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Lan­ge­wei­le ih­res zu­künf­ti­gen ein­för­mi­gen Le­bens auf ih­rer See­le.

      Dann setz­te sie sich auf die Ra­sen­bank, wo Ju­li­us ihr zum ers­ten Mal von Lie­be ge­spro­chen hat­te. Dort blieb sie träu­mend, kaum ei­nes Ge­dan­kens fä­hig, sit­zen; sie fühl­te sich müde bis ans Herz hin­an und hät­te sich am liebs­ten nie­der­ge­legt, um die­sen trau­ri­gen Tag zu ver­schla­fen.

      Plötz­lich be­merk­te sie eine Möve, wel­che vom Win­de durch die Lüf­te ge­tra­gen wur­de, und da fiel ihr der Ad­ler ein, den sie da un­ten in Kor­si­ka im fins­tern Ota-Tale ge­se­hen hat­te. Ihr Herz emp­fand die leb­haf­te Er­re­gung, wel­che der Ge­dan­ke an et­was Schö­nes, das weit hin­ter uns liegt, her­vor­ruft. Mit ei­nem Male sah sie die herr­li­che In­sel mit ih­rem ei­gen­ar­ti­gen Aro­ma wie­der vor sich, ih­rem Son­nenglanz, in dem die Oran­gen und Citro­nen reif­ten, mit den ro­si­gen Gip­feln ih­rer Ber­ge, dem Azur­blau ih­rer Buch­ten und ih­ren Tä­lern, durch wel­che die Bäch­lein rie­sel­ten.

      Da er­weck­ten das feuch­te raue Kli­ma der Hei­mat, der me­lan­cho­li­sche Fall der Blät­ter und die vom Wind ge­jag­ten grau­en Wol­ken in ih­rem Her­zen eine so gren­zen­lo­se Trau­rig­keit, dass sie nach Hau­se ging, um nicht laut auf­wei­nen zu müs­sen.

      Müt­ter­chen schlum­mer­te noch im­mer be­hag­lich am Ka­min; sie war der Me­lan­cho­lie die­ser Tage so ge­wohnt, dass sie die­sel­be nicht ein­mal be­merk­te. Der Papa war mit Ju­li­us aus­ge­gan­gen, um mit ihm von Ge­schäf­ten zu spre­chen. Schon senk­te die Nacht ihre fins­te­ren Schat­ten vor­aus in den großen Sa­lon, den der Wi­der­schein des Herd­feu­ers zu­wei­len grell be­leuch­te­te.

      Draus­sen konn­te man beim Rest des Ta­ges­lich­tes noch jene trü­be Herbst­na­tur und den grau­en Him­mel be­ob­ach­ten, der über sich selbst zu wei­nen schi­en.

      Bald dar­auf er­schi­en auch der Baron, ge­folgt von Ju­li­us. Kaum war er in den fins­tern Raum ge­tre­ten, als er hef­tig läu­te­te und rief: »Licht! aber schnell! es ist ja ganz trau­rig hier.«

      Hier­auf setz­te er sich ge­müt­lich an den Ka­min. Sei­ne feuch­ten Schu­he dampf­ten in der Nähe des Feu­ers und der ge­trock­ne­te Schmutz fiel von sei­nen Soh­len.

      »Ich glau­be si­cher,« sag­te er, sich be­hag­lich die Hän­de rei­bend, »dass es kalt wird. Der Him­mel ist im Nor­den ganz klar und da­bei ha­ben wir heu­te Voll­mond. Es wird die­se Nacht ge­hö­rig frie­ren.

      Nun, Klei­ne«, wand­te er sich an sei­ne Toch­ter, »freust Du Dich, wie­der in der Hei­mat bei den El­tern zu sein?«

      Jo­han­na wur­de durch die­se ein­fa­che Fra­ge ver­wirrt. Sie warf sich an den Hals ih­res Va­ters und küss­te ihn hef­tig, die Au­gen voll Trä­nen, als woll­te sie um Ver­zei­hung bit­ten; denn trotz al­ler An­stren­gun­gen, ver­gnügt zu schei­nen, war ihr so bit­ter weh ums Herz. Sie dach­te an die Freu­de, wel­che sie sich von dem Wie­der­se­hen mit den El­tern ver­spro­chen hat­te und war er­staunt über die Käl­te, wel­che jetzt ihre Zärt­lich­keit lähm­te. Es war ihr zu Mute wie Je­man­dem, der in der Fer­ne viel an sei­ne Lie­ben da­heim ge­dacht hat und beim Wie­der­se­hen, gleich­sam als sei er ih­nen ent­frem­det, eine Art Sto­ckung sei­ner Zärt­lich­keit emp­fin­det, bis erst mal die Ban­de des ge­mein­sa­men Zu­sam­men­le­bens sich wie­der er­neu­ert ha­ben.

      Das Di­ner dau­er­te lan­ge, aber es wur­de we­nig da­bei ge­spro­chen. Ju­li­us schi­en ganz sei­ne Frau ver­ges­sen zu ha­ben.

      Im Sa­lon ließ sie sich hier­auf durch das Ka­min­feu­er ein­schlä­fern. Ihre Mut­ter war wie­der fest ent­schlum­mert. Ei­nen Au­gen­blick wur­de Jo­han­na wie­der durch die Stim­men der zwei Her­ren wach, die über ir­gen­det­was dis­pu­tier­ten; und wäh­rend sie ihre Ge­dan­ken zu sam­meln such­te, frag­te sie sich, ob sie auch be­reits von die­sem dump­fen Stumpf­sinn der Ge­wohn­heit be­fal­len sei, den nichts mehr zu er­we­cken ver­mag.

      Die Flam­me des Ka­min­feu­ers, bei Tage mild und röt­lich, wur­de jetzt hell, leb­haft und knis­ternd. Sie warf vor­über­ge­hend ih­ren großen Schim­mer auf die Sti­cke­rei der Mö­bel, auf den Fuchs und den Storch, auf den ein­sa­men Rei­her, auf die Amei­se und die Heuschre­cke.

      Der Baron nä­her­te sich dem Feu­er und streck­te lä­chelnd sei­ne fla­chen Hän­de ge­gen das­sel­be aus.

      »Ach, das brennt hübsch heu­te Abend«, sag­te er. »Es friert, Kin­der, es friert.«

      Dann leg­te er eine Hand auf Jo­han­nas Schul­ter und deu­te­te auf das Feu­er.

      »Siehst Du, Kind­chen, das ist das Schöns­te und Bes­te auf der Welt, der Herd; der Herd mit den Sei­ni­gen dar­um. Dar­über geht Nichts. Aber wie wär’s, wenn wir schla­fen gin­gen? Ihr wer­det müde sein, Kin­der.«

      Als die jun­ge Frau auf ihr Zim­mer ge­kom­men war, frag­te sie sich, wie es mög­lich sei, dass die Rück­kehr nach ein und dem­sel­ben Orte, den man zu lie­ben glaubt, sich so ver­schie­den ge­stal­te. Wa­rum fühl­te sie sich so zer­schla­gen; warum er­schi­en ihr die­ses Haus, die­se teu­re Hei­mat, kurz al­les, was bis da­hin ihr Herz be­wegt hat­te, so geis­te­stö­tend?

      Plötz­lich fiel ihr Auge auf die Uhr. Die klei­ne Bie­ne be­weg­te sich stets von rechts nach links und von links nach rechts mit der­sel­ben gleich­mäs­si­gen Hast über den bron­ze­nen Blu­men da­hin. Beim An­blick die­ses klei­nen zier­li­chen Mach­werks, das so täu­schend dem Le­ben nach­ge­ahmt war und des­sen Pen­del­schlag wie das Klop­fen ei­ner Brust er­tön­te, fühl­te Jo­han­na sich von ei­nem Ge­fühl der Zärt­lich­keit er­grif­fen, das sie fast bis zu Trä­nen rühr­te.

      Selbst als sie ih­ren Va­ter und ihre Mut­ter um­arm­te, hat­te sie sich nicht so be­wegt ge­fühlt. Das Herz hat eben sei­ne Ge­heim­nis­se, die kein Ver­nünf­teln er­grün­det.

      Zum ers­ten Male seit ih­rer Ver­hei­ra­tung ging sie al­lein schla­fen; denn Ju­li­us hat­te, sei­ne große Er­mü­dung vor­schüt­zend, sich auf ein an­de­res Zim­mer zu­rück­ge­zo­gen. Es war üb­ri­gens von vorn­her­ein aus­ge­macht wor­den, dass Je­des sein ei­ge­nes Zim­mer ha­ben soll­te.

      Lan­ge konn­te sie nicht ein­schla­fen, so war sie schon dar­an ge­wöhnt, nicht mehr al­lein zu lie­gen. Zu­dem stör­te sie der hef­ti­ge Nord­wind, der an dem Dach des Schlos­ses rüt­tel­te.

      Am an­de­ren Mor­gen wur­de sie durch einen hel­len Schim­mer ge­weckt, der ihr Bett mit ro­si­gem Lich­te färb­te. Auch die völ­lig be­reif­ten Fens­ter­schei­ben wa­ren rot, als ob der gan­ze Ho­ri­zont in Flam­men stän­de.

      Sie hüll­te sich in einen großen Shawl und rann­te ans Fens­ter, um es zu öff­nen.

      Ein küh­ler, rei­ner und ge­sun­der Luft­zug ström­te ins Zim­mer und um­weh­te ihr Ge­sicht, so­dass bei der pri­ckeln­den Käl­te ihr die Trä­nen in die Au­gen tra­ten. An dem pur­purum­säum­ten Ho­ri­zont trat hin­ter den Bäu­men des Parks, röt­lich-glän­zend und im­mer mehr an­wach­send wie ein Traum­ge­bil­de, die Son­ne her­vor. Die mit weißem Reif­frost be­deck­te Erde war hart und tro­cken; sie wi­der­hall­te un­ter den Schrit­ten der Ar­beits­leu­te. In die­ser einen Nacht wa­ren die letz­ten bis­her noch be­laubt ge­we­se­nen Zwei­ge der Pap­peln ent­blät­tert. Jen­seits der Hei­de sah man die brei­te Li­nie der grün­lich schim­mern­den Mee­res­flut mit wei­ßen Schaum­wel­len ge­krönt.

      Auch

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