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mur­mel­te er: »Jo­han­na, mein Kind; wenn Du mir fol­gen willst, so ver­bren­ne Dei­ne Brie­fe, alle Brie­fe, von Dei­ner Mut­ter, von mir, alle. Es gibt nichts Schreck­li­che­res, als die Nase wie­der in die Ju­gend­zeit zu ste­cken, wenn man alt ge­wor­den ist.« Aber Jo­han­na be­wahr­te eben­falls ihre Kor­re­spon­denz, rich­te­te sich ih­ren »Re­li­qui­en­schrein« ein, in­dem sie trotz al­ler sons­ti­gen Ver­schie­den­heit von ih­rer Mut­ter, ei­nem ge­wis­sen erb­li­chen Trie­be träu­me­ri­scher Sen­ti­men­ta­li­tät ge­horch­te.

      Ei­ni­ge Tage spä­ter muss­te der Baron in Ge­schäf­ten nach aus­wärts und reis­te ab.

      Die Jah­res­zeit war herr­lich. Lin­de ster­nen­kla­re Näch­te folg­ten den ru­hi­gen Aben­den, hei­te­re Aben­de den strah­len­den Ta­gen und die­se wie­der bra­chen mit ei­ner schim­mern­den Mor­gen­rö­te an. Müt­ter­chen be­fand sich bald bes­ser und Jo­han­na, der Lie­be­lei­en ih­res Gat­ten und Gil­ber­te’s Un­treue ver­ges­send, fühl­te sich bei­na­he von Her­zen glück­lich. Die gan­ze Flur prang­te im Blu­men­schmuck und ström­te süs­sen Duft aus. Das wei­te Meer er­glänz­te fried­lich von Mor­gen bis zum Abend un­ter der la­chen­den Son­ne.

      Ei­nes Nach­mit­tags nahm Jo­han­na Paul auf den Arm und ging ins Feld. Sie be­trach­te­te bald ih­ren Sohn, bald das blu­men­be­sä­e­te Gras längs des We­ges, und fühl­te sich selt­sam glück­lich be­wegt. Alle Au­gen­bli­cke küss­te sie das Kind und drück­te es lei­den­schaft­lich an sich. Der star­ke Blu­men­duft stieg ihr zu Kop­fe; eine an­ge­neh­me wohl­tu­en­de Mat­tig­keit schwäch­te ihre Sin­ne. Sie dach­te über die Zu­kunft ih­res Kin­des nach. Was wür­de aus ihm wer­den? Bald wünsch­te sie es als großen be­rühm­ten mäch­ti­gen Mann vor sich zu se­hen. Bald wie­der­um hät­te sie ge­wünscht, es möch­te in be­schei­de­nen Ver­hält­nis­sen bei ihr blei­ben, nur voll Zärt­lich­keit und Lie­be stets sie um­fan­gen. Mit der ei­gen­nüt­zi­gen Lie­be ei­nes Mut­ter­her­zens wünsch­te sie nur, dass es ihr Sohn blie­be, nur ihr Sohn und wei­ter nichts. Aber ihre Ver­nunft sag­te ihr wie­der, dass er ir­gend einen großen Platz in der Welt aus­fül­len müs­se.

      Sie setz­te sich an ei­nem Gra­ben­rand nie­der und be­trach­te­te ihn lan­ge. Es schi­en ihr als hät­te sie ihn noch nie rich­tig an­ge­se­hen. Und plötz­lich ver­wun­der­te sie sich bei dem Ge­dan­ken, dass die­ses klei­ne We­sen ein­mal groß sein, dass es mit fes­tem Schrit­te ein­her­ge­hen, einen Bart ha­ben und mit männ­li­cher Stim­me re­den wür­de.

      Von wei­tem rief sie je­mand an; sie blick­te auf. Ma­ri­us kam an­ge­lau­fen. Sie dach­te, dass ir­gend ein Be­such ih­rer war­te­te und er­hob sich, miss­ver­gnügt über die­se Stö­rung. Der Bur­sche lief aus Lei­bes­kräf­ten, und als er nahe ge­nug war schrie er: »Frau Baro­nin ist sehr schlecht ge­wor­den, Ma­da­me!«

      Es war ihr, als wenn ein Trop­fen kal­tes Was­ser den Rücken her­a­b­lie­fe; und mit ge­senk­tem Haup­te rann­te sie ei­ligst nach Hau­se.

      Schon von wei­tem sah sie eine Men­ge Leu­te un­ter der Pla­ta­ne ste­hen. Sie stürz­te vor und be­merk­te, als die Grup­pe sich öff­ne­te, ihre Mut­ter auf der Erde lie­gend, den Kopf von zwei Kis­sen un­ter­stützt. Ihr Ge­sicht war ganz schwarz, ihre Au­gen ge­schlos­sen; und ihre sonst so wo­gen­de Brust rühr­te sich nicht. Die Amme nahm das Kind auf den Arm und brach­te es fort.

      »Was ist ge­sche­hen?« frag­te Jo­han­na hef­tig. Wie kam sie zu Fal­le? Man muss gleich zum Arzt schi­cken!« Sich um­wen­dend be­merk­te sie den Pfar­rer, der durch ir­gend einen Zu­fall schon be­nach­rich­tigt war, und nun kam, sei­ne Diens­te an­zu­bie­ten. Er schob auch so­fort die Är­mel sei­ner Sou­ta­ne zu­rück, aber alle sei­ne Ein­rei­bun­gen mit Es­sig und Köl­nisch-Was­ser blie­ben wir­kungs­los. »Man soll­te sie aus­klei­den und so­fort zu Bett brin­gen,« mein­te der Pries­ter.

      Der Päch­ter Jo­seph Couil­lard war zur Stel­le, eben­so Papa Si­mon und Lu­di­vi­ne. Un­ter­stützt vom Abbé Pi­cot woll­ten sie die Baro­nin fort­tra­gen; aber als sie sie auf­ho­ben, sank der Kopf hin­ten­über, und das Kleid zer­riss ih­nen un­ter den Hän­den. So schwer und un­be­hol­fen war der mäch­ti­ge Kör­per. Jo­han­na schrie vor Schreck’ laut auf.

      Man hol­te einen Ses­sel aus dem Sa­lon, und konn­te sie so end­lich, nach­dem man sie dar­auf ge­setzt, fort­tra­gen. Schritt für Schritt ging es die Ram­pe her­auf, dann über die Trep­pe ins Schlaf­zim­mer, wo man sie aufs Bett leg­te.

      Als die Kö­chin mit dem Aus­klei­den nicht fer­tig wer­den konn­te, fand sich ge­ra­de zur rech­ten Zeit die Wit­we Den­tu ein. Sie war eben­so un­er­war­tet ge­kom­men wie der Pries­ter. »Als ob sie den Tod ge­ro­chen hät­ten,« sag­ten die Dienst­bo­ten.

      Jo­seph Couil­lard eil­te schleu­nigst zum Arz­te. Als der Pfar­rer sich an­schick­te, das hei­li­ge Öl her­vor­zu­ho­len, flüs­ter­te die Kran­ken­wär­te­rin ihm zu: Be­mü­hen Sie sich nicht, Herr Abbé, es ist schon vor­bei: ich ken­ne mich aus.«

      Jo­han­na wein­te bit­ter­lich; sie wuss­te nicht, was sie ma­chen soll­te. Ver­geb­lich sann sie auf ein Mit­tel, das man hät­te an­wen­den kön­nen; der Pries­ter er­teil­te auf alle Fäl­le die Ge­ne­ral-Ab­so­lu­ti­on.

      So harr­te man zwei Stun­den bei dem blau­an­ge­lau­fe­nen leb­lo­sen Kör­per. Jo­han­na war jetzt in die Knie ge­sun­ken und schluchz­te von Angst und Schmerz zer­ris­sen.

      Als die Tür sich öff­ne­te und der Arzt er­schi­en, glaub­te sie wie­der Hei­lung, Trost und Hoff­nung mit ihm ein­tre­ten zu se­hen. Sie stürz­te auf ihn zu und be­rich­te­te ihm in ab­ge­ris­se­nen Sät­zen al­les, was sie von der Sa­che wuss­te: »Sie ging spa­zie­ren, wie alle Tage … es ging ihr gut … sehr gut so­gar … sie hat zum Früh­stück eine Bouil­lon mit zwei Ei­ern ge­nom­men … sie ist plötz­lich um­ge­sun­ken … sie ist ganz schwarz ge­wor­den, wie Sie se­hen … und hat sich nicht mehr ge­rührt … Wir ha­ben al­les ver­sucht, um sie wie­der zu sich zu brin­gen … al­les.« Sie schwieg, über­rascht durch eine heim­li­che Hand­be­we­gung der Wär­te­rin, die dem Arzt be­deu­ten woll­te, dass al­les aus sei, völ­lig aus. Jo­han­na sträub­te sich, die Wahr­heit zu be­grei­fen; ängst­lich wie­der­hol­te sie die Fra­ge: »Ist es schlimm, Herr Dok­tor? Glau­ben Sie, dass es schlimm ist?«

      »Ich glau­be al­ler­dings« … sag­te er end­lich »ich fürch­te bei­na­he … dass … es zu Ende ist. Sei­en Sie stark, Ma­da­me, fas­sen Sie Mut.«

      Jo­han­na warf sich mit aus­ge­brei­te­ten Ar­men auf ihre Mut­ter.

      Als Ju­li­us zu­rück­kam, blieb er fas­sungs­los, sicht­lich be­stürzt ste­hen. Kein Ruf des Schmer­zes oder der Verzweif­lung drang von sei­nen Lip­pen; die Über­ra­schung war zu groß, als dass sie sich äus­ser­lich in sei­nen Mie­nen kund­ge­ge­ben hät­te. »Ich sah es kom­men; ich wuss­te dass es zu Ende ging«, mur­mel­te er vor sich hin. Dann zog er sein Ta­schen­tuch, wisch­te sich die Au­gen, knie­te nie­der, be­kreu­zig­te sich und sprach ein stil­les Ge­bet. Als er dann wie­der auf­stand, woll­te er auch sei­ne Frau mit em­por­rich­ten. Aber sie hielt den Leich­nam mit bei­den Ar­men un­ter ste­ten Küs­sen um­fan­gen; sie lag fast auf ihm. Man muss­te sie mit Ge­walt fort­brin­gen; sie schi­en den Ver­stand ver­lo­ren zu ha­ben.

      Nach ei­ner Stun­de ge­stat­te­te man ihr zu­rück­zu­keh­ren. Jede Hoff­nung war da­hin. Das Schlaf­ge­mach war jetzt als Lei­chen­zim­mer ein­ge­rich­tet. Ju­li­us und

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