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lan­ge und ihr Atem ging schwer. Erst ge­gen Abend ka­men sie in Evi­sa, bei ei­nem Ver­wand­ten ih­res Füh­rers Na­mens Pao­li Pala­bret­ti, an.

      Es war dies ein gut­mü­tig aus­se­hen­der großer Mann; er ging et­was vorn­über ge­beugt und hat­te den fins­te­ren Aus­druck ei­nes Schwind­süch­ti­gen. Er führ­te sie in ihr Zim­mer; frei­lich ein ödes Ge­mach mit nack­ten Wän­den, aber lu­xu­ri­ös für die­ses Land, wo jede Ele­ganz un­be­kannt ist. Gera­de drück­te er in sei­nem kor­si­schen Platt mit fran­zö­si­schen und ita­lie­ni­schen Wor­ten ver­mischt, sei­ne leb­haf­te Freu­de aus, sie bei sich zu se­hen, als er von ei­ner hel­len Stim­me un­ter­bro­chen wur­de, und eine klei­ne leb­haf­te Frau mit großen dunklen Au­gen, son­nen­ge­bräun­tem Ge­sicht, von schlan­ker Tail­le und mit ei­nem ewi­gen Lä­cheln zwi­schen den sicht­ba­ren wei­ßen Zäh­nen sich vor­schob, Jo­han­na um­arm­te und Ju­li­us die Hand drück­te, wäh­rend sie wie­der­holt »Gu­ten Tag, Ma­da­me, gu­ten Tag Mon­sieur; wie geht’s?« rief.

      Sie nahm Hüte und Shawls ab, wo­bei sie sich nur ei­nes Ar­mes be­dien­te, weil sie den an­de­ren in der Bin­de trug; hier­auf nö­tig­te sie alle, das Zim­mer zu ver­las­sen, in­dem sie zu ih­rem Man­ne sag­te: »Füh­re die Herr­schaf­ten bis zum Di­ner et­was her­um, Pao­li.«

      Herr Pala­bret­ti ge­horch­te ohne Zö­gern, nahm sei­nen Platz zwi­schen dem jun­gen Paa­re ein und zeig­te ih­nen das Dorf. Sein Schritt war schlep­pend wie sei­ne Spra­che; alle fünf Mi­nu­ten hat­te er einen Hus­ten-An­fall, wo­bei er je­des Mal sag­te:

      »Das kommt von der fri­schen Luft un­ten im Tale; sie ist mir auf die Brust ge­schla­gen.«

      Er führ­te sie jetzt auf ei­nem ver­lo­re­nen Pfa­de un­ter rie­si­gen Kas­ta­ni­en­bäu­men. Plötz­lich blieb er ste­hen und sag­te mit sei­ner ein­för­mi­gen Stim­me:

      »Hier wur­de mein Vet­ter Gio­van­ni Rinal­di durch Mat­teo Lori er­mor­det. Den­ken Sie, ich war auch da­bei; ganz nahe bei Gio­van­ni, als Mat­teo plötz­lich auf zehn Schritt vor uns stand.

      ›Gio­van­ni‹, rief er, ›geh nicht nach Al­ber­tac­co; geh nicht hin, oder ich brin­ge Dich um; das sage ich Dir.‹ – ›Geh nicht hin, Gio­van­ni!‹ rief ich, ihn am Arme fas­send. Es han­del­te sich um ein Mäd­chen, Pau­li­na Sinacu­pi, der sie bei­de nach­gin­gen. Aber Gio­van­ni schrie er­bost: – ›Ich wer­de doch ge­hen, und Du sollst mich nicht dar­an hin­dern.‹ – Da leg­te Mat­teo sein Ge­wehr an, be­vor ich das mei­ni­ge hat­te span­nen kön­nen und drück­te ab. Gio­van­ni mach­te mit bei­den Füs­sen zu­gleich einen großen Satz, wie ein Kind, das Seil­chen springt, mein Herr! und stürz­te dann rück­wärts mit sol­cher Ge­walt auf mich, dass mir mein Ge­wehr ent­fiel und bis zum großen Kas­ta­ni­en­baum da un­ten roll­te. Sein Mund stand weit of­fen; aber er sprach kein Wort mehr. Er war tot.«

      Er­schüt­tert sah das jun­ge Paar den ru­hi­gen Zeu­gen die­ser grau­si­gen Tat an.

      »Und der Mör­der?« frag­te Jo­han­na.

      Pao­li Pala­bret­ti hus­te­te lan­ge, ehe er ant­wor­te­te:

      »Es ge­lang ihm, das Ge­bir­ge zu er­rei­chen. Mein Bru­der hat ihn spä­ter ge­tö­tet. Näm­lich mein Bru­der Phil­ip­pi Pala­bret­ti, der Ban­di­to.«

      »Ihr Bru­der?« frag­te Jo­han­na schau­dernd. »Ein Ban­dit?«

      »Ja­wohl, Ma­da­me«, ent­geg­ne­te der sanf­te Kor­se mit stol­zem Auf­blit­zen des Au­ges, »es war so­gar ein ganz be­rühm­ter. Sechs Gens­darmen hat er nie­der­ge­streckt. Er starb mit Ni­co­la Mora­li zu­sam­men, als sie nach acht­tä­gi­gem Kamp­fe im Nio­lo um­zin­gelt wa­ren und bei­na­he vor Hun­ger um­ge­kom­men wä­ren. – Das ist nun mal hier­zu­lan­de nicht an­ders«, füg­te er mit gleich­gül­ti­gem Tone hin­zu, eben­so wie er sag­te: »Es ist die Luft im Tale, die einen er­käl­tet.«

      Sie kehr­ten hier­auf zum Es­sen heim und die klei­ne Kor­sin be­han­del­te sie, als ob sie schon seit zwan­zig Jah­ren mit ih­nen be­kannt wäre.

      Jo­han­na wur­de von pein­li­cher Un­ru­he ge­quält, ob sie auch in Ju­li­us’ Ar­men jene selt­sa­me und hef­ti­ge Lie­be wie­der­fin­den wür­de, die sie auf dem Moos­tep­pich bei der Quel­le am Mor­gen emp­fun­den hat­te.

      Als sie al­lein im Zim­mer wa­ren, zit­ter­te sie bei dem Ge­dan­ken an eine Ent­täu­schung. Aber es kam an­ders, und die­se Nacht wur­de im wah­ren Sin­ne des Wor­tes ihre Braut­nacht.

      Am an­de­ren Mor­gen, als die Stun­de der Abrei­se nah­te, konn­te sie sich kaum ent­sch­lies­sen, das klei­ne Haus zu ver­las­sen, wo ihr ein neu­es Glück für sie auf­ge­gan­gen zu sein schi­en.

      Sie zog die klei­ne Frau ih­res freund­li­chen Gast­ge­bers ins Zim­mer und ver­si­cher­te ihr, dass sie ihr durch­aus kein Ge­schenk ma­chen wol­le, sich aber glück­lich füh­len wür­de, wenn sie ihr nach ih­rer Rück­kehr von Pa­ris aus ein klei­nes An­den­ken schi­cken dürf­te. Fast mit aber­gläu­bi­scher Hart­nä­ckig­keit be­stand sie auf der Über­sen­dung die­ses An­den­kens.

      Die jun­ge Kor­sin sträub­te sich lan­ge und woll­te ab­so­lut nichts an­neh­men.

      »Nun gut«, sag­te sie end­lich, »schi­cken Sie mir eine klei­ne Pis­to­le, eine ganz klei­ne.«

      Jo­han­na mach­te große Au­gen.

      »Ich möch­te mei­nen Schwa­ger tö­ten«, sag­te sie ganz lei­se, ihr ins Ohr flüs­ternd, wie man Je­man­den ein süs­ses Ge­heim­nis an­ver­traut. Und un­ter fort­wäh­ren­dem Lä­cheln lös­te sie has­tig die Bin­de von ih­rem Arm und zeig­te ihre run­de wei­ße Hand, wel­che deut­lich die Spu­ren von mehr­fa­chen Dolch­sti­chen auf­wies.

      »Wenn ich nicht eben­so stark wäre wie er, so hät­te er mich um­ge­bracht. Mein Mann ist nicht ei­fer­süch­tig; er kennt mich. Und zu­dem ist er krank, wis­sen Sie, und das lässt sein Blut nicht auf­wal­len. Üb­ri­gens bin ich eine ehr­ba­re Frau, Ma­da­me! Aber mein Schwa­ger glaubt al­les, was man ihm sagt. Er ist ei­fer­süch­tig für mei­nen Mann und er wird si­cher wie­der von Neu­em an­fan­gen. Wenn ich in­des­sen eine klei­ne Pis­to­le hät­te, wäre ich be­ru­higt und könn­te mich vor ihm schüt­zen.«

      Jo­han­na ver­sprach, ihr die Waf­fe zu sen­den, küss­te zärt­lich ihre neue Freun­din und setz­te ih­ren Weg mit Ju­li­us fort.

      Der Rest ih­rer Rei­se ver­ging ih­nen wie ein Traum, wie ein end­lo­ser Lie­bes­rausch. Sie hat­te kein Auge mehr für Land und Leu­te; sie sah nur noch Ju­li­us.

      Von nun an be­gann für sie jene kind­li­che lieb­li­che Zeit der Lie­bes­tän­de­lei, klei­ner zar­ter Ko­sen­a­men, scherz­haf­ter Ne­cke­rei­en, die Zeit, wo sie al­les, was sie um­gab und was sie ge­nos­sen, mit ei­ner be­son­de­ren Be­zeich­nung be­leg­ten.

      Da Jo­han­na auf der rech­ten Sei­te schlief, so war ihre lin­ke Brust beim Er­wa­chen zu­wei­len ent­blöst. Ju­li­us, der dies be­merkt hat­te, nann­te das den »Herrn Freischlä­fer«, wäh­rend er die an­de­re Sei­te als den »Herrn Ver­lieb­ten« be­zeich­ne­te, weil die­sel­be mit ih­rer ro­si­gen Knos­pe sich für sei­ne Küs­se emp­find­li­cher er­wies.

      Je­ner Platz, wo Ju­li­us am liebs­ten und häu­figs­ten bei ihr ver­weil­te, wur­de von ih­nen »Müt­ter­chens Al­lee« ge­tauft; eine an­de­re ge­heim­nis­vol­le­re Stel­le nann­ten

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