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er hef­tig, »stei­ge ich aus und wer­de Sie schon zur Ord­nung brin­gen; das wer­de ich …« Der Vi­com­te be­ru­hig­te sich plötz­lich und schlug ach­sel­zu­ckend, ohne ein Wort zu sa­gen, auf die Pfer­de ein, so­dass sie in schnel­lem Tra­be da­von­rann­ten.

      Die bei­den Da­men, ganz auf­ge­löst, rühr­ten sich kaum und man hör­te deut­lich im In­nern des Wa­gens den lau­ten Herz­schlag der Baro­nin.

      Beim Di­ner war Ju­li­us lie­bens­wür­di­ger wie ge­wöhn­lich, als ob nichts vor­ge­fal­len wäre. Jo­han­na, ihr Va­ter und Ma­da­me Ade­laï­de, die in ih­rer Gut­mü­tig­keit schnell ver­gas­sen und froh wa­ren, ihn so lie­bens­wür­dig zu se­hen, stimm­ten sei­ner hei­te­ren Lau­ne zu, wie bei Je­man­dem, der sich auf der Bes­se­rung be­fin­det. Als Jo­han­na wie­der auf die Bri­se­vil­les zu spre­chen kam, stimm­te ihr Mann selbst in ihre Scher­ze ein; aber er füg­te dann schnell hin­zu: »Ganz egal, vor­neh­me Al­lü­ren ha­ben sie doch.«

      Man mach­te kei­ne wei­te­ren Be­su­che, da je­des fürch­te­te, die Sze­ne mit Ma­ri­us könn­te sich wie­der­ho­len. Man be­schloss nur, zum Neu­jahrs­ta­ge den Nach­barn Kar­ten zu schi­cken und für den Be­such die ers­ten war­men Tage des nächs­ten Früh­lings ab­zu­war­ten.

      Weih­nach­ten kam her­an. Man hat­te den Pfar­rer, den Maire und des­sen Frau zum Di­ner ein­ge­la­den und bat sie für Neu­jahr aber­mals zu dem­sel­ben. Dies wa­ren die ein­zi­gen Zer­streu­un­gen, wel­che die Ein­för­mig­keit der Tage un­ter­bra­chen.

      Papa und Müt­ter­chen woll­ten Peup­les am 9. Ja­nu­ar ver­las­sen. Jo­han­na hät­te sie gern noch zu­rück­ge­hal­ten, aber Ju­li­us schi­en da­für we­ni­ger ein­ge­nom­men zu sein. Der Baron, der die im­mer mehr zu­neh­men­de Käl­te sei­nes Schwie­ger­soh­nes be­merk­te, ließ einen Post­wa­gen von Rou­en kom­men.

      Am letz­ten Tage vor ih­rer Abrei­se, als man mit dem Pa­cken fer­tig war, be­schlos­sen Jo­han­na und ihr Va­ter bei dem kla­ren Frost­wet­ter einen Spa­zier­gang nach Yport zu ma­chen, wo sie seit ih­rer Rück­kehr von Cor­si­ka nicht mehr ge­we­sen wa­ren.

      Sie ka­men durch das Ge­hölz, wo sie an ih­rem Hoch­zeits­ta­ge mit Ju­li­us ge­we­sen war. Da­mals war sie ganz auf­ge­gan­gen in den, des­sen Ge­fähr­tin sie fürs gan­ze Le­ben sein soll­te; in die­sem Hol­ze hat­te sie sei­ne ers­ten Zärt­lich­kei­ten emp­fan­gen, hat­te im ers­ten Lie­bes­schau­er ge­zit­tert, hat­te je­nen Sin­nes­ge­nuss vor­aus­ge­fühlt, den sie in Wirk­lich­keit erst in dem ro­man­ti­schen Ota-Tale, dort an der Quel­le kos­ten soll­te, als ihre Küs­se sich un­ter dem Was­ser ver­meng­ten.

      Jetzt gab es kein Laub mehr, kei­ne spros­sen­den Kräu­ter; man hör­te nur noch das Knar­ren der Äste und je­nen tro­ckenen Ton, den die ent­laub­ten Zwei­ge im Win­ter von sich ge­ben.

      Sie ka­men in das Dörf­chen. Die öden stil­len Stras­sen duf­te­ten nach Mee­res­luft, nach See­gras und Fi­schen. Die großen loh­far­be­nen Net­ze, die vor den Häu­sern hin­gen oder auf dem Bo­den aus­ge­brei­tet wa­ren, trock­ne­ten noch wie sonst an der Luft. Das graue kal­te Meer mit sei­nen ewig grol­len­den Schaum­wo­gen be­gann zu sin­ken; schon la­gen nach Fe­kamp zu die grün­li­chen Fel­sen am Fuss der Küs­te ent­blöst. Die großen um­ge­stülp­ten Käh­ne längs des Stran­des sa­hen wie mäch­ti­ge tote Fi­sche aus. Der Abend brach her­ein. Die Fi­scher ka­men in Grup­pen her­an, schwer­fäl­lig in ih­ren großen Was­sers­tie­feln da­hin­schrei­tend, den Kopf mit ei­nem Woll­tuch ver­hüllt, eine Brannt­wein­fla­sche in der einen Hand und in der an­de­ren die Boots­la­ter­ne. Lan­ge um­stan­den sie ihre um­ge­stülp­ten Fahr­zeu­ge, rück­ten sie dann zu­recht und lu­den mit echt nor­män­ni­scher Lang­sam­keit ihre Net­ze, ihre Bo­jen, ein dickes Brot, einen Topf But­ter und die Brannt­wein­fla­sche ein. Dann scho­ben sie die Bar­ke ans Was­ser, die mit großem Geräusch über den Kies roll­te, den Schaum auf­sprit­zen ließ und auf den Wo­gen schwamm. Ei­ni­ge Au­gen­bli­cke tanz­te sie hin und her, dann brei­te­te sie wie ein Vo­gel ihre großen brau­nen Flü­gel aus und all­mäh­lich ver­schwand ihr klei­nes Licht an der Spit­ze des Mast­bau­mes im Dun­kel der Nacht.

      Die stark­kno­chi­gen Fi­scher­frau­en, de­ren dür­re Bei­ne un­ter den kur­z­en Rö­cken her­vor­sa­hen, kehr­ten, als der letz­te Fi­scher ab­ge­fah­ren war, in das öde Dorf zu­rück und er­füll­ten mit ih­ren krei­schen­den Stim­men die stil­le Ruhe der Nacht.

      Schwei­gend be­trach­te­ten der Baron und Jo­han­na die Aus­fahrt die­ser Leu­te, wel­che sie jede Nacht un­ter­nah­men und bei der sie je­des Mal ihr Le­ben aufs Spiel setz­ten, um nicht vor Hun­ger zu ster­ben. Und doch ging es ih­nen so schlecht, dass sie nie­mals ein Stück Fleisch auf dem Ti­sche sa­hen.

      »Das ist schreck­lich und schön zu­gleich«, sag­te der Baron mit ei­nem be­geis­ter­ten Blick auf den Ozean. »Die­ses Meer mit sei­ner Fins­ter­nis, auf dem so Man­cher sein Le­ben lässt. Groß­ar­tig, nicht wahr, Jo­han­na?«

      »Aber doch noch nichts ge­gen das Mit­tel­län­di­sche Meer«, sag­te sie mit küh­lem Lä­cheln.

      »Das Mit­tel­län­di­sche Meer?« sag­te ihr Va­ter fast ent­rüs­tet. »Was ist das? Öl, Zucker­was­ser, blau­es Was­ser in ei­nem Wasch­be­cken. Sieh nur die­ses hier, wie schreck­lich es ist mit sei­nen Schaum­wel­len. Und den­ke nur an alle die­se Leu­te, die da­drauf hin­aus­ge­fah­ren sind und die nie­mals zu­rück­keh­ren.«

      »Nun ja, wie Du meinst«, sag­te Jo­han­na mit ei­nem Seuf­zer. Aber die­ses Wort »Mit­tel­län­di­sches Meer«, das ihr auf die Lip­pen ge­kom­men war, hat­te aufs neue ihr Herz ge­trof­fen, und sie in Ge­dan­ken wie­der in jene Ge­gen­den ver­setzt, die alle ihre Träu­me er­füll­ten.

      Va­ter und Toch­ter kehr­ten nicht wie­der durch das Ge­hölz zu­rück, sie be­nutz­ten die Land­stras­se und stie­gen lang­sam die Küs­te hin­an, das Herz voll Trau­rig­keit ob der be­vor­ste­hen­den Tren­nung.

      Zu­wei­len, wäh­rend sie den Grä­ben des Pacht­ho­fes ent­lang gin­gen, schlug ih­nen der Ge­ruch von zer­quetsch­ten Äp­feln, die­ser ei­gen­tüm­li­che Dunst von fri­schem Ci­der ins Ge­sicht, der zu die­ser Zeit über der gan­zen Nor­man­die zu la­gern scheint. Da­zwi­schen meng­te sich ein kräf­ti­ger Stall­dunst, je­ner ge­sun­de war­me Dunst, wie er aus dem Kuh­stall her­vor­dringt. Im Hin­ter­grun­de des Ho­fes zeig­te ein klei­nes er­leuch­te­tes Fens­ter die Stel­le an, wo das Wohn­haus stand.

      Jo­han­na kam es vor, als ob ihr Herz sich er­wei­te­re und un­sicht­ba­re Din­ge um­fas­se. Die­se ein­zel­nen Lich­ter, die in der Ge­gend rings­um ver­streut wa­ren, schie­nen ihr das ge­treue Ab­bild der Ein­sam­keit je­ner We­sen, die stets für sich le­ben, stets von al­lem ge­trennt sind, und die al­les von je­nen ab­zieht, wel­che sie lie­ben wür­den.

      »Das Le­ben ist nicht im­mer schön«, sag­te sie hier­auf in re­si­gnier­tem Tone.

      »Was kann man ma­chen, Kind­chen?« seufz­te der Baron, »wir kön­nen es nicht än­dern.«

      Am an­de­ren Mor­gen reis­ten die El­tern ab. Jo­han­na und Ju­li­us wa­ren nun al­lein.

      *

      Das Kar­ten­spiel fing jetzt an, im Le­ben des jun­gen Paa­res eine Rol­le zu spie­len. Je­den Tag nach dem zwei­ten Früh­stück spiel­te Ju­li­us meh­re­re

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