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Flurs, an dessen Ende eine Treppe emporführte, bemerkte Genestas eine Küche. Der erste Stock mußte wie das Erdgeschoß aus nur zwei Zimmern bestehen.

      »Haben Sie doch keine Furcht!« sagte Benassis zur Fosseuse. »Auf, kommen Sie …«

      Als er diese Worte hörte, trat Genestas schnell wieder ins Zimmer. Ein dünnes und wohlgebautes junges Mädchen in einem Kleide mit einem vielgefälteten rosa Perkalinbrusttuch ließ sich bald, glühend vor Scham und Schüchternheit, sehen. Ihr Gesicht fiel nur durch eine gewisse Flachheit der Züge auf, die sie jenen Russen- oder Kosakengesichtern ähneln ließ, welche das Unglück von 1814 in so unseliger Weise in Frankreich populär gemacht hat. Die Fosseuse hatte tatsächlich wie die Nordländer eine an der Spitze aufgestülpte und sehr wenig vorspringende Nase. Ihr Mund war groß, ihr Kinn klein, ihre Hände und Arme waren rot, ihre Füße breit und kräftig wie die der Bäuerinnen. Obwohl sie der Wirkung des Windes, der Sonne und der frischen Luft ausgesetzt war, war ihr Teint bleich wie ein welkes Kraut, doch lenkte diese Farbe gleich beim ersten Anblick die Aufmerksamkeit auf ihre Physiognomie. Sodann hatte sie in ihren blauen Augen einen so sanften Ausdruck, in ihrer Stimme soviel Seele, in ihren Bewegungen soviel Anmut, daß trotz des offenbaren Nichtübereinstimmens ihrer Züge mit den Eigenschaften, die Benassis dem Major gegenüber gerühmt hatte, dieser das kapriziöse und kränkliche Geschöpf, das den Leiden einer in ihrer Entwicklung gehemmten Natur ausgeliefert war, in ihr erkannte. Nachdem sie schnell ein Feuer aus Torf und trocknem Gezweig angefacht hatte, setzte sich die Fosseuse in einen Sessel, nahm ein angefangenes Hemd zur Hand und blieb unter den Augen des Offiziers ein wenig schamhaft, die Augen nicht aufzuheben wagend, anscheinend ruhig; doch die schnellen Bewegungen ihres Mieders, dessen Schönheit Genestas in Erstaunen setzte, offenbarte ihre Furcht.

      »Nun, mein armes Kind, sind Sie gut vorangekommen?« fragte Benassis, die zum Hemdennähen bestimmten Leinenstücke anfassend.

      Die Fosseuse sah den Arzt mit furchtsamer und flehender Miene an.

      »Schelten Sie mich nicht, Herr,« antwortete sie, »ich hab' heute nichts daran getan, obwohl sie mir von Ihnen und für Leute, die sie sehr nötig haben, in Auftrag gegeben worden sind; doch das Wetter war so schön! Ich bin spazierengegangen, habe Champignons und weiße Trüffeln für Sie gesucht und Jacquotte gebracht. Sie ist recht zufrieden gewesen, denn Sie haben Besuch zum Essen. Ich war ganz glücklich, das erraten zu haben. Irgend etwas befahl mir, deren zu suchen.«

      Und sie fing wieder an, die Nadel zu führen.

      »Sie haben da ein sehr hübsches Haus, mein Fräulein,« sagte Genestas zu ihr.

      »Es ist nicht meins, mein Herr,« antwortete sie, den Fremden mit Augen betrachtend, die rot zu werden schienen, »es gehört Monsieur Benassis.«

      Und ihr Blick suchte wieder den Arzt.

      »Sie wissen genau, mein Kind,« sagte er, ihre Hand ergreifend, »daß man Sie niemals daraus vertreiben wird.«

      Mit einer brüsken Bewegung stand die Fosseuse auf und ging hinaus.

      »Nun,« sagte der Arzt zu dem Offizier, »wie finden Sie sie?«

      »Sie hat mich merkwürdig bewegt,« antwortete Genestas. »Ah! Hübsch haben Sie ihr ihr Nest eingerichtet!«

      »Bah, Tapete zu fünfzehn oder zwanzig Sous, doch gut ausgewählt, das ist alles. Die Möbel sind nicht wertvoll, sie sind von meinem Korbflechter hergestellt worden, der mir seine Dankbarkeit bezeigen wollte. Die Vorhänge hat die Fosseuse selber aus einigen Ellen Kaliko gemacht. Ihre Behausung, ihr so einfacher Hausrat, erscheinen Ihnen als hübsch, weil Sie ihnen an einem Bergabhange, in einem abgelegenen Winkel begegnen, wo Sie nicht darauf gefaßt waren, etwas Rechtes zu finden. Das Geheimnis dieser Anmut aber beruht auf einem gewissen Einklang des Hauses mit der Natur, die da Bäche, einige schön gruppierte Bäume vereinigt und auf diesen Rasen ihre schönsten Kräuter, ihre duftenden Erdbeeren und ihre hübschen Veilchen gestreut hat …«

      »Nun, was haben Sie?« fragte Benassis die Fosseuse, die zurückkam.

      »Nichts, nichts,« antwortete sie; »ich hab' geglaubt, eins meiner Hühner wäre nicht zurückgekommen.«

      Sie log; der Arzt allein merkte es und sagte ihr ins Ohr:

      »Sie haben geweint!«

      »Warum sagen Sie mir solche Dinge vor andern Leuten?« antwortete sie.

      »Mein Fräulein,« sagte Genestas zu ihr, »Sie tun sehr Unrecht, hier ganz allein zu bleiben; in einem so reizenden Käfig, wie dem hier, müßten Sie einen Ehemann haben.«

      »Das ist wahr,« antwortete sie, »doch was wollen Sie, mein Herr? Ich bin arm und bin schwer zu behandeln. Ich fühle mich nicht immer bei Laune, die Suppe auf die Felder zu bringen oder einen Karren zu fahren, das Unglück derer, die ich lieben würde, zu fühlen, ohne es beseitigen zu können, den ganzen Tag über Kinder auf meinen Armen zu tragen und eines Mannes Lumpen zu flicken. Der Herr Pfarrer hat mir gesagt, solche Gedanken wären wenig christlich, ich weiß das auch, doch was soll ich tun? An gewissen Tagen esse ich lieber ein Stück trockenes Brot als mir etwas zu Mittag zuzubereiten. Warum soll ich einen Mann durch meine Fehler betrüben? Er würde sich vielleicht umbringen, um meine Launen zu befriedigen, und das würde nicht billig sein. Genug, man hat mir ein übles Los geworfen und ich muß es ganz allein tragen.«

      »Ueberdies ist sie als Nichtstuerin geboren, meine arme Fosseuse,« sagte Benassis, »man muß sie nehmen, wie sie ist. Doch was sie Ihnen da sagt, beweist, daß sie noch niemanden geliebt hat,« fügte er lachend hinzu. Dann stand er auf und ging einen Augenblick auf den Rasenplatz.

      »Sie müssen Monsieur Benassis sehr lieb haben?« fragte Genestas sie.

      »Oh! ja, mein Herr! Und gleich mir haben sehr viele Leute im Bezirke Lust, sich für ihn in Stücke zu reißen. Ihm aber, der andere Menschen heilt, fehlt etwas, was nichts heilen kann. Sie sind sein Freund, Wissen Sie vielleicht, was er hat? Wer hat denn einem Manne wie ihm Kummer bereiten können, ihm, der das wahre Abbild des lieben Gottes auf Erden ist? Ich kenne hier mehrere Leute, die glauben, daß ihr Getreide besser wächst, wenn er morgens an ihren Feldern entlang gekommen ist.«

      »Und Sie, was glauben Sie?«

      »Ich, mein Herr, wenn ich ihn gesehen habe …«

      Sie schien zu zögern, dann fügte sie hinzu:

      »Bin ich den ganzen Tag über glücklich …«

      Sie senkte den Kopf und führte ihre Nadel mit merkwürdiger Schnelligkeit.

      »Nun, der Rittmeister hat Ihnen wohl etwas von Napoleon erzählt?« fragte der Arzt, der wieder hereinkam.

      »Der Herr hat den Kaiser gesehen?« rief die Fosseuse, das Gesicht des Offiziers mit leidenschaftlicher Neugier betrachtend.

      »Wahrhaftig!« sagte Genestas, »mehr als tausendmal.«

      »Ach, wie gerne würde ich etwas vom Militär hören.«

      »Morgen. Wir werden vielleicht eine Tasse Milchkaffee bei Ihnen trinken. Und man wird dir ›etwas vom Militär‹ erzählen, mein Kind,« sagte Benassis, sie um den Hals fassend und auf die Stirn küssend. – »Das ist meine Tochter, sehen Sie!« fügte er, sich nach dem Major umdrehend, hinzu; »wenn ich sie nicht auf die Stirn geküßt habe, fehlt mir den Tag über etwas.«

      »Oh, Sie sind sehr gut.«

      Sie verließen sie; doch sie folgte ihnen, um sie zu Pferde steigen zu sehen. Als Genestas im Sattel saß, flüsterte sie Benassis ins Ohr:

      »Wer ist der Herr denn?«

      »Ah! Ah!« antwortete der Arzt, den Fuß in den Steigbügel setzend, »vielleicht ein Mann für dich …«

      Sie blieb stehen, damit beschäftigt, sie die Straßenschleife hinunterreiten zu sehen; und als sie am Ende des Gartens vorbeikamen, sahen sie sie bereits auf einen Steinhaufen geklettert, um sie noch zu sehen und ihnen noch ein letztes Mal zuzunicken.

      »Dies Mädchen hat etwas ganz Ungewöhnliches,« sagte Genestas zum Arzte, als sie weit vom Hause entfernt waren.

      »Nicht wahr?« antwortete er. »Ich habe mir zwanzigmal gesagt, daß sie eine reizende Frau

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