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das zit­tern­de Pro­fil des star­ren Ant­lit­zes und die Li­ni­en des mäch­ti­gen Kör­pers un­ter den Bett­tü­chern ab­zeich­ne­te.

      Als nur noch ein Häuf­lein Asche auf dem Bo­den des Ka­mins lag, kehr­te sie zu­rück und setz­te sich an’s of­fe­ne Fens­ter, als wenn sie nicht mehr wag­te in der Nähe der To­ten zu sein. Das Ge­sicht in den Hän­den be­gann sie aufs Neue zu wei­nen.

      »O, mei­ne arme Mama, mei­ne arme Mama!« seufz­te sie un­auf­hör­lich mit ver­zweif­lungs­vol­lem Kla­ge­laut.

      In die­ser un­glück­li­chen Stun­de wur­de ein gu­tes Teil der Kin­des­lie­be in ih­rem Her­zen aus­ge­löscht. Die Kennt­nis von dem Ge­heim­nis ih­rer Mut­ter wirk­te wie ein kal­ter Was­ser­strahl auf ihr Ge­müt.

      Als Ju­li­us spä­ter noch­mals er­schi­en, und sie auf­for­der­te, doch et­was zu schla­fen, sträub­te sie sich nicht. Mit ei­nem letz­ten Kuss auf die blei­che kal­te Stirn der To­ten ver­liess sie das Zim­mer.

      Der Baron kam am Abend des nächs­ten Ta­ges; sei­ne Trä­nen flos­sen un­auf­halt­sam.

      Die Teil­nah­me am Be­gräb­nis­se war eine aus­ser­ge­wöhn­li­che und mit ho­her Be­frie­di­gung sah Ju­li­us, dass von dem gan­zen Adel der Um­ge­gend kein ein­zi­ger fehl­te. Die Mar­qui­se de Cou­te­lier hat­te so­gar Jo­han­na wie­der­holt um­armt und ge­küsst.

      Tan­te Li­son, die gleich­falls ge­kom­men war, blieb mit Gil­bert wäh­rend der Fei­er­lich­keit bei Jo­han­na. »Mein ar­mes, teu­res Herz« sag­te die Grä­fin im­mer wie­der un­ter Küs­sen und Trä­nen zu der völ­lig ge­bro­che­nen Toch­ter.

      Als der Graf vom Be­gräb­nis­se zu­rück­kehr­te, wein­te er, als habe er sei­ne ei­ge­ne Mut­ter zur Ruhe ge­bet­tet.

      *

      Trau­ri­ge Tage wa­ren es, die die­sem Er­eig­nis­se folg­ten; dop­pelt trau­rig für Jo­han­na, die un­ter den Erin­ne­run­gen der letz­ten Nacht bei der to­ten Mut­ter ent­setz­lich litt. Dazu er­krank­te Paul; und wenn er auch wie­der ge­nas, so ver­folg­te sie doch stets der Ge­dan­ke, dass er ihr ein­mal durch den Tod ent­ris­sen wer­den könn­te. In ih­rem Her­zen er­wach­te die Sehn­sucht nach ei­nem zwei­ten Kin­de; aber sie leb­te von Ju­li­us ge­trennt, seit­dem sie Kennt­nis von sei­ner aber­ma­li­gen Un­treue hat­te. Und doch wuchs ihre Sehn­sucht von Tag zu Tag.

      Ihr Va­ter war wie­der ab­ge­reist; die Mut­ter tot. Wem soll­te sie sich an­ver­trau­en? End­lich be­schloss sie sich dem Abbé Pi­cot in der Beich­te ih­ren Wunsch zu be­ken­nen. Der wa­cke­re Mann hör­te sie mit ei­nem ge­wis­sen Er­stau­nen an, das nur zu be­greif­lich war. wenn er an die Ge­wohn­hei­ten und die rück­sichts­lo­se Sinn­lich­keit sei­ner länd­li­chen Beicht­kin­der dach­te. Aber er war doch zart­füh­lend ge­blie­ben, in­mit­ten die­ser Na­tur­kin­der und sag­te ihr trös­tend zum Ab­schied: »Ver­las­sen Sie sich auf mich; ich wer­de mit Ju­li­us re­den.« Und we­ni­ge Tage dar­auf leb­ten sie wie­der ver­eint, wie in der ers­ten Zeit.

      Aber Ju­li­us übte sei­ne Pf­lich­ten nur halb aus; sei­ne Sor­ge, dass Jo­han­na aber­mals Mut­ter wür­de, konn­te er schliess­lich vor die­ser selbst nicht ver­heh­len. Ver­geb­lich ver­dop­pel­te sie ihre Zärt­lich­keit um ihn zu ver­lei­ten, sei­ne Selbst­be­herr­schung auf­zu­ge­ben. Er blieb in­des­sen stets zu­rück­hal­tend und wuss­te je­den Er­folg ih­res ehe­li­chen Zu­sam­men­le­bens zu ver­mei­den.

      Da be­schloss sie, un­fä­hig ihr hef­ti­ges Ver­lan­gen nach ei­nem Kin­de län­ger zu be­meis­tern, aber­mals Abbé Pi­cot auf­zu­su­chen. Er wuss­te Rat. »Es gibt nur ein Mit­tel, lie­bes Kind«; sag­te er nach ei­ni­gem Be­sin­nen. »Sie brin­gen ihm die Über­zeu­gung bei, dass Sie sich aber­mals Mut­ter füh­len. Dann wird er sei­ne Vor­sicht ver­ges­sen.« Jo­han­na er­rö­te­te; aber er wuss­te ihre Zwei­fel zu zer­streu­en. »Die Kir­che kann die Zu­rück­hal­tung des Gat­ten nicht bil­li­gen; Sie ha­ben ein Recht, ihn zu sei­ner Pf­licht zu­rück­zu­füh­ren.«

      Ju­li­us ließ sich wirk­lich täu­schen. Ein­mal über­zeugt, ver­lor er die lan­ge be­währ­te Selbst­be­herr­schung und Jo­han­na sah sich nach Ver­lauf ei­nes Mo­nats am Ziel ih­rer Wün­sche. Von da an schloss sie abends ihre Türe und ge­lob­te aus Dank­bar­keit dem Him­mel eine ewi­ge Keusch­heit.

      Ge­gen Ende des Mo­nats kam der gute Abbé Pi­cot und stell­te sei­nen Nach­fol­ger, den Abbé Tol­biac, vor. Es war dies ein noch jun­ger, klei­ner, sehr ma­ge­rer Pries­ter, des­sen tief­lie­gen­de schwarz­ge­rän­der­te Au­gen ein lei­den­schaft­li­ches Ge­müt ver­kün­de­ten. Abbé Pi­cot war Dechant in Go­der­ville ge­wor­den.

      Der Ab­schied moch­te ihm so schwer wer­den wie Jo­han­na. Als die Rede auf die ei­gen­ar­ti­ge Mora­li­tät sei­ner Pfarr­kin­der kam, be­merk­te der Pfar­rer brüsk: »Das wird un­ter mir an­ders wer­den.« Und hier­bei blieb er trotz al­ler ver­nünf­ti­gen Vor­stel­lun­gen des al­ten er­fah­re­nen Man­nes. Un­ter Trä­nen emp­fing Jo­han­na des­sen Ab­schieds­kuss.

      Bald be­gann der Abbé Tol­biac mit sei­nen Re­for­men. Jo­han­na beug­te sich sei­nem fes­ten Cha­rak­ter, sei­nem bren­nen­den Ei­fer und wur­de eine re­gel­mäs­si­ge Be­su­che­rin der Kir­che und ih­rer Fes­te.

      Aber die gan­ze Ge­mein­de hass­te den neu­en Pfar­rer, der mit rück­sichts­lo­ser Stren­ge auf der Kan­zel wie im Beicht­stuhl das lo­cke­re Le­ben der Pfarr­kin­der ver­damm­te, der so­gar schliess­lich die Schul­di­gen öf­fent­lich in der Pre­digt beim Na­men nann­te. Bald blie­ben sämt­li­che Bur­schen aus der Ge­mein­de der Kir­che fern. Im Schlos­se da­ge­gen war Abbé Tol­biac ein gern ge­se­he­ner Gast. So­gar Ju­li­us be­han­del­te ihn mit großer Ach­tung und ließ kei­nen Fest­tag vor­über­ge­hen ohne zu beich­ten und zu kom­mu­ni­zie­ren.

      Er war jetzt fast täg­lich bei den Four­vil­les, um ent­we­der mit dem Gra­fen zu ja­gen oder mit der Grä­fin aus­zu­rei­ten. »Sie sind när­risch die bei­den, mit ih­rer Rei­te­rei«; sag­te der Graf, »aber es be­kommt mei­ner Frau so gut.«

      Ge­gen Mit­te No­vem­ber kehr­te der Baron zu­rück, sehr ge­al­tert un­ter der Trau­er um die ver­lo­re­ne Gat­tin. Ob­gleich Jo­han­na ihm nichts von ih­rem en­gen Ver­kehr mit dem neu­en Pfar­rer sag­te, so fass­te er doch schon gleich nach der ers­ten Be­kannt­schaft eine in­stink­ti­ve Ab­nei­gung ge­gen den­sel­ben, die bald in of­fe­nen Hass über­ging. Sei­nem phi­lo­so­phisch an­ge­leg­ten Ge­mü­te, sei­ner na­tür­li­chen Nach­sicht und Mil­de wi­der­streb­te der Ze­lo­tis­mus die star­re Stren­ge, die aus dem gan­zen We­sen des Abbé Tol­biac sprach.

      Auch der Pries­ter fühl­te recht gut, wie we­nig ihm der Baron ge­neigt war. Aber er woll­te sei­nen Ein­fluss im Schlos­se nicht ver­lie­ren und be­herrsch­te sich in dem Ge­füh­le, dass er end­lich doch Sie­ger blei­ben wer­de.

      Ein an­de­rer Ge­dan­ke be­herrsch­te ihn jetzt ganz: Ein Zu­fall hat­te ihn das Ge­heim­nis zwi­schen Ju­li­us und Gil­ber­te ent­de­cken las­sen. Die­sem ein Ende zu ma­chen, war sein fes­ter Ent­schluss. Er zog Jo­han­na ins Ver­trau­en und ver­band sich mit ihr, um »zwei See­len vom Tode zu ret­ten.«

      »Es ist eine pein­li­che Pf­licht für mich«; sag­te er, als Jo­han­na schwank­te, »aber ich muss sie er­fül­len.

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