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Ju­li­us, so­fort sehr hit­zig wer­dend, »dass ich für mei­ne Per­son von die­ser Ge­schich­te nichts mehr hö­ren mag. Du hast das Mäd­chen be­hal­ten wol­len; nun schön, be­hal­te Sie. Aber ver­scho­ne mich ge­fäl­ligst mit die­ser An­ge­le­gen­heit.«

      Seit der Nie­der­kunft Ro­sa­li­ens schi­en er aus­ser­or­dent­lich reiz­ba­rer Stim­mung ge­wor­den zu sein. Er hat­te sich an­ge­wöhnt nur noch in schrei­en­dem Tone mit sei­ner Frau zu spre­chen, als wenn er im­mer­fort in Wut wäre. Sie da­ge­gen dämpf­te die Stim­me und be­trug sich sehr sanft, um je­den Zwist zu ver­mei­den. Zu­wei­len aber wein­te sie nachts in ih­rem Bet­te recht bit­ter­lich.

      Trotz sei­ner fort­wäh­ren­den Reiz­bar­keit hat­te Ju­li­us wie­der an­ge­fan­gen, sei­ne ehe­li­chen Pf­lich­ten zu er­fül­len, die er seit ih­rer Rück­kehr so sehr ver­nach­läs­sigt hat­te. Sel­ten ver­gin­gen ei­ni­ge Tage, wo er nicht das ehe­li­che Schlaf­ge­mach mit ihr ge­teilt hät­te.

      Ro­sa­lie war bald voll­stän­dig ge­ne­sen und wur­de we­ni­ger trau­rig, ob­schon sie stets noch et­was ge­drück­ter Stim­mung war, wie wenn sie von ir­gend ei­ner un­er­klär­li­chen Furcht be­seelt wäre.

      Zwei­mal noch mach­te Jo­han­na den Ver­such, sie we­gen des Va­ters zu be­fra­gen, aber je­des Mal wuss­te sich das Mäd­chen ihr zu ent­zie­hen.

      Auch Ju­li­us schi­en in der letz­ten Zeit lie­bens­wür­di­ger ge­wor­den zu sein. Die jun­ge Frau gab sich schon wie­der neu­en Hoff­nun­gen hin und ihre alte Hei­ter­keit kehr­te zu­rück. Hin und wie­der spür­te sie al­ler­dings eine ei­gen­tüm­li­che Un­be­hag­lich­keit, von der sie je­doch nicht sprach. Der Frost draus­sen hielt im­mer noch an, und seit nun bald fünf Wo­chen brei­te­te sich ein kris­tall­hel­ler blau­er Him­mel, der nachts mit Mil­li­ar­den fun­keln­der Ster­ne be­sä­et war, über die dich­te fest­ge­fro­re­ne glän­zen­de Schnee­flä­che aus.

      Die Pächt­er­häu­ser, ein­sam in ih­ren vier­e­cki­gen Hö­fen, hin­ter ei­nem Vor­hang von großen dicht­be­reif­ten Bäu­men, schie­nen wie in ei­nem wei­ßen Hem­de ein­ge­schla­fen zu sein. Man sah dort we­der Men­schen noch Tie­re her­aus­kom­men; nur die Zie­gel­schorn­stei­ne zeig­ten durch den dün­nen Rauch, der sich aus ih­nen em­por­rin­gel­te und ker­zen­gra­de in die kal­te Luft auf­stieg, dass noch Le­ben in die­ser Ein­sam­keit war.

      Die Ebe­ne, die Hü­gel, die Ul­men am Sau­me des Parks, al­les schi­en er­stor­ben, hin­ge­mor­det durch die Käl­te. Zu­wei­len hör­te man in den Bäu­men ein Kra­chen, als wenn ihre höl­zer­nen Glie­der un­ter der Rin­de ge­bors­ten wä­ren; und mit­un­ter lös­te sich ein großer Zweig ab und fiel zur Erde, nach­dem der ei­si­ge Frost sei­nen Saft er­stickt und sei­ne Fa­sern zer­ris­sen hat­te.

      Jo­han­na war­te­te sehn­süch­tig auf die Wie­der­kehr mil­de­rer Wit­te­rung, in­dem sie die un­be­stimm­ten Schmer­zen, an de­nen sie litt, auf die Ein­wir­kung der schreck­li­chen Käl­te schob.

      Bald konn­te sie nichts es­sen und hat­te einen Ab­scheu vor je­der Nah­rung, bald schlug ihr Puls hef­tig, bald ver­ur­sach­te ihr die kleins­te Mahl­zeit die stärks­ten In­di­ge­s­tio­nen. Ihre Ner­ven wa­ren selt­sam er­regt und sie leb­te in ei­nem be­stän­di­gen und un­er­träg­li­chen Wech­sel der Ge­füh­le.

      Ei­nes Abends stand das Ther­mo­me­ter noch nied­ri­ger wie ge­wöhn­lich. Ju­li­us sass vor Frost zit­ternd bei Ti­sche, denn im Spei­se­zim­mer wur­de, um Holz zu spa­ren, nie­mals ge­heizt. »Heu­te Abend wol­len wir be­hag­lich zu zwei­en schla­fen, nicht wahr, mein Schatz?« sag­te er, sich die Hän­de rei­bend.

      Er lach­te mit sei­nem al­ten gut­mü­ti­gen Lä­cheln und Jo­han­na flog ihm an den Hals. Aber sie fühl­te sich ge­ra­de an die­sem Abend so un­wohl, so voll Schmer­zen, so selt­sam ner­vös, dass sie ihn lei­se un­ter zärt­li­chen Küs­sen bat, sie heu­te al­lein zu las­sen. Sie setz­te ihm mit we­ni­gen Wor­ten ihr Un­wohl­sein aus­ein­an­der. »Ich bit­te Dich, Liebs­ter, ich ver­si­che­re Dich, dass ich nicht wohl bin. Mor­gen wird mir je­den­falls bes­ser sein.«

      »Wie Du willst, Lieb­ling,« sag­te er nach­ge­bend. »Sor­g’ nur gut für Dich, wenn Du nicht wohl bist.«

      Man sprach dann von an­de­ren Din­gen.

      Jo­han­na ging bei Zei­ten schla­fen. Ju­li­us ließ aus­nahms­wei­se in sei­nem Wohn­zim­mer noch­mals ein­hei­zen. Als ihm ge­mel­det wur­de, dass es »or­dent­lich bren­ne,« küss­te er sei­ne Frau auf die Stirn und ging fort.

      Das gan­ze Haus schi­en vor Käl­te zu star­ren. Die Wän­de, voll­stän­dig durch­fro­ren, lies­sen ein Geräusch, wie leich­tes Schau­dern ver­neh­men; und Jo­han­na zit­ter­te in ih­rem Bet­te.

      Zwei­mal stand sie auf, um Holz auf den Herd zu wer­fen, und Klei­der, Rö­cke und al­ler­lei al­tes Zeug auf ihr Bett zu le­gen. Nichts konn­te sie warm ma­chen. Ihre Füs­se blie­ben eis­kalt, ihr Leib da­ge­gen und ihre Brust wur­den von selt­sa­men Zu­ckun­gen ge­quält, so­dass sie sich fort­wäh­rend von ei­ner Sei­te auf die an­de­re leg­te, ohne Ruhe zu fin­den. Ihre ner­vö­se Er­regt­heit nahm mit je­der Mi­nu­te zu.

      Bald klap­per­te sie mit den Zäh­nen; ihre Hän­de zit­ter­ten, ihre Brust dehn­te sich. Ihr Herz schlug manch­mal hef­tig und schi­en dann plötz­lich wie­der aus­zu­set­zen. In ih­rer Keh­le ras­sel­te es, als kön­ne sie nicht ge­nü­gend Luft be­kom­men.

      Eine furcht­ba­re Angst hielt sie be­fan­gen, wäh­rend die schreck­li­che Käl­te ihr un­wi­der­steh­lich bis zum Ge­hirn drang. Sie hat­te so et­was noch nie emp­fun­den, hat­te sich noch nie im Le­ben so schwach, so wie zum Ster­ben ge­fühlt.

      »Es geht zu Ende mit mir; ich st­er­be …« dach­te sie. Und von Furcht er­grif­fen sprang sie aus dem Bett, schell­te Ro­sa­lie, war­te­te, schell­te aber­mals, und war­te­te wie­der, wäh­rend sie fast vor Frost er­starr­te.

      Die Zofe kam nicht. Ohne Zwei­fel lag sie im ers­ten fes­ten Schla­fe, aus dem man nicht leicht er­wacht. Jo­han­na, der die Sin­ne fast ver­gin­gen, stürz­te bar­fuss an die Trep­pe.

      Geräusch­los tapp­te sie hin­auf, fand die Tür, öff­ne­te sie und rief: »Ro­sa­lie!« sie schritt im­mer wei­ter vor, tas­te­te sich nach dem Bett, fuhr mit der Hand dar­über und fand es leer. Es war un­be­rührt und kalt; nie­mand konn­te dar­in ge­schla­fen ha­ben.

      »Merk­wür­dig, dass sie bei sol­chem Wet­ter noch ir­gend­wo her­um­läuft«, sag­te sie bei sich.

      Da aber ihre Her­zaf­fek­ti­on im­mer hef­ti­ger wur­de, stieg sie mit zit­tern­den Kni­en wie­der her­un­ter, um Ju­li­us zu we­cken.

      Has­tig trat sie bei ihm ein, von dem Ge­fühl ge­pei­nigt, dass sie ster­ben müs­se und von dem Ver­lan­gen be­seelt, ihn noch ein­mal zu se­hen, ehe sie das Be­wusst­sein ver­lor.

      Beim Schim­mer des hal­b­er­lo­sche­nen Feu­ers be­merk­te sie auf dem Kopf­kis­sen ne­ben ih­rem Man­ne das Ge­sicht Ro­sa­li­ens.

      Bei dem Schrei, den sie aus­stiess, rich­te­ten sich bei­de em­por. Ei­nen Au­gen­blick stand sie re­gungs­los vor Schreck über die­se Ent­de­ckung. Dann rann­te sie da­von, in ihr Zim­mer zu­rück. Ju­li­us hat­te ih­ren Na­men ge­ru­fen, und sie hat­te eine ent­setz­li­che Furcht, ihn se­hen zu müs­sen, sei­ne Stim­me zu hö­ren; sie hät­te es nicht er­tra­gen kön­nen,

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