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Zwei­ge streif­ten ihre Stirn, so­dass sie die­sel­ben oft­mals zur Sei­te bie­gen muss­ten. Als sie ein Blatt ab­ge­ris­sen hat­te, be­merk­te sie un­ter dem­sel­ben ein Paar Mut­ter­got­tes­kä­fer­chen, die sich wie zwei klei­ne rote Schne­cken dort fest­ge­klam­mert hiel­ten.

      »Sieh’ mal, Mann und Frau!« sag­te sie un­schul­dig.

      »Heu­te Abend wirst Du auch mei­ne Frau sein« flüs­ter­te Ju­li­us ihr ins Ohr.

      Ob­schon sie wäh­rend ih­res Le­bens auf dem Lan­de schon man­ches ge­se­hen und ge­hört hat­te, fass­te sie doch noch die Lie­be rein von der poe­ti­schen Sei­te auf. Sei­ne Wor­te über­rasch­ten sie. Sei­ne Frau? war sie das denn nicht schon?

      Jetzt über­häuf­te er sie plötz­lich mit un­zäh­li­gen Küs­sen auf Stirn und Na­cken, dort wo ihre Haa­re an­fin­gen. Un­ter dem Ein­druck die­ser un­ge­wohn­ten stür­mi­schen Zärt­lich­keit ei­nes Man­nes neig­te sie un­will­kür­lich den Kopf zur Sei­te, um den Küs­sen aus­zu­wei­chen, die ihr aber doch so wohl ta­ten.

      Sie be­fan­den sich jetzt am Ran­de des Ge­höl­zes. Er­schreckt über die wei­te Ent­fer­nung vom Hau­se blieb Jo­han­na ste­hen. Was soll­te man nur den­ken?

      »Lass uns um­keh­ren« sag­te sie.

      Er zog den Arm von ih­rer Tail­le fort, und in­dem sie sich um­wand­ten, stan­den sie bei­de so nahe ge­gen­über, dass sie fast ih­ren Atem spür­ten. Sie sa­hen sich an und zwar mit ei­nem je­ner star­ren Bli­cke, die al­les durch­drin­gen und der Ver­schmel­zung zwei­er See­len glei­chen. Ihre Her­zen such­ten sich in ih­ren Au­gen, hin­ter den­sel­ben, als woll­ten sie ein We­sen er­grün­den, das ih­nen noch un­be­kannt, un­durch­dring­lich bis da­hin ge­blie­ben war. Sie prüf­ten sich ge­gen­sei­tig mit die­ser stum­men aber doch so aus­drucks­vol­len Fra­ge. Was wür­den sie sich sein? Wie wür­de sich das Le­ben ge­stal­ten, das sie jetzt mit­ein­an­der be­gan­nen? Wel­che Freu­den, wel­ches Glück oder wel­che Ent­täu­schung wür­de eins dem an­de­ren in die­sem lan­gen Zu­sam­men­sein ei­ner un­lös­li­chen Ehe be­rei­ten? Und es schi­en ih­nen bei­den, als hät­ten sie sich vor­her noch nie ge­se­hen.

      Plötz­lich leg­te Ju­li­us bei­de Hän­de auf die Schul­tern sei­ner Frau und drück­te einen vol­len Kuss auf ihre Lip­pen, wie sie ihn bis da noch nicht emp­fan­gen hat­te. Er weil­te nicht auf ih­ren Lip­pen, die­ser Kuss, er pflanz­te sich durch ihr gan­zes In­ne­re fort, durch Mark und Bein. Sie fühl­te einen sol­chen ge­heim­nis­vol­len Schau­er, dass sie halb von Sin­nen mit bei­den Ar­men Ju­li­us zu­rück­dräng­te, wo­bei sie bei­na­he hin­ten­über ge­fal­len wäre. »Lass uns ge­hen, lass uns ge­hen« stam­mel­te sie ver­wirrt.

      Er ant­wor­te­te nichts und er­griff ihre bei­den Hän­de, die er den gan­zen Weg über nicht wie­der los­liess.

      Bis zu Hau­se wech­sel­ten sie kein Wort mehr. Der Rest des Nach­mit­tags er­schi­en ih­nen sehr lang.

      Ge­gen Abend setz­te man sich zu Ti­sche. Das Di­ner war, ganz ge­gen die sons­ti­gen Ge­bräu­che in der Nor­man­die, kurz und ein­fach. Es lag wie eine Art Ver­le­gen­heit auf al­len Teil­neh­mern. Nur die bei­den Pfar­rer, der Maire und die vier ge­la­de­nen Land­leu­te zeig­ten ei­ni­ger­mas­sen eine ge­wis­se aus­ge­las­se­ne hoch­zeit­li­che Stim­mung.

      Wenn sie zu la­chen auf­hör­ten, so reiz­te sie ein Witz des Mai­res aufs Neue dazu. Ge­gen neun Uhr un­ge­fähr nahm man den Kaf­fee ein. Draus­sen un­ter den Obst­bäu­men im ers­ten Hofe be­gann der länd­li­che Rei­gen. Durch die of­fe­nen Fens­ter konn­te man den Fest­platz über­se­hen. An den Bäu­men wa­ren Pa­pier­la­ter­nen auf­ge­hängt und lies­sen den gan­zen Raum in grün­lich-gel­bem Lich­te er­schim­mern. Männ­lein und Weib­lein hüpf­ten beim Klan­ge ei­nes ei­gen­ar­ti­gen nor­man­ni­schen Lie­des in der Run­de, zu dem zwei Vio­li­nen und eine Kla­ri­net­te auf ei­nem als Tri­bü­ne die­nen­den Kü­chen­ti­sche eine et­was dün­ne Beglei­tung spiel­ten. Der lau­te Ge­sang der Tan­zen­den über­tön­te voll­stän­dig die In­stru­men­te; nur hin und wie­der klan­gen ihre ma­ge­ren Töne durch das Ge­joh­le hin­durch, als wenn sie von Oben her dazu auf­spiel­ten.

      Zwei große Fäs­ser, durch Fa­ckeln be­leuch­tet, sorg­ten für den Durst der Men­ge. Die bei­den Mäg­de, wel­che die­sel­ben be­dien­ten, lie­fen un­auf­hör­lich hin und her, den Arm voll trop­fen­der Glä­ser, die sie ent­we­der mit ro­tem Wein oder mit gold­glän­zen­dem rei­nen Ci­der füll­ten. Die durs­ti­gen Tän­zer, die ru­hig da­sit­zen­den Al­ten eben­so wie die schweiß­trie­fen­den Jun­gen be­eil­ten sich, mit aus­ge­streck­ten Hän­den ein Glas oder einen Krug zu er­wi­schen und sich mit zu­rück­ge­bo­ge­nem Kop­fe ihr Lieb­lings­ge­tränk schluck­wei­se durch die Keh­le rin­nen zu las­sen.

      Auf ei­nem Ti­sche wa­ren Brot, But­ter, Käse und Würst­chen auf­ge­stellt. Von Zeit zu Zeit hol­te sich je­der einen tüch­ti­gen Bis­sen; und die­ses mun­te­re Trei­ben un­ter dem grü­nen Laub­dach in sei­ner ge­sun­den Na­tür­lich­keit er­weck­te selbst in den Ge­la­de­nen oben im Saa­le die Lust, ein Tänz­chen zu ma­chen, und zu Brot und Käse einen Krug vom köst­li­chen Ci­der zu schlür­fen.

      »Tau­send auch!« rief der Maire, der mit sei­nem Mes­ser den Takt schlug, »das ist präch­tig, wie bei der Hoch­zeit zu Ga­na­ga.«

      Al­les lach­te laut.

      »Sie mei­nen die Hoch­zeit zu Kanaa« sag­te Abbé Pi­cot, ein ab­ge­sag­ter Feind al­ler Zi­vil-Be­hör­den.

      Der an­de­re aber woll­te die Be­leh­rung nicht gel­ten las­sen.

      »Nein, Herr Pfar­rer, ich weiß schon Be­scheid; wenn ich sage Ga­na­ga, so mei­ne ich Ga­na­ga.«

      Man er­hob sich und ging in den Sa­lon. Dann misch­te man sich für eine Wei­le un­ter die fröh­li­che Men­ge, bis die Ge­la­de­nen sich ent­fern­ten.

      Der Baron und die Baro­nin führ­ten lei­se einen klei­nen Streit mit­ein­an­der. Ma­da­me Ade­laï­de, atem­lo­ser wie je, schi­en auf einen Wunsch ih­res Gat­ten nicht ein­ge­hen zu wol­len; end­lich sag­te sie halb­laut: »Nein, lie­ber Freund, ich kann nicht. Ich wüss­te nicht, wie ich es ma­chen soll­te.«

      Hier­auf nä­her­te sich der Papa, in­dem er sie ein­fach ste­hen ließ, sei­ner Toch­ter.

      »Willst Du einen klei­nen Spa­zier­gang mit mir ma­chen, mein Kind?« frag­te er.

      »Gern, Papa« ant­wor­te­te sie be­wegt. Sie gin­gen hin­aus.

      Als sie vor die Türe nach der Mee­res­sei­te zu tra­ten, weh­te ih­nen ein tro­ckener Wind ent­ge­gen, ei­ner je­ner küh­len Som­mer­win­de, wel­che schon das Na­hen des Herbs­tes ver­kün­den.

      Wol­ken jag­ten am Him­mel vor­über und ver­deck­ten für ei­ni­ge Au­gen­bli­cke die Ster­ne.

      Der Baron nahm sei­ne Toch­ter un­term Arm und drück­te zärt­lich ihre Hand. So gin­gen sie ei­ni­ge Au­gen­bli­cke schweig­sam ne­ben ein­an­der. Er schi­en ver­le­gen und un­ent­schlos­sen.

      »Mein Kind«, be­gann er end­lich, »ich habe eine schwie­ri­ge Auf­ga­be über­nom­men, die ei­gent­lich Dei­ner Mut­ter zu­käme. Da sie sich aber nicht dazu im­stan­de fühlt, so muss ich sie ver­tre­ten. Es gibt Ge­heim­nis­se,

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