ТОП просматриваемых книг сайта:
Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Gegen Abend kamen sie durch Cargese, dem alten Griechen-Dorfe, welches einst eine flüchtige Schar Verbannter dort angelegt hatte. Hübsche, hochgewachsene Mädchen mit vornehmem Profil, langen Händen, schlanker Taille, ausnehmend graziöse Erscheinungen, standen in einer Gruppe an einem Brunnen. Als Julius ihnen einen »Guten Abend« wünschte, antworteten sie mit wohlklingender Stimme in der melodischen Sprache ihres Vaterlandes.
Als sie nach Piana kamen, mussten sie, wie in alten Zeiten und längst verschollenen Landen um Gastfreundschaft bitten. Johannas Herz hüpfte vor Freude, während sie warteten, ob die Pforte sich öffnen würde, an welcher Julius gepocht hatte. Das war doch wirklich mal eine Reise mit all’ den unvorhergesehenen Ereignissen auf unbekannten Strassen!
Sie hatten sich gerade an eine noch neubegründete Haushaltung gewandt. Man empfing sie, wie ungefähr die Patriarchen einen von Gott gesandten Gast empfangen haben würden. Sie schliefen unter einem Strohdache in dem alten wurmstichigen Hause, dessen ganzes Gebälk mit Inschriften bedeckt schien; so hatten die kleinen Holzwürmer ihre Spuren auf demselben eingegraben.
Mit Sonnenaufgang zogen sie weiter und standen bald vor einem Wald, einem wirklichen Wald von purpurfarbenem Granit. Da befanden sich Giebel, Säulen, Glocken und allerlei seltsame Figuren, welche der Zahn der Zeit, der Sturmwind und der gefrässige Brodem des Meeres aus dem Gestein gebildet hatten.
Oft dreihundert Meter hoch, schlank, rund, gewunden, geknickt, missgestaltet, seltsam, in jeder Art von Form, erschienen diese sonderbaren Felsen wie Bäume, Pflanzen, Tiere, Denkmäler, Menschen, Mönche in langen Kutten, Teufel mit Hörnern, riesige Vögel, kurz wie eine Welt von Ungeheuern, wie eine Menagerie, die durch die sonderbare Laune irgend eines Gottes in Stein verwandelt war.
Johanna fand keine Worte für die mächtige Bewegung ihres Herzens, und sie ergriff die Hand ihres Gatten, welche sie, hingerissen von der Schönheit dieses Schauspieles, zärtlich drückte.
Plötzlich, als sie diesen chaotischen Anblick hinreichend genossen, entdeckten sie einen neuen Golf, der ringsum mit einer Mauer von blutigrotem Granit umsäumt war. Das blaue Meer warf das Spiegelbild dieser scharlachfarbenen Felsen zurück.
»Ach, Julius!« stammelte Johanna; sie konnte von Bewunderung hingerissen keine anderen Worte finden. Es war ihr, als ob ihr die Kehle zugeschnürt wäre; und zwei große Tränen perlten aus ihren Augen.
»Was hast Du, Herzchen?« fragte Julius, sie erstaunt anblickend.
»Ach nichts …« sagte sie, sich die Augen wischend, mit etwas unsicherer Stimme. »Es kommt von den Nerven … ich weiß selbst nicht … Ich war ergriffen. Ich bin so glücklich, dass die kleinste Kleinigkeit mich erregt.«
Er hatte kein Verständnis für diese weiblichen Erregungen, dieses Aufwallen eines durch ein Nichts erschütterten Gemütes, auf welches Begeisterung ebenso wirkt wie ein Unglücksfall, und welches ebenso leicht vor Freude und Glück wie vor Schmerz zu weinen geneigt ist.
Diese Tränen kamen ihm lächerlich vor; und ganz mit dem schlechten Zustande des Weges beschäftigt sagte er:
»Du tätest besser, auf Dein Pferd acht zu geben.«
Sie konnten nur mit Mühe auf dem fast ungangbaren Weg zu dem Grunde dieses Golfes gelangen; dann wandten sie sich rechts, um das finstere Ota-Tal zu passieren.
Aber der Pfad wurde jetzt wirklich entsetzlich.
»Wollen wir nicht lieber zu Fuss herauf gehen?« schlug Julius vor.
Sie konnte sich nichts besseres wünschen; es war ihr gerade recht, jetzt zu gehen, allein zu sein mit ihm nach dieser heftigen Gemütsbewegung.
Der Führer ritt mit dem Maulesel und den Pferden voraus, und sie folgten ihm langsam.
Das Gebirge schien hier von oben bis unten geborsten und der Pfad führte in diese von der Natur gebildete Spalte. Zu beiden Seiten erhoben sich die Felswände wie zwei hohe Mauern, während ein reissender Bach sich neben dem Pfade seinen Weg durch die Enge bahnte. Die Luft war eisig, der Granit erschien hier schwarz, und ganz hoch darüber lachte der blaue Himmel.
Ein plötzliches Geräusch ließ Johanna erzittern. Sie blickte auf und sah, wie ein riesiger Vogel sich aus einer Felsspalte schwang; es war ein Adler. Seine ausgespannten Flügel schienen bis an beide Wände der Schlucht zu reichen; immer höher stieg er empor, bis er im azurblauen Äther verschwand.
Weiter vorn teilte sich der Spalt in zwei Hälften; der Pfad führte in grotesken Windungen durch die beiden Schluchten. Johanna ging lustig und leichtfüssig voran; die Kiesel rollten unter ihren Füssen, aber sie beugte sich furchtlos über den Rand der Abgründe. Er folgte ihr, etwas ausser Atem, das Auge, aus Furcht vor Schwindel, stets zu Boden gesenkt.
Plötzlich erreichten die Sonnenstrahlen sie wieder; sie glaubten aus der Unterwelt hervorzukommen. Da sie Durst verspürten, so folgten sie den feuchten Spuren, die durch wild aufeinander getürmtes Gestein führten und standen bald vor einer Quelle, die zum Gebrauch für die Ziegen in eine hölzerne Rinne geleitet war. Ringsumher war der Boden mit einem Moosteppich bedeckt. Johanna kniete nieder um zu trinken, worauf Julius ihrem Beispiele folgte.
Während sie das kühle Nass schlürfte, fasste er sie um die Taille und suchte ihr ihren Platz am Ende der Rinne zu rauben. Sie wehrte sich und ihre Lippen stiessen aneinander, sie schoben sich gegenseitig zurück und kamen dann wieder zusammen. Bei diesem scherzhaften Kampfe fassten sie abwechselnd das schmale Ende der Rinne mit den Zähnen, um sich festzuhalten, während das frische Quellwasser bald zurückgedrängt, bald aufsprudelnd, ihre Gesichter, ihre Nacken, ihre Kleider und Hände bespritzte. Auf ihren Haaren schimmerten Wassertröpfchen wie kleine Perlen. Zwischen das ablaufende Nass mischten sich ihre heissen Küsse.
Johanna wurde plötzlich von einem vollständigen Liebestaumel ergriffen. Sie nahm einen Mund voll klaren Wassers und mit aufgeblasenen Backen teilte sie es, Lippe an Lippe gepresst, Julius mit, um seinen Durst zu löschen.
Lächelnd, den Kopf hintenüber gebeugt, hielt dieser seinen Mund hin und trank mit einem tiefen Zuge aus dieser lebenden Quelle die kühlende Labung. Aber in seinem Inneren entzündete sie eine heisse Glut.
Johanna beugte sich mit ungewöhnlicher Zärtlichkeit