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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Was wusste sie nun eigentlich? Wie viel hatte sie erraten? Sie begann zu zittern; eine düstere schmerzliche Traurigkeit wie eine Art Vorahnung hatte sie ergriffen.
Als sie ins Haus zurückkehrten, blieben sie überrascht unter der Türe des Salons stehen. Madame Adelaïde hing an Julius Halse und schluchzte herzzerbrechend. Alles an ihr schien Tränen auszuströmen, Nase, Mund und Augen; und der junge Mann hatte in seinem Erstaunen alle Mühe, die starke Dame zu stützen, welche ihm in die Arme gesunken war, um ihm die Sorge für ihr Kleinod, ihr Herzblatt, ihr angebetetes Kind, auf die Seele zu binden.
»Ach, nur keine Szene!« sagte der Baron rasch vortretend, »ich bitte drum.« Er nahm seine Gattin und führte sie zu einem Sessel, während sie sich das Gesicht abwischte.
»Komm mein Kind«, wandte er sich alsdann zu Johanna, »gib Mama einen Kuss und geh’ zu Bett.«
Johanna hielt die gleichfalls drohenden Tränen zurück, küsste schnell ihre Eltern und verliess das Zimmer.
Tante Lison hatte sich schon auf ihr Zimmer zurückgezogen. Der Baron und die Baronin blieben mit Julius allein. Alle drei waren so verlegen, dass sie kein Wort sprachen. Die Herren standen zerstreut da in ihrer Diner-Toilette, während Madame Adelaïde ganz erschöpft, noch die letzten Tränen auf den Wangen, in ihrem Sessel lag.
Um der Verlegenheit ein Ende zu machen, begann der Baron von der Reise zu sprechen, welche die jungen Leute nach einigen Tagen unternehmen sollten.
Johanna ließ sich in ihrem Zimmer durch Rosalie auskleiden, die wie ein Wasserfall weinte. Ihre Hände waren ungeschickt; sie fand sich mit Schnüren und Hefteln nicht zurecht und schien noch in viel grösserer Gemütsbewegung wie ihre Herrin. Aber Johanna achtete nicht auf die Tränen ihrer Kammerjungfer; sie war wie auf einer anderen Welt, in einem fremden Land, getrennt von allem, was ihr bis dahin lieb und teuer gewesen war. In ihrem Denken und Fühlen schien alles so durcheinander zu sein, dass sie sich sogar fragte, ob sie eigentlich ihren Gatten liebe. Er schien ihr jetzt plötzlich ein Fremder zu sein, den sie kaum vorher gekannt hatte. Vor drei Monaten wusste sie noch nichts von seiner Existenz und jetzt war sie schon seine Frau. Wie kam das eigentlich? Warum so schnell in die Ehe stürzen, wie in ein Loch, das sich plötzlich zu unsern Füssen öffnet?
Als sie ihre Nachttoilette beendet hatte, schlüpfte sie ins Bett. Die frisch überzogenen Leintücher verursachten ihr einen leichten Schauer und vermehrten das Gefühl der Kälte, der Einsamkeit und Traurigkeit, welches seit zwei Stunden auf ihrer Seele lastete.
Rosalie entfernte sich, noch ganz in Tränen gebadet. Ängstlich und mit krampfhaftem Seelenschmerz erwartete sie das, was sie halb und halb aus den dunklen Andeutungen ihres Vaters erraten hatte, die Enthüllung dessen, was man das große Geheimnis der Liebe nennt.
Drei leichte Schläge ertönten an der Türe, ohne dass sie jemand hatte die Treppe heraufkommen hören. Sie fing heftig an zu zittern und wagte nicht zu antworten. Es klopfte abermals und dann wurde die Tür geöffnet. Sie steckte den Kopf unter die Decke, wie wenn ein Dieb in ihr Zimmer geschlichen käme. Leichte Schritte tönten auf dem Fussboden, und dann stand jemand plötzlich an ihrem Bett.
Sie stiess vor Erregung einen kleinen Schrei aus, und als sie den Kopf hervorstreckte, sah sie Julius neben sich stehen. Er schaute sie lächelnd an.
»Ach, wie Sie mich geängstigt haben!« sagte sie.
»Haben Sie mich denn nicht erwartet?« fragte er.
Sie antwortete nicht. Er war noch vollständig in seiner Festtoilette; als sie in sein hübsches Gesicht schaute, fühlte sie plötzlich eine große Scham darüber, vor diesem ganz angezogenen Manne so leicht bekleidet dazuliegen.
Sie wussten beide nicht, was sie sagen oder tuen sollten; sie wagten nicht einmal, sich anzusehen. So sehr fühlten beide instinktiv den Ernst dieser entscheidenden Stunde, von der ja so oft das Glück eines ganzen Lebens abhängt.
Er hatte so eine unbestimmte Ahnung, welche Gefahr für ihn darinlag, wenn er seine Selbstbeherrschung verlor. Er würde seine ganze wohlerwogene Zärtlichkeit aufbieten müssen, um nicht das peinliche Zartgefühl und die keusche Schamhaftigkeit eines nur von idealen Träumen erfüllten jungfräulichen Gemütes zu verletzen.
Sanft nahm er ihre Hand und küsste sie; dann kniete er vor ihrem Bett wie vor einem Altar nieder und flüsterte mit leiser zärtlicher Stimme:
»Werden Sie mir Ihre Liebe schenken?«
Sie gewann ihre Sicherheit langsam wieder, hob das Köpfchen aus dem spitzenbedeckten Kissen und sagte lächelnd:
»Ich liebe Sie ja schon längst, mein Freund!«
Da nahm er die kleinen zarten Finger seiner Frau an die Lippen und fragte sie zärtlicher noch als vorher:
»Wollen Sie mir auch den Beweis Ihrer Liebe geben?«
Seine Stimme klang ganz verändert, als er so zwischen ihren Fingern hindurch fragte.
»Ich gehöre Ihnen ja, lieber Freund!« antwortete sie aufs Neue verwirrt durch seine Frage, welche, ohne dass sie dieselbe ganz verstand, ihr doch die Worte des Vaters ins Gedächtnis zurückrief.
Er bedeckte immer wieder ihre Hand mit Küssen und, indem er langsam aufstand, suchte er sich ihrem Antlitz zu nähern, das sie aufs Neue zu verbergen strebte.
Dann streckte er plötzlich einen Arm aus, umschlang seine Frau mitsamt der Bettdecke und schob den anderen Arm unter das Kopfkissen. So zog er sie langsam an sich und flüsterte ihr leise, ganz leise zu:
»Würden Sie mir dann auch ein kleines Plätzchen in Ihrem Bette gönnen?«
Sie empfand Furcht, eine instinktive Furcht:
»Ach, jetzt noch nicht, ich bitte Sie«, stammelte sie.
Er war sichtlich überrascht, ein wenig verletzt sogar; und wenn er den bittenden Ton auch beibehielt, so klang es doch etwas rauer, als er jetzt sagte:
»Warum etwas verschieben, was wir doch schliesslich alle Tage so machen werden?«
Sie ärgerte sich über diese Worte; aber schliesslich sagte sie doch zum zweiten Male sanft und ergeben:
»Ich gehöre Ihnen ja, lieber Freund!«
Da verschwand er schnell im Ankleidezimmer. Sie hörte deutlich und mit ängstlichen Schauern das Geräusch abgelegter Kleider, das Klingen