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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Als dieser gegen Mitternacht ankam, erkannte er auf den ersten Blick alle Anzeichen einer Frühgeburt.
Die Schmerzen hatten zwar im Bett etwas nachgelassen; aber eine unnennbare Angst schnürte Johanna die Kehle zusammen, eine entsetzliche Schwäche lag ihr in allen Gliedern; es berührte sie etwas wie eine Vorahnung, wie das geheimnisvolle Wehen des Todes. In solchen Augenblicken spürt man seinen Hauch so nahe, dass das Herz zu Eis erstarren möchte.
Alle möglichen Leute waren in dem Zimmer. Mama ächzte atemlos und bekümmert in einem Sessel. Der Baron rannte mit zitternden Händen überall herum, brachte alles mögliche herbei und beriet sich, völlig den Kopf verlierend, mit dem Arzte. Julius marschierte im Zimmer auf und ab. Seine Miene drückte Besorgnis aus, aber sein Herz war ruhig. Die Wittwe Dentu stand am Fussende des Bettes mit erwartungsvoller Miene; ihr Gesicht war das einer erfahrenen Frau, die nichts mehr in Erstaunen setzt. Krankenwärterin, Hebamme und Leichenfrau in einer Person, war sie diejenige, in deren Händen zuerst das ankommende Menschenkind lag, die seinen ersten Schrei vernahm, es zuerst abwusch und es in die ersten Windeln legte. Mit derselben Ruhe hörte sie die letzten Worte, das letzte Röcheln, sah sie die letzten Zuckungen der Sterbenden. Und ebenso machte sie deren letzte Toilette, wusch den entseelten Körper mit Essig, und hüllte ihn in das Totenkleid. So hatte sie sich für alle Ereignisse von der Wiege bis zur Bahre einen unerschütterlichen Gleichmut angewöhnt.
Die Köchin Ludivine und Tante Lison standen etwas versteckt an der Flurtüre.
Von Zeit zu Zeit stiess die Kranke einen leisen Klagelaut aus.
In den ersten zwei Stunden schien es, als ob das Ereignis lange auf sich warten ließ. Aber, als der neue Tag anbrach, nahmen die Schmerzen eine immer heftigere Gestalt an und wurden bald geradezu furchtbar.
Während ihr unwillkürlich einzelne Schreie zwischen den zusammengepressten Lippen entschlüpften, musste Johanna immer an Rosalie denken, die fast gar nicht gelitten, fast nicht einmal geseufzt hatte, und deren Kind, der Bankert, ohne Mühen und Qualen zur Welt gekommen war.
Unaufhörlich stellte sie in ihrem armen gequälten Herzen Vergleiche an. Sie haderte mit Gott, an dessen Gerechtigkeit sie so fest geglaubt hatte. Sie zürnte über die eigenmächtige Bevorzugung des Schicksals und tadelte im Stillen das Wort derer, die Recht und Gerechtigkeit predigten.
Zuweilen wurden die Anfälle so heftig, dass sie beinahe die Besinnung verlor. Sie hatte keine Kraft, keinen Lebensmut mehr; sie fühlte nur noch ihre furchtbaren Schmerzen.
In den Augenblicken der Ruhe musste sie stets den Blick auf Julius richten. Dann drang ein anderer Schmerz, ein geistiger, ihr durch die Seele. Sie erinnerte sich des Tages, wo ihre Zofe zu Füssen eben dieses Bettes gelegen hatte, ihr Kind im Schosse, den Bruder des kleinen Wesens, das so grausam jetzt ihr Inneres zerriss. Vor ihren Augen standen noch lebhaft alle Blicke, alle Bewegungen alle Worte ihres Gatten beim Anblick dieses Mädchens. Und jetzt las sie auf seinem Gesichte, als wären seine Gedanken darauf ausgeprägt, denselben Verdruss, dieselbe Gleichgültigkeit gegen sie wie gegen die andere, dieselbe Unzufriedenheit eines Egoisten, den der Gedanke ärgert, Vater zu sein.
Aber ein neuer furchtbarer Krampf ergriff sie, ein Krampf so grausig, dass sie sich sagte: »Ich muss sterben; das ist der Tod.« Dann erfüllte ihre Seele eine wilde Erregung, ein Bedürfnis zu schimpfen, ein grenzenloser Hass gegen diesen Mann, der sie ins Unglück gestürzt hatte, und auch gegen das Kind, das sie tötete.
Sie quälte sich mit furchtbarer Anstrengung diese Bürde loszuwerden. Plötzlich schien es ihr, als ob ihr ganzes Innere sich gewaltsam erweiterte. Dann ließ der Schmerz nach.
Die Wärterin und der Arzt hatten sich über sie gebeugt, und tasteten an ihr herum. Sie nahmen irgendetwas fort und dasselbe kollernde Geräusch, welches sie damals schon gehört hatte, ließ sie erschaudern. Dann drang ihr dieser schmerzliche Schrei, dieses schwache Wimmern eines neugeborenen Kindes durchs Herz, ihr ganzer ermatteter Körper erbebte davon. Mit einer fast unbewussten Gebärde breitete sie die Arme aus.
Sie empfand plötzlich eine innige Freude, eine Sehnsucht nach einem neuen Glück, das ihr entstanden war. Sie fühlte sich in einem Augenblick wie umgewandelt, beruhigt; so glücklich, wie sie noch nie gewesen war. Geist und Körper lebten wieder auf; sie fühlte sich Mutter!
Nun wollte sie auch gern ihr Kind sehen. Es hatte noch keine Haare und keine Nägel, da es viel zu früh gekommen war. Aber als sie sah, wie dieses Würmchen sich bewegte, wie es den Mund öffnete und sein Gewimmer ausstiess, als sie dieses hässliche runzlige verkümmerte Wesen berührte und Leben in ihm spürte, da wurde sie von einer unwiderstehlichen Freude ergriffen. Sie fühlte sich gerettet, gesichert vor jeder Verzweiflung; denn sie hielt da etwas in ihren Händen, über dessen Liebe sie alles andere vergessen würde.
Von da an hatte sie nur noch einen Gedanken! Ihr Kind. Sie wurde plötzlich eine schwärmerische Mutter; umso schwärmerischer, als sie vorher in ihrer Liebe verletzt, in ihren Hoffnungen getäuscht worden war. Die Wiege musste immer ganz nahe an ihrem Bett stehen; dann, als sie aufstehen durfte, konnte sie tagelang am Fenster sitzen neben sich das leichte Bettchen, das sie schaukelte.
Sie war eifersüchtig auf die Amme und wenn das kleine Wesen durstig die Ärmchen nach der großen blaugeaderten Brust ausstreckte und die dunkle faltige Warze zwischen seine gierigen Lippen nahm, schaute sie bleich und zitternd, die robuste ruhige Bäuerin an, mit einem Gefühle, als müsse sie ihr das Kind entreissen und mit ihren Nägeln diese Brust zerfleischen, an der es so begierig sog.
Dann begann sie selbst zu nähen, um es in feine sorgfältig« ausgewählte Kleidchen zu stecken. Es bewegte sich in einem Meer von Spitzen und trug die kostbarsten Häubchen. Sie sprach nur von diesen Sachen, hielt in der Unterhaltung inne, um ein Wickelband, ein Lätzchen oder eine zierlich gestickte Schleife bewundern zu lassen. Sie hörte nichts von allem, was um sie vorging; sie begeisterte sich über irgend ein Wäschestück, das sie lange in der erhobenen Hand hin und herwandte, um es besser sehen zu können. Dann fragte sie plötzlich: »Glaubt Ihr, dass ihm das gut stehen wird?«
Der Baron und die Mama lächelten über diese übermässige Zärtlichkeit. Julius