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Auf­merk­sam­keit, dass sie ihm fast ihre Ent­de­ckung im Hol­ze ver­zieh. Sie wur­de plötz­lich von ei­nem so leb­haf­ten Ver­lan­gen er­grif­fen, die­je­ni­gen wie­der­zu­se­hen, wel­che sie nächst Paul am meis­ten lieb­te, dass sie den gan­zen Abend am Schreib­ti­sche zu­brach­te, um ihre Her­über­kunft zu be­schleu­ni­gen.

      Die El­tern stell­ten ihre Rück­kehr für den 20. Mai in Aus­sicht. Man schrieb da­mals den 7. d. M.

      Mit täg­lich wach­sen­der Un­ge­duld er­war­te­te sie de­ren An­kunft, als wenn sie aus­ser der Lie­be zu ih­rem Kin­de noch ein an­de­res Be­dürf­nis fühl­te, wie­der ein­mal ihr Herz an ei­nem red­li­chen Her­zen schla­gen zu las­sen. Sie muss­te wie­der ein­mal of­fen mit Leu­ten re­den, die, treu und bie­der, je­der In­fa­mie ab­hold wa­ren; die in ih­rem Le­ben, in all ih­ren Wor­ten und Wer­ken, in ih­ren Ge­dan­ken und Wün­schen stets ehr­lich und ge­wis­sen­haft wa­ren.

      Was sie jetzt am meis­ten emp­fand, das war die Ver­ein­sa­mung ih­res Ge­wis­sens in­mit­ten all die­ser ge­wis­sen­lo­sen Men­schen. Ob­schon sie mit ei­nem Male ge­lernt hat­te zu heu­cheln, die Grä­fin mit of­fe­nen Ar­men und lä­cheln­dem Mun­de zu emp­fan­gen, so fühl­te sie doch dies Ge­fühl der Lee­re, die­se ge­wis­se Men­schen­ver­ach­tung, ste­tig wach­sen und sie sah sich ganz von ihm be­herrscht. Täg­lich er­höh­ten die klei­nen Neu­ig­kei­ten aus der Um­ge­bung den Wi­der­wil­len ih­res Her­zens, ih­ren Ab­scheu ge­gen alle an­de­ren We­sen.

      Die Toch­ter der Couil­lards hat­te ein Kind be­kom­men und die Hoch­zeit soll­te jetzt erst statt­fin­den. Die Magd bei den Mar­tins, eine Wai­se, war in and­ren Um­stän­den; ein fünf­zehn­jäh­ri­ges Mäd­chen aus der Nach­bar­schaft eben­so. Eine Witt­we, eine arme knö­che­ri­ge ekel­haf­te Frau, die man ih­res schreck­li­chen Schmut­zes we­gen den »Pfer­de­ap­fel« nann­te, fühl­te sich gleich­falls Mut­ter.

      Je­den Au­gen­blick hör­te man von ei­ner neu­en Schwan­ger­schaft, oder dem Fehl­tritt ir­gend ei­nes Mäd­chens, ei­ner Frau und Mut­ter meh­re­rer Kin­der, selbst so­gar ei­ner rei­chen an­ge­se­he­nen Päch­ters­frau.

      Die­ser frucht­ba­re Früh­ling schi­en bei den Men­schen den Saft nicht we­ni­ger wie bei den Pflan­zen in Wal­lung zu brin­gen.

      Jo­han­na de­ren er­lo­sche­ne Sin­ne nicht mehr er­regt wur­den, de­ren zer­ris­se­nes Herz und de­ren wei­ches Ge­müt al­lein von die­sem lau­en frucht­ba­ren Früh­ling­so­dem un­be­rührt blie­ben und die schwär­me­risch ohne Ver­lan­gen und lei­den­schaft­lich ohne Trie­be le­dig­lich ih­ren ein­sa­men Träu­men sich hin­gab, war er­staunt ent­setzt, ja schliess­lich has­s­er­füllt über die­se tie­ri­sche Schmut­ze­rei.

      Die Ve­rei­ni­gung zwei­er We­sen stiess sie jetzt ab, wie et­was wi­der­na­tür­li­ches. Und wenn sie sich über Gil­ber­te är­ger­te, so war es nicht, weil sie ihr den Gat­ten ab­spens­tig ge­macht hat­te, son­dern le­dig­lich der Um­stand, dass sie eben­falls in die­se all­ge­mei­ne Schmutz­gru­be ge­sun­ken war.

      Sie war doch von ei­ner an­de­ren Ras­se, als die Land­leu­te, bei de­nen die tie­ri­schen In­stink­te vor­wie­gen. Wie hat­te sie sich nur eben­so ver­ges­sen kön­nen, wie die­se Bes­ti­en?

      An dem Tage so­gar, wo ihre El­tern ein­tref­fen muss­ten, rief Ju­li­us aber­mals die­sen Ab­scheu in ihr wach. Er er­zähl­te ihr sehr ver­gnügt als neues­te und scherz­haf­tes­te Ge­schich­te, dass der Bä­cker tags vor­her, als ge­ra­de nicht ge­ba­cken wur­de, ein ei­gen­tüm­li­ches Geräusch in der Back­kam­mer ver­nom­men hät­te. In der Mei­nung, ir­gend eine her­um­strei­chen­de Kat­ze dort zu er­wi­schen sei er her­ein­ge­stürzt, und habe sei­ne Frau be­trof­fen, wie sie al­ler­dings »ge­ra­de nicht beim Brot­ba­cken war.«

      »Der Bä­cker« füg­te er hin­zu, »hat­te die Tür ver­schlos­sen, so­dass sie bei­na­he er­sti­cken muss­ten. Der klei­ne Bäcker­jun­ge hat es den Nach­barn er­zählt; er hat­te sei­ne Mut­ter mit dem Schmied her­ein­ge­hen se­hen.«

      »Sie ge­ben uns Lie­bes­brot zu es­sen, die­se Spaß­vö­gel«; schloss Ju­li­us la­chend. »Es ist wirk­lich wie eine Ge­schich­te von La Fon­taine.«

      Jo­han­na ver­moch­te kei­nen Bis­sen Brot mehr an­zu­rüh­ren.

      Als der Post­wa­gen vor der Tür hielt und sich hin­ter den Fens­ter­schei­ben das ver­gnüg­te Ge­sicht des Barons zeig­te, fühl­te die jun­ge Frau in ih­rem Her­zen eine tie­fe Be­we­gung, eine so stür­mi­sche Zärt­lich­keit, wie sie nie vor­her emp­fun­den zu ha­ben glaub­te.

      Aber sie blieb über­rascht, bei­na­he ei­ner Ohn­macht nahe, ste­hen, als sie ihre Mut­ter aus­stei­gen sah. Die Baro­nin war in die­sen sechs Win­ter­mo­na­ten um we­nigs­tens zehn Jah­re ge­al­tert. Ihre großen schlaf­fen Hän­ge­ba­cken wa­ren pur­pur­far­ben ge­wor­den und strotz­ten von Blu­tandrang. Ihr Auge schi­en er­lo­schen, und sie konn­te sich nur noch be­we­gen, wenn man sie un­ter bei­den Ar­men stütz­te. Ihr an sich schwe­rer Atem war keu­chend ge­wor­den und wog­te so hef­tig, dass man in ih­rer Nähe un­will­kür­lich ein Ge­fühl schmerz­haf­ter Ver­le­gen­heit emp­fand.

      Der Baron, ge­wohnt sie täg­lich zu se­hen, hat­te von die­sen Ver­än­de­run­gen we­nig be­merkt. Wenn sie sich bei ihm über ihre ste­te Atem­not, über ihre wach­sen­den Be­klem­mun­gen be­klag­te, so ant­wor­te­te er: »Aber im Ge­gen­teil, lie­bes Kind; ich habe Dich nie an­ders ge­kannt.«

      »Dei­ne Mut­ter ist in schlech­ten Hef­ten,« sag­te Ju­li­us am Aben­de zu sei­ner Frau: »Ich fürch­te es steht nicht gut mit ihr.«

      Jo­han­na brach in Schluch­zen aus. »Nur ru­hig! sag­te Ju­li­us. »Ich be­haup­te ja nicht, dass sie ver­lo­ren ist. Du musst im­mer gleich al­les über­trei­ben. Sie hat sich sehr ver­än­dert, das ist al­les. Es kommt von ih­rem Al­ter.«

      Nach acht Ta­gen hat­te sie sich schon so an das neue Aus­se­hen ih­rer Mut­ter ge­wöhnt, dass sie nicht mehr dar­an dach­te. Auch moch­te sie wohl ab­sicht­lich ihre Be­fürch­tun­gen zu­rück­drän­gen, wie man ge­wöhn­lich aus Ego­is­mus, aus ei­ner Art un­be­wuss­ten Dran­ges nach Ruhe düs­te­re Vorah­nun­gen und dro­hen­de Sor­gen von sich ab­zu­schüt­teln sucht.

      Die Baro­nin, der das Ge­hen die gröss­te Schwie­rig­keit ver­ur­sach­te, be­gab sich je­den Tag höchs­tens noch eine hal­be Stun­de ins Freie. Wenn sie ein ein­zi­ges Mal den Weg in »ih­rer« Al­lee zu­rück­ge­legt hat­te, konn­te sie sich nicht mehr wei­ter be­we­gen und ver­lang­te, sich auf »ihre« Bank zu set­zen. Wenn sie sich un­fä­hig fühl­te, ih­ren Spa­zier­gang zu Ende zu füh­ren, sag­te sie: »Wir wol­len auf­hö­ren; mei­ne Hy­per­tro­phie steckt mir heu­te in al­len Glie­dern.«

      Sie lach­te jetzt gar nicht mehr; sie lä­chel­te höchs­tens noch über Din­ge, bei de­nen sie sich das Jahr vor­her noch vor La­chen ge­schüt­telt hät­te. Aber da ihre Au­gen noch sehr gut wa­ren, so ver­brach­te sie ihre Tage mit der Le­sung von »Co­rin­ne« oder La­mar­ti­ne’s »Me­di­ta­ti­on«. Dann ver­lang­te sie, dass man ihr die Schieb­la­de mit ih­ren »Re­li­qui­en« brin­ge. Sie brei­te­te die al­ten, ih­rem Her­zen so teu­ren Brie­fe auf ih­rem Schoss aus, stell­te die Schieb­la­de auf einen Stuhl ne­ben sich und leg­te ihre »Re­li­qui­en« eine nach der an­de­ren wie­der hin­ein, nach­dem sie die­sel­ben lang­sam durch­ge­le­sen hat­te. Und wenn sie ganz für sich

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