den er­füllt habe.

      »Ma­da­me«, be­gann der wa­cke­re Mann, bei ihr ste­hen blei­bend, aufs Neue, »man muss stets Ver­zei­hung üben. Se­hen Sie, ein großes Un­glück hat Sie be­trof­fen; aber Gott hat in sei­ner Barm­her­zig­keit ihm ein großes Glück zur Sei­te ge­stellt, in­dem Sie sich Mut­ter füh­len. Das Kind wird Ihr Trost sein. In sei­nem Na­men fle­he ich Sie an; ich be­schwö­re Sie, Herrn Ju­li­us zu ver­zei­hen. Es wird ein neu­es Band zwi­schen Ih­nen bil­den, ein Un­ter­pfand sei­ner zu­künf­ti­gen Treue. Kön­nen Sie sich von dem Her­zen des­sen los­sa­gen, des­sen Lie­bes­pfand Sie un­ter dem Her­zen tra­gen?«

      Sie ant­wor­te­te nicht; sie war ge­knickt, von Schmerz zer­ris­sen und zu er­schöpft jetzt. Sie hat­te selbst für Zorn und Ab­scheu kei­ne Kraft mehr. Ihre Ner­ven wa­ren ab­ge­spannt, wie lang­sam zer­schnit­ten; sie fühl­te kaum noch, dass sie leb­te.

      »Ja, sieh nur mal, Jo­han­na!« sag­te die Baro­nin, der je­der Groll zu­wi­der war, und de­ren See­le ei­ner an­dau­ern­den Er­re­gung un­fä­hig blieb.

      Da nahm der Pfar­rer die Hand des jun­gen Man­nes, zog ihn nahe an das Bett her­an, und leg­te sie in die Hand sei­ner Frau. Er drück­te bei­de Hän­de mit der sei­ni­gen, als woll­te er sie end­gül­tig ver­ei­nen, und sei­nen ge­wöhn­li­chen sal­bungs­vol­len Ton bei Sei­te las­send, sag­te er mit zu­frie­de­ner Mie­ne:

      »So, das wäre in Ord­nung; glau­ben Sie nur, es wird al­les gut ge­hen.«

      Die bei­den Hän­de, eben erst mit­ein­an­der ver­eint, lös­ten sich so­fort wie­der. Ju­li­us wag­te es noch nicht, sei­ne Frau zu um­ar­men und küss­te nur sei­ne Schwie­ger­mut­ter auf die Stirn. Dann dreh­te er sich auf dem Ab­satz um und nahm den Arm des Barons, der es sich gern ge­fal­len ließ, froh im Grun­de ge­nom­men, dass die Ge­schich­te so ab­ge­lau­fen war. Bei­de gin­gen fort, um draus­sen eine Zi­gar­re zu rau­chen.

      Die Kran­ke schlum­mer­te vor Er­schöp­fung ein, wäh­rend der Pries­ter mit der Mama noch eine lei­se Un­ter­hal­tung hat­te.

      Der Abbé führ­te das Wort und ent­wi­ckel­te sei­ne Ide­en, wäh­rend die Baro­nin zu­wei­len durch ein leich­tes Kopf­ni­cken ih­ren stum­men Bei­fall zu er­ken­nen

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