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ei­nem hef­ti­gen Nord­west-Win­de lang­ten sie ei­nes Mor­gens in Mar­seil­le an.

      Man schrieb den 15. Ok­to­ber; seit ih­rer Abrei­se von Peup­les wa­ren zwei Mo­na­te ver­gan­gen.

      Jo­han­na fühl­te sich trau­rig; der hef­ti­ge kal­te Wind er­in­ner­te sie an ihre Hei­mat, die Nor­man­die. Ju­li­us schi­en seit ei­ni­ger Zeit sehr ver­än­dert, müde und gleich­gül­tig. Sie hat­te Furcht, ohne zu wis­sen wo­vor.

      Sie ver­zö­ger­te ihre Heim­rei­se noch um vier Tage, weil sie sich nicht ent­sch­lies­sen konn­te, dies schö­ne son­ni­ge Land zu ver­las­sen. Es war ihr, als ob mit der Rei­se auch ihr Glück zu Ende ging.

      Sch­liess­lich fuh­ren sie ab.

      Sie muss­ten noch in Pa­ris alle ihre Ein­käu­fe für ih­ren end­gül­ti­gen Auf­ent­halt in Peup­les be­sor­gen. Jo­han­na freu­te sich dar­auf, dank der wohl­ge­füll­ten Bör­se von ih­rer Mut­ter, al­ler­hand Wun­der­din­ge mit heim zu brin­gen. Das ers­te aber, wor­an sie dach­te, war die Pis­to­le für die klei­ne Kor­sin in Evi­sa.

      »Möch­test Du mir das Geld von Mama zu­rück­ge­ben, Herz, da­mit ich mei­ne Ein­käu­fe ma­chen kann?« sag­te sie am Tage nach ih­rer An­kunft zu Ju­li­us.

      »Wie viel brauchst Du?« wand­te er sich stirn­run­zelnd zu ihr.

      »Aber … so viel Du meinst,« stam­mel­te sie über­rascht.

      »Ich wer­de Dir hun­dert Fran­cs ge­ben, aber ver­schleu­de­re sie nicht« ent­geg­ne­te er.

      Sie war so über­rascht und ver­wirrt, dass sie an­fangs kei­ne Wor­te fand; end­lich sag­te sie zö­gernd:

      »Aber … ich … ich hat­te Dir doch das Geld ge­ge­ben, um …«

      »Ich weiß schon« un­ter­brach er sie. »Es ist doch ganz egal, wer von uns bei­den es in der Ta­sche hat, da wir doch von jetzt ab ge­mein­sa­me Kas­se füh­ren. Du kannst ha­ben, was Du willst, aber ich mei­ne, hun­dert Franks wäre vor­läu­fig ge­nug.«

      Ohne wei­ter ein Wort zu sa­gen, nahm sie die fünf Gold­stücke; aber sie wag­te nicht, noch um mehr zu bit­ten und kauf­te nur die Pis­to­le.

      Acht Tage spä­ter tra­ten sie die Rück­rei­se nach Peup­les an.

      *

      1 Eine spe­zi­ell auf Cor­si­ka ge­bräuch­li­che Be­zeich­nung für un­kul­ti­vier­te wil­de, mit dich­tem Ge­strüpp be­deck­te Stre­cken. (Anm. d. Übers.) <<<

      Bei dem wei­ßen Tor, wel­ches zwi­schen den Stän­dern aus Back­stein hing, wur­den sie von der Fa­mi­lie und der Die­ner­schaft emp­fan­gen. Der Post­wa­gen hielt an und es er­folg­ten lan­ge herz­li­che Umar­mun­gen. Müt­ter­chen wein­te, und auch Jo­han­na wisch­te sich ei­ni­ge Trä­nen; der Papa ging auf­ge­regt hin und her.

      Dann er­folg­te im Sa­lon vor dem Ka­min­feu­er die Auf­zäh­lung der Rei­se­er­leb­nis­se, wäh­rend draus­sen das Ge­päck ab­ge­la­den wur­de. Unauf­hör­lich flos­sen die Wor­te von Jo­han­nas Lip­pen und al­les wur­de er­zählt, die gan­ze Rei­se, in ei­ner hal­b­en Stun­de. Ei­ni­ge Klei­nig­kei­ten viel­leicht wur­den über­gan­gen.

      Dann ging die jun­ge Frau dar­an, ihre Pa­ke­te und Pa­ket­chen aus­zu­kra­men, wo­bei Ro­sa­lie voll tiefer Be­we­gung mit­half. Als dies zu Ende war, als das Lei­nen­zeug, die Klei­der und alle mög­li­chen Toi­let­te­ge­gen­stän­de an ih­rem Plat­ze la­gen, ver­liess die Kam­mer­jung­fer ihre Her­rin, und Jo­han­na, al­lein ge­las­sen, setz­te sich nie­der.

      Sie frag­te sich, was sie jetzt ma­chen soll­te, in­dem sie sich eben­so nach geis­ti­ger wie nach kör­per­li­cher Be­schäf­ti­gung um­schau­te. In den Sa­lon zu ih­rer schla­fen­den Mut­ter zu­rück­zu­keh­ren, dazu hat­te sie kei­ne Lust; sie hät­te lie­ber einen Spa­zier­gang ge­macht. Aber draus­sen schi­en es so öde zu sein, dass sie schon beim Be­trach­ten der Um­ge­bung vom Fens­ter aus eine Zent­ner­last von Me­lan­cho­lie auf sich her­ab­sin­ken fühl­te.

      Da kam ihr denn so recht zum Be­wusst­sein, dass es für sie nichts mehr, auch nie­mals mehr zu tun gab. Ihre gan­ze Ju­gend­zeit über im Klos­ter hat­te sie sich mit der Zu­kunft be­schäf­tigt und Plä­ne ge­schmie­det. Un­ter die­ser fort­ge­setz­ten Träu­me­rei war ihr da­mals die Zeit ver­gan­gen, ohne dass sie es merk­te. Dann kaum den en­gen Schran­ken des Klos­ters ent­wach­sen, in dem ihre Ju­gendträu­me ent­sprun­gen wa­ren, fühl­te sie schon gar bald Herz und Sinn durch die Re­gun­gen der Lie­be in An­spruch ge­nom­men. Den er­hoff­ten Mann se­hen, ihn lie­ben, in kur­z­er Zeit hei­ra­ten, wie es bei sol­chen schnel­len Ent­sch­lies­sun­gen üb­lich, in sei­nen Ar­men ru­hen, ohne erst recht zur Be­sin­nung zu kom­men, das al­les hat­te sich wie im Flu­ge voll­zo­gen.

      Aber nun trat statt der sanf­ten Ge­wohn­heit der ers­ten Tage die raue Wirk­lich­keit des all­täg­li­chen Le­bens in ihre Rech­te ein, wel­che al­len un­de­fi­nier­ba­ren Hoff­nun­gen, je­ner an­ge­neh­men auf­re­gen­den Er­war­tung des Un­be­kann­ten für im­mer die Tür schloss. Ja, jetzt war es aus mit al­len Er­war­tun­gen.

      Also wei­ter nichts mehr zu tun! heu­te nicht, mor­gen nicht und über­mor­gen nicht. Sie emp­fand das al­les wie eine bit­te­re Ent­täu­schung, eine lang­sa­me Ver­nich­tung ih­rer Hoff­nun­gen.

      Dann sprang sie auf und lehn­te die Stirn an die küh­len Fens­ter­schei­ben. Nach­dem sie eine Wei­le den Him­mel be­trach­tet, an wel­chem düs­te­re Wol­ken da­hin­zo­gen, ent­schloss sie sich, aus­zu­ge­hen.

      War das die­sel­be Flur, das­sel­be Gras, die­sel­ben Bäu­me wie im Mai? Wo war das son­ni­ge Leuch­ten auf den Blät­tern, wo das poe­ti­sche Grün des Ra­sens ge­blie­ben, auf dem der Lö­wen­zahn em­porflamm­te, die Klat­schro­se ihr blut­ro­tes Haupt er­hob, die Mar­ghe­ri­ten spross­ten und die großen gel­ben Schmet­ter­lin­ge zier­lich von Blü­te zu Blü­te gau­kel­ten? Auch die­ses freu­di­ge Le­ben der Na­tur mit ih­rem wür­zi­gen Duft, mit ih­rer wohl­tu­en­den Frucht­bar­keit war da­hin.

      Da la­gen die von an­hal­ten­den Herbst­stür­men zer­zaus­ten Al­leen vor ihr; die Pap­peln streck­ten ihre nack­ten Zwei­ge zum Him­mel em­por, wäh­rend fah­les gel­bes Laub den Bo­den un­ter ih­nen wie ein Tep­pich be­deck­te. Ihre dün­nen Äste zit­ter­ten im Win­de, der die letz­ten dür­ren Blät­ter ab­riss und im wil­den Tan­ze durch die Luft wir­bel­te. Unauf­hör­lich wie ein an­hal­ten­der trost­lo­ser Re­gen fie­len die Blät­ter nie­der, gelb wie große Gold­stücke, bald hier­hin, bald dort­hin, fuh­ren vom Win­de wie­der auf­ge­stö­bert, noch­mals em­por, schlepp­ten sich über den Bo­den hin, um end­lich ihr letz­tes Ru­he­plätz­chen zu fin­den.

      Sie ging zum Bos­quet; es mach­te einen trau­ri­gen Ein­druck, wie ein Ster­be­zim­mer. Die grü­ne Mau­er, wel­che die lieb­li­chen ge­wun­de­nen Pfa­de von­ein­an­der trenn­te und ih­nen et­was ge­heim­nis­vol­les ver­lieh, war ent­blät­tert. Hier und dort streck­ten die Zier­sträu­cher, wel­che sonst das Ge­hölz be­lebt hat­ten, ihre ma­ge­ren Zwei­ge em­por. Das Geräusch fal­len­der Blät­ter, wel­che der Wind schüt­tel­te, ab­riss und in Hau­fen auf die Erde streu­te, klang wie das schmerz­haf­te Stöh­nen ei­nes lang­sam Da­hinster­ben­den.

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