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      Ge­gen Abend ka­men sie durch Car­ge­se, dem al­ten Grie­chen-Dor­fe, wel­ches einst eine flüch­ti­ge Schar Ver­bann­ter dort an­ge­legt hat­te. Hüb­sche, hoch­ge­wach­se­ne Mäd­chen mit vor­neh­mem Pro­fil, lan­gen Hän­den, schlan­ker Tail­le, aus­neh­mend gra­zi­öse Er­schei­nun­gen, stan­den in ei­ner Grup­pe an ei­nem Brun­nen. Als Ju­li­us ih­nen einen »Gu­ten Abend« wünsch­te, ant­wor­te­ten sie mit wohl­klin­gen­der Stim­me in der me­lo­di­schen Spra­che ih­res Va­ter­lan­des.

      Als sie nach Pia­na ka­men, muss­ten sie, wie in al­ten Zei­ten und längst ver­schol­le­nen Lan­den um Gast­freund­schaft bit­ten. Jo­han­nas Herz hüpf­te vor Freu­de, wäh­rend sie war­te­ten, ob die Pfor­te sich öff­nen wür­de, an wel­cher Ju­li­us ge­pocht hat­te. Das war doch wirk­lich mal eine Rei­se mit all’ den un­vor­her­ge­se­he­nen Er­eig­nis­sen auf un­be­kann­ten Stras­sen!

      Sie hat­ten sich ge­ra­de an eine noch neu­be­grün­de­te Haus­hal­tung ge­wandt. Man emp­fing sie, wie un­ge­fähr die Pa­tri­ar­chen einen von Gott ge­sand­ten Gast emp­fan­gen ha­ben wür­den. Sie schlie­fen un­ter ei­nem Stroh­da­che in dem al­ten wurm­sti­chi­gen Hau­se, des­sen gan­zes Ge­bälk mit In­schrif­ten be­deckt schi­en; so hat­ten die klei­nen Holzwür­mer ihre Spu­ren auf dem­sel­ben ein­ge­gra­ben.

      Mit Son­nen­auf­gang zo­gen sie wei­ter und stan­den bald vor ei­nem Wald, ei­nem wirk­li­chen Wald von pur­pur­far­be­nem Gra­nit. Da be­fan­den sich Gie­bel, Säu­len, Glo­cken und al­ler­lei selt­sa­me Fi­gu­ren, wel­che der Zahn der Zeit, der Sturm­wind und der ge­fräs­si­ge Bro­dem des Mee­res aus dem Ge­stein ge­bil­det hat­ten.

      Oft drei­hun­dert Me­ter hoch, schlank, rund, ge­wun­den, ge­knickt, miss­ge­stal­tet, selt­sam, in je­der Art von Form, er­schie­nen die­se son­der­ba­ren Fel­sen wie Bäu­me, Pflan­zen, Tie­re, Denk­mä­ler, Men­schen, Mön­che in lan­gen Kut­ten, Teu­fel mit Hör­nern, rie­si­ge Vö­gel, kurz wie eine Welt von Un­ge­heu­ern, wie eine Me­na­ge­rie, die durch die son­der­ba­re Lau­ne ir­gend ei­nes Got­tes in Stein ver­wan­delt war.

      Jo­han­na fand kei­ne Wor­te für die mäch­ti­ge Be­we­gung ih­res Her­zens, und sie er­griff die Hand ih­res Gat­ten, wel­che sie, hin­ge­ris­sen von der Schön­heit die­ses Schau­spie­les, zärt­lich drück­te.

      Plötz­lich, als sie die­sen chao­ti­schen An­blick hin­rei­chend ge­nos­sen, ent­deck­ten sie einen neu­en Golf, der rings­um mit ei­ner Mau­er von blu­tig­ro­tem Gra­nit um­säumt war. Das blaue Meer warf das Spie­gel­bild die­ser schar­lach­far­be­nen Fel­sen zu­rück.

      »Ach, Ju­li­us!« stam­mel­te Jo­han­na; sie konn­te von Be­wun­de­rung hin­ge­ris­sen kei­ne an­de­ren Wor­te fin­den. Es war ihr, als ob ihr die Keh­le zu­ge­schnürt wäre; und zwei große Trä­nen perl­ten aus ih­ren Au­gen.

      »Was hast Du, Herz­chen?« frag­te Ju­li­us, sie er­staunt an­bli­ckend.

      »Ach nichts …« sag­te sie, sich die Au­gen wi­schend, mit et­was un­si­che­rer Stim­me. »Es kommt von den Ner­ven … ich weiß selbst nicht … Ich war er­grif­fen. Ich bin so glück­lich, dass die kleins­te Klei­nig­keit mich er­regt.«

      Er hat­te kein Ver­ständ­nis für die­se weib­li­chen Er­re­gun­gen, die­ses Auf­wal­len ei­nes durch ein Nichts er­schüt­ter­ten Ge­mü­tes, auf wel­ches Be­geis­te­rung eben­so wirkt wie ein Un­glücks­fall, und wel­ches eben­so leicht vor Freu­de und Glück wie vor Schmerz zu wei­nen ge­neigt ist.

      Die­se Trä­nen ka­men ihm lä­cher­lich vor; und ganz mit dem schlech­ten Zu­stan­de des We­ges be­schäf­tigt sag­te er:

      »Du tä­test bes­ser, auf Dein Pferd acht zu ge­ben.«

      Sie konn­ten nur mit Mühe auf dem fast un­gang­ba­ren Weg zu dem Grun­de die­ses Gol­fes ge­lan­gen; dann wand­ten sie sich rechts, um das fins­te­re Ota-Tal zu pas­sie­ren.

      Aber der Pfad wur­de jetzt wirk­lich ent­setz­lich.

      »Wol­len wir nicht lie­ber zu Fuss her­auf ge­hen?« schlug Ju­li­us vor.

      Sie konn­te sich nichts bes­se­res wün­schen; es war ihr ge­ra­de recht, jetzt zu ge­hen, al­lein zu sein mit ihm nach die­ser hef­ti­gen Ge­müts­be­we­gung.

      Der Füh­rer ritt mit dem Maulesel und den Pfer­den vor­aus, und sie folg­ten ihm lang­sam.

      Das Ge­bir­ge schi­en hier von oben bis un­ten ge­bors­ten und der Pfad führ­te in die­se von der Na­tur ge­bil­de­te Spal­te. Zu bei­den Sei­ten er­ho­ben sich die Fels­wän­de wie zwei hohe Mau­ern, wäh­rend ein reis­sen­der Bach sich ne­ben dem Pfa­de sei­nen Weg durch die Enge bahn­te. Die Luft war ei­sig, der Gra­nit er­schi­en hier schwarz, und ganz hoch dar­über lach­te der blaue Him­mel.

      Ein plötz­li­ches Geräusch ließ Jo­han­na er­zit­tern. Sie blick­te auf und sah, wie ein rie­si­ger Vo­gel sich aus ei­ner Fels­s­pal­te schwang; es war ein Ad­ler. Sei­ne aus­ge­spann­ten Flü­gel schie­nen bis an bei­de Wän­de der Schlucht zu rei­chen; im­mer hö­her stieg er em­por, bis er im azur­blau­en Äther ver­schwand.

      Wei­ter vorn teil­te sich der Spalt in zwei Hälf­ten; der Pfad führ­te in gro­tes­ken Win­dun­gen durch die bei­den Schluch­ten. Jo­han­na ging lus­tig und leicht­füs­sig vor­an; die Kie­sel roll­ten un­ter ih­ren Füs­sen, aber sie beug­te sich furcht­los über den Rand der Ab­grün­de. Er folg­te ihr, et­was aus­ser Atem, das Auge, aus Furcht vor Schwin­del, stets zu Bo­den ge­senkt.

      Plötz­lich er­reich­ten die Son­nen­strah­len sie wie­der; sie glaub­ten aus der Un­ter­welt her­vor­zu­kom­men. Da sie Durst ver­spür­ten, so folg­ten sie den feuch­ten Spu­ren, die durch wild auf­ein­an­der ge­türm­tes Ge­stein führ­ten und stan­den bald vor ei­ner Quel­le, die zum Ge­brauch für die Zie­gen in eine höl­zer­ne Rin­ne ge­lei­tet war. Rings­um­her war der Bo­den mit ei­nem Moos­tep­pich be­deckt. Jo­han­na knie­te nie­der um zu trin­ken, wor­auf Ju­li­us ih­rem Bei­spie­le folg­te.

      Wäh­rend sie das küh­le Nass schlürf­te, fass­te er sie um die Tail­le und such­te ihr ih­ren Platz am Ende der Rin­ne zu rau­ben. Sie wehr­te sich und ihre Lip­pen sties­sen an­ein­an­der, sie scho­ben sich ge­gen­sei­tig zu­rück und ka­men dann wie­der zu­sam­men. Bei die­sem scherz­haf­ten Kamp­fe fass­ten sie ab­wech­selnd das schma­le Ende der Rin­ne mit den Zäh­nen, um sich fest­zu­hal­ten, wäh­rend das fri­sche Quell­was­ser bald zu­rück­ge­drängt, bald auf­spru­delnd, ihre Ge­sich­ter, ihre Na­cken, ihre Klei­der und Hän­de be­spritz­te. Auf ih­ren Haa­ren schim­mer­ten Was­ser­tröpf­chen wie klei­ne Per­len. Zwi­schen das ab­lau­fen­de Nass misch­ten sich ihre heis­sen Küs­se.

      Jo­han­na wur­de plötz­lich von ei­nem voll­stän­di­gen Lie­bes­tau­mel er­grif­fen. Sie nahm einen Mund voll kla­ren Was­sers und mit auf­ge­bla­se­nen Ba­cken teil­te sie es, Lip­pe an Lip­pe ge­presst, Ju­li­us mit, um sei­nen Durst zu lö­schen.

      Lä­chelnd, den Kopf hin­ten­über ge­beugt, hielt die­ser sei­nen Mund hin und trank mit ei­nem tie­fen Zuge aus die­ser le­ben­den Quel­le die küh­len­de La­bung. Aber in sei­nem In­ne­ren ent­zün­de­te sie eine heis­se Glut.

      Jo­han­na beug­te sich mit un­ge­wöhn­li­cher Zärt­lich­keit

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