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brach her­ein. Die Wär­te­rin mach­te sich’s in ih­rer Nähe be­quem und ließ sie von Zeit zu Zeit trin­ken.

      Sie nahm was man ihr reich­te, ohne ein Wort zu spre­chen; aber sie schlief nicht. Sie be­müh­te sich ängst­lich nach­zu­den­ken und such­te in ih­rer Erin­ne­rung nach Din­gen, die ihr ent­gan­gen wa­ren. Es war, als ob ihr Ge­dächt­nis durch­lö­chert sei, als ob es große lee­re Stel­len ent­hal­te, auf de­nen die Er­eig­nis­se kei­nen Ein­druck hin­ter­las­sen hät­ten.

      Erst ganz all­mäh­lich mit un­ge­heu­rer An­stren­gung fand sie den Fa­den wie­der.

      Und nun ver­folg­te sie ihn mit zä­her Hart­nä­ckig­keit.

      Müt­ter­chen, Tan­te Li­son und der Baron wa­ren her­über­ge­kom­men; sie muss­te also sehr krank ge­we­sen sein. Und Ju­li­us? Was moch­te er wohl ge­sagt ha­ben? Wuss­ten ihre El­tern al­les? Und Ro­sa­lie? Wo war sie? Was soll­te nun wer­den … ja was soll­te wer­den? Da durch­blitz­te sie ein Ge­dan­ke – mit Papa und Mama nach Rou­en heim­keh­ren und zu le­ben wie frü­her. Sie wür­de Wit­we sein; das wäre al­les.

      Dann gab sie ge­nau auf al­les Acht, was um sie her­um vor­ging und was ge­spro­chen wur­de; sie ver­stand jetzt al­les, ohne es sich mer­ken zu las­sen. Ru­hig und mit ei­ner ge­wis­sen List freu­te sie sich des wie­der­keh­ren­den Be­wusst­seins.

      Ei­nes Abends end­lich fand sie sich al­lein mit der Baro­nin. »Mama!« rief sie lei­se. Sie war er­staunt beim Klan­ge ih­rer Stim­me, die ihr ganz ver­än­dert vor­kam.

      »Mein Kind, mei­ne lie­be Jo­han­na!« sag­te die Baro­nin, ihre Hän­de er­grei­fend. »Kennst Du mich denn wie­der, mein Töch­ter­chen?«

      »Ja, Mama, aber Du darfst nicht wei­nen. Wir ha­ben viel zu be­spre­chen. Hat Dir Ju­li­us ge­sagt, warum ich da­mals in den Schnee her­aus­ge­lau­fen bin?«

      »Ja, mein Kind; Du hat­test ein sehr ge­fähr­li­ches hef­ti­ges Fie­ber.«

      »Das ist et­was an­de­res, Mama; das Fie­ber habe ich erst nach­her be­kom­men. Ich mei­ne, ob er Dir ge­sagt hat, warum ich die­ses Fie­ber be­kam und wes­halb ich in den Schnee her­aus­lief?«

      »Nein, Herz­chen.«

      »Weil ich Ro­sa­lie in sei­nem Bet­te fand.«

      Die Baro­nin glaub­te, Jo­han­na fan­ta­sie­re wie­der.

      »Schla­fe lie­ber, Kind­chen«, sag­te sie schmei­chelnd. »Be­ru­hi­ge Dich und ver­su­che zu schla­fen.«

      »Aber ich bin jetzt ganz bei kla­rem Ver­stan­de«, wehr­te Jo­han­na ab, »ich rede kei­nen Un­sinn, Müt­ter­chen, wie viel­leicht in der letz­ten Zeit. Ich fühl­te mich ei­nes Abends sehr un­wohl und ging her­un­ter, um Ju­li­us zu ru­fen. Ro­sa­lie lag bei ihm im Bet­te. Ich ver­lor vor Schreck und Kum­mer den Ver­stand und bin in den Schnee hin­aus ge­lau­fen, um mich von der Küs­te ins Meer zu stür­zen.«

      »Ja, Herz­chen, Du bist krank ge­we­sen, sehr krank so­gar«, sag­te die Baro­nin aber­mals be­sänf­ti­gend.

      »Da­rum han­delt es sich nicht, Mama. Ich fand Ro­sa­lie bei Ju­li­us im Bett und will nicht län­ger bei ihm blei­ben. Wir wol­len zu­sam­men nach Rou­en zu­rück­keh­ren und dort le­ben wie frü­her.«

      »Nun ja, wie Du willst, mein Kind«, sag­te die Baro­nin, der der Arzt ans Herz ge­legt hat­te, Jo­han­na nicht zu wi­der­spre­chen.

      Aber die Kran­ke wur­de un­ge­dul­dig.

      »Ich mer­ke ganz gut, dass Du mir nicht glaubst. Ruf mir, bit­te, mal den Papa her­ein. Er wird mich schliess­lich schon ver­ste­hen.«

      Ma­ma­chen er­hob sich schwer­fäl­lig, nahm ihre bei­den Krück­stö­cke und ging schlep­pen­den Schrit­tes hin­aus. Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten kehr­te sie mit dem Baron zu­rück, der sie stütz­te.

      Sie setz­ten sich bei­de ans Bett und als­bald be­gann Jo­han­na ihre Ge­schich­te. Sie schil­der­te al­les, lang­sam, mit schwa­cher Stim­me, aber mit vol­ler Klar­heit: den ei­gen­tüm­li­chen Cha­rak­ter ih­res Man­nes, sei­ne Här­ten, sei­nen Geiz und schliess­lich sei­ne Un­treue.

      Als sie zu Ende war, sag­te sich der Baron, dass es sich hier um kei­ne Fan­tasi­en hand­le. Aber er wuss­te nicht, was er dazu den­ken und sa­gen soll­te; ge­schwei­ge denn, dass er zu ir­gend ei­nem Ent­schluss ge­kom­men wäre.

      Er nahm sie bei der Hand mit je­ner zärt­li­chen Art, mit der er sie frü­her ein­zu­schlä­fern wuss­te, wenn er ihr eine Ge­schich­te er­zähl­te.

      »Höre mich, Kind; man muss mit Klug­heit han­deln. Man darf nichts über­stür­zen. Such mit Dei­nem Man­ne aus­zu­kom­men, bis wir einen Ent­schluss ge­fasst ha­ben … Willst Du mir das ver­spre­chen?«

      »Ich ver­spre­che es Dir«, mur­mel­te sie, »aber wenn ich ge­sund bin, blei­be ich nicht län­ger hier. Wo ist Ro­sa­lie jetzt?« füg­te sie dann lei­ser hin­zu.

      »Du wirst sie nicht wie­der­se­hen«, ant­wor­te­te der Baron. Aber sie gab nicht nach.

      »Wo ist sie; ich will es wis­sen?«

      Da teil­te er ihr mit, dass sie zwar das Haus noch nicht ver­las­sen habe, dass dies aber in al­ler­nächs­ter Zeit ge­sche­hen wür­de.

      Nach­dem der Baron das Zim­mer ver­las­sen hat­te, such­te er, noch glü­hend vor Zorn und in sei­nem Va­ter­her­zen aufs tiefs­te ge­kränkt, so­fort Ju­li­us auf.

      »Ich kom­me, mein Herr«, sag­te er schroff, »um Re­chen­schaft we­gen Ihres Ver­hal­tens ge­gen­über mei­ner Toch­ter zu ver­lan­gen. Sie ha­ben sie mit ih­rer Kam­mer­zo­fe hin­ter­gan­gen. Das ist dop­pelt un­wür­dig.«

      Aber Ju­li­us spiel­te den Ge­kränk­ten. Er leug­ne­te al­les hef­tig ab, be­teu­er­te sei­ne Un­schuld und rief Gott zum Zeu­gen an. Was hat­te man denn für Be­wei­se? War Jo­han­na wirk­lich ganz bei Sin­nen? Hat­te sie nicht so­eben eine Ge­hirn-Ent­zün­dung hin­ter sich? War sie nicht beim Be­ginn ih­rer Krank­heit da­mals nachts in ei­nem Fie­ber­an­fall in den Schnee her­aus­ge­lau­fen? Und war es nicht in die­sem An­fall ge­ra­de, als sie halb­nackt durchs Haus lief und da­bei ihre Zofe im Bet­te ih­res Gat­ten ge­se­hen ha­ben woll­te?

      Er wur­de im­mer hef­ti­ger und droh­te mit ei­ner Kla­ge. Er re­de­te sich voll­stän­dig in den Zorn hin­ein. Und der Baron wur­de ganz ver­wirrt; er fing an sich zu ent­schul­di­gen, bat um Ver­zei­hung und bot schliess­lich Ju­li­us die Hand zur Ver­söh­nung, die Je­ner aber aus­schlug.

      Als Jo­han­na die Ant­wort ih­res Gat­ten er­fuhr, reg­te sie sich kei­nes­wegs auf.

      »Er lügt, Papa«, sag­te sie ein­fach, »aber wir wer­den ihn schliess­lich doch über­füh­ren.«

      Zwei Tage lang war sie schweig­sam und dach­te meis­tens still vor sich hin.

      Dann am drit­ten Tage ver­lang­te sie Ro­sa­lie zu se­hen. Der Baron woll­te das Mäd­chen nicht her­auf­ho­len las­sen; sie sei ab­ge­reist, be­haup­te­te er. Aber Jo­han­na gab nicht nach:

      »Man soll sie von zu Hau­se ho­len«, ver­lang­te sie stets aufs Neue.

      Und als der Dok­tor ein­trat, war sie be­reits sehr auf­ge­regt. Man sag­te ihm, worum es sich hand­le. Jo­han­na, an der Gren­ze ih­rer Fas­sungs­kraft an­ge­langt, fing plötz­lich hef­tig zu wei­nen an und rief im­mer wie­der:

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