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Das neue Schloss, un­ter Lud­wig XIV. er­baut, lag ganz ver­steckt in ei­nem herr­li­chen, von Mau­ern um­ge­be­nen Par­ke. Auf ei­ner An­hö­he sah man die Rui­nen des al­ten Schlos­ses. Reich ga­lo­nier­te Die­ner ge­lei­te­ten den Be­such in einen im­po­san­ten Saal. In der Mit­te des­sel­ben stand auf ei­ner Art Säu­le eine un­ge­heu­re Vase aus Sèvres; und in dem So­ckel war un­ter ei­ner Kris­tall­plat­te ein ei­gen­hän­di­ger Brief des Kö­nigs ver­wahrt, mit­tels wel­chen der­sel­be dem Mar­quis Leo­pold, Her­vé, Jo­seph, Ger­mer de Var­ne­ville de Rol­le­bosc de Cou­te­lier die­ses wahr­haft kö­nig­li­che Ge­schenk über­sand­te.

      Jo­han­na und Ju­li­us wa­ren noch in der Be­trach­tung die­ses Pracht­stückes ver­sun­ken, als der Mar­quis und die Mar­qui­se ein­tra­ten. Die Dame war stark ge­pu­dert, lie­bens­wür­dig aus Ge­wohn­heit und ge­ziert in dem Be­stre­ben her­ab­las­send zu sein. Der Herr, stark von Fi­gur mit blon­den ge­ra­deauf ste­hen­den Haa­ren, leg­te in alle sei­ne Be­we­gun­gen, in sei­ne Spra­che und in sei­ne gan­ze Hal­tung et­was Ge­mes­se­nes, um die Er­ha­ben­heit sei­ner Per­son dar­zu­tun.

      Sie ge­hör­ten zu je­ner Art von stei­fen Leu­ten, de­ren Geist, de­ren Ge­müt und Re­dens­ar­ten stets auf Stel­zen zu ge­hen schei­nen.

      Sie führ­ten al­lein das Wort, ohne lan­ge auf Ant­wor­ten zu war­ten, mit ei­nem in­dif­fe­ren­ten Lä­cheln; es war, als be­trach­te­ten sie es als eine ih­nen durch Ge­burt auf­er­leg­te Pf­licht, die klei­nen Edel­leu­te der Um­ge­gend höf­lich bei sich auf­zu­neh­men.

      Jo­han­na und Ju­li­us wa­ren wie er­starrt, be­müh­ten sich aber höf­lich zu sein. Es war ih­nen un­be­quem, lan­ge zu blei­ben und doch konn­ten sie den ge­eig­ne­ten Au­gen­blick zum Auf­bruch nicht fin­den. Sch­liess­lich mach­te die Mar­qui­se ih­rer­seits dem Be­such ein Ende in­dem sie mit un­ge­zwun­ge­ner na­tür­li­cher Hal­tung das Ge­spräch be­schloss, wie eine Kö­ni­gin die in höf­li­cher Form eine Au­di­enz auf­hebt.

      »Wenn es Dir recht ist,« mein­te Ju­li­us auf dem Heim­we­ge, »so ma­chen wir dort kei­nen Be­such wie­der; mir für mei­ne Per­son ge­nü­gen die Four­vil­les.« Jo­han­na stimm­te ihm völ­lig bei.

      Der De­zem­ber, die­ser fins­te­re Mo­nat, die­ses dunkle Loch am Ende des Jah­res, ging lang­sam zur Nei­ge. Das ein­sa­me Le­ben be­gann wie­der wie im vo­ri­gen Jah­re. Jo­han­na lang­weil­te sich in­des­sen kei­nes­wegs; sie war un­aus­ge­setzt mit Paul be­schäf­tigt, den Ju­li­us von der Sei­te mit un­ru­hi­ger miss­ver­gnüg­ter Mie­ne be­trach­te­te.

      Zu­wei­len, wenn die Mut­ter ihn auf den Ar­men hielt und ihn mit je­nen zärt­li­chen Schmei­che­lei­en lieb­ko­se­te, die jede Mut­ter für ihr Kind hat, zeig­te sie ihn auch dem Va­ter und sag­te: »So küs­se ihn doch mal; man soll­te wirk­lich den­ken, Du möch­test ihn nicht.« Dann be­rühr­te er ganz von Wei­tem mit sei­nen Lip­pen die glat­te Stirn des Ba­bys; aber er schnitt ein wi­der­wil­li­ges Ge­sicht dazu und beug­te sich weit vor um nur nicht die klei­nen leb­haft grei­fen­den Händ­chen an­zu­rüh­ren. Hier­auf ging er so­fort her­aus; man hät­te den­ken kön­nen, dass ein Ekel ihn fort­trie­be.

      Hin und wie­der ka­men der Maire, der Pfar­rer und der Dok­tor zum Es­sen. Zu­wei­len stell­ten sich auch die Four­vil­les ein, mit de­nen man sich im­mer mehr an­freun­de­te.

      Der Graf schi­en eine in­ni­ge Zu­nei­gung zu Paul ge­fasst zu ha­ben. Er hat­te ihn fort­wäh­rend auf dem Schos­se, selbst wenn der Be­such den gan­zen Nach­mit­tag dau­er­te. Er schau­kel­te ihn vor­sich­tig auf sei­nen großen Rie­sen­fäus­ten, kit­zel­te ihm die Na­sen­spit­ze mit sei­nen lan­gen Schnurr­bar­ten­den und küss­te ihn un­zäh­li­ge Male mit ei­ner Lei­den­schaft­lich­keit, wie eine Mut­ter sie nicht grös­ser ha­ben konn­te. Er litt un­aus­sprech­lich dar­un­ter, dass sei­ne ei­ge­ne Ehe kin­der­los blieb.

      Im März be­gann das Wet­ter, klar, tro­cken und bei­na­he mil­de zu wer­den. Grä­fin Gil­ber­te be­gann aufs neue von den Spa­zier­rit­ten zu spre­chen, die sie zu Vie­ren un­ter­neh­men woll­ten. Jo­han­na, die der lan­gen Aben­de und Näch­te und der eben­so mo­no­to­nen Tage doch et­was müde war, gab ganz ver­gnügt die­sem Pla­ne ihre Zu­stim­mung. Eine gan­ze Wo­che lang be­schäf­tig­te sie sich mit der Zu­rich­tung ih­res Reit­klei­des.

      Dann be­gan­nen die Spa­zier­rit­te. Sie rit­ten im­mer zu zwei­en, die Grä­fin mit Ju­li­us vor­aus, Jo­han­na und der Graf hun­dert Schrit­te da­hin­ter. Letz­te­re plau­der­ten harm­los wie Freun­de; denn sie wa­ren Freun­de ge­wor­den durch die Berüh­rung ih­res red­li­chen Ge­mü­tes, ih­rer ein­fa­chen See­len. Jene da­ge­gen spra­chen lei­se mit­ein­an­der, lach­ten zu­wei­len laut auf, und sa­hen sich plötz­lich an, als ob ihre Au­gen sich et­was er­zäh­len woll­ten, was der Mund nicht aus­spre­chen konn­te. Dann spreng­ten sie wie­der im Ga­lopp da­von, als woll­ten sie weit, recht weit flie­hen.

      Hin und wie­der schi­en Gil­ber­te sehr reiz­bar zu sein. Der Wind trug ihre lau­te Stim­me bis zu den Ohren der lang­sam hin­ter­drein Rei­ten­den. »Sie ist nicht im­mer gut ge­launt, mei­ne Frau«, sag­te der Graf als­dann lä­chelnd zu Jo­han­na.

      Ei­nes Abends auf dem Heim­we­ge, ha­ran­guier­te die Grä­fin ihre Stu­te be­son­ders; bald stach sie ihr den Sporn in die Flan­ke, bald riss sie hef­tig am Zü­gel. Man konn­te deut­lich hö­ren, wie Ju­li­us ihr mehr­mals sag­te: »Ge­ben Sie Acht, ge­ben Sie Acht, sie wird Ih­nen durch­ge­hen.«

      »Ei­ner­lei; das geht Sie nichts an«, ant­wor­te­te sie so herb und scharf, dass die Wor­te deut­lich über­’s Feld hall­ten als sei­en sie in der Luft auf­ge­hängt.

      Das mu­ti­ge Tier bäum­te sich schliess­lich hoch auf und biss schäu­mend auf die Stan­ge. »Gib doch Acht, Gil­ber­te«, rief der Graf aus vol­ler Lun­ge. Da hieb sie wie in ei­nem An­fall von Ra­se­rei, die nichts zu­rück­hält, zor­nig mit ih­rer Ger­te das Tier ge­ra­de zwi­schen bei­de Ohren. Die Stu­te stieg ker­zen­ge­ra­de in die Höhe, schlug einen Au­gen­blick die Luft mit den Vor­der­füs­sen, fass­te dann wie­der Bo­den, mach­te einen furcht­ba­ren Satz, und rann­te mit Auf­bie­tung al­ler Kräf­te wie toll da­von.

      Zu­erst ging es über eine Wie­se, dann über einen Sturz­a­cker, wo­bei eine Wol­ke von Staub und Schmutz sie ein­hüll­te. Sie rann­te so flüch­tig, dass man Ross und Rei­te­rin kaum noch von­ein­an­der un­ter­schei­den konn­te.

      »Ma­da­me, Ma­da­me!« rief Ju­li­us, der ganz ver­zwei­felt und ver­wirrt hal­ten blieb.

      Der Graf ließ ein lei­ses Brum­men ver­neh­men, beug­te sich über den Hals sei­nes Pfer­des, nach­dem er es mit sei­nem gan­zen Kör­per­ge­wicht vor­ge­drückt hat­te und spreng­te da­von. Er hob es mit sol­cher Kraft, trieb es mit Peit­sche Spo­re und Zu­ruf so ener­gisch vor­wärts, dass es aus­sah, als trü­ge der rie­si­ge Rei­ter das Tier zwi­schen sei­nen Schen­keln da­von. So ging es mit un­glaub­li­cher Schnel­lig­keit hin­ter ein­an­der her. Jo­han­na sah, wie ganz weit hin­ten die Schat­ten der bei­den Ehe­leu­te da­hin­flo­gen, wie sie im­mer klei­ner wur­den, bald ver­schwan­den, bald wie­der auf­tauch­ten gleich zwei Vö­geln, die sich ver­fol­gen, um end­lich sich ganz im Äther zu ver­lie­ren.

      Ju­li­us nä­her­te sich ihr, im­mer noch im Schritt und sag­te mit ganz ver­stör­ter Mie­ne: »Ich glau­be, sie ist von Sin­nen heu­te.«

      Sie rit­ten

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