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aufzugeben. Kaum war sie wiederhergestellt, als sie sich in irgendeiner Meierei der Nachbarschaft einstellte, indem sie bat, dort für die Tiere sorgen zu dürfen; nachdem sie aber ihren Pflichten mit Umsicht nachgekommen war, verließ sie die Stellung, ohne zu sagen weshalb. Zweifelsohne war ihre Tagesarbeit ein zu drückendes Joch für sie, die ganz Unabhängigkeit und ganz Laune ist. Dann schickte sie sich an, Trüffeln oder Champignons zu suchen und verkaufte sie in Grenoble. Durch Schnurrpfeifereien angezogen, vergaß sie in der Stadt ihr Elend, und da sie nun ein paar Sous besaß, kaufte sie sich Bänder, Flitterkram, ohne an ihr Brot für den kommenden Tag zu denken. Wenn dann irgendein Mädchen des Fleckens sich ihr Kupferkreuz, ihr Jeannettenherz oder ihr Samtbändchen wünschte, gab sie es ihr, glücklich, ihr eine Freude machen zu können; denn sie lebt durch ihr Herz. Auch war die Fosseuse der Reihe nach geliebt, beklagt und mißachtet. Das arme Mädchen litt an allem, an ihrer Trägheit, ihrer Güte, ihrer Gefallsucht; denn sie ist gefallsüchtig, naschhaft und neugierig, kurz, sie ist ein Weib. Mit kindlicher Naivität überläßt sie sich ihren Eindrücken und ihren Neigungen. Erzählen Sie ihr irgendeine schöne Handlung, so bebt und errötet sie, ihr Busen wogt, sie weint vor Freude. Wenn Sie ihr eine Diebsgeschichte erzählen, wird sie vor Schrecken blaß. Sie ist die wahrste Natur, das aufrichtigste Herz und die zartfühlendste Rechtschaffenheit, der man begegnen kann; wenn Sie ihr hundert Goldstücke anvertrauten, würde sie sie in einer Ecke vergraben und weiter um ihr Brot betteln.« Benassis' Stimme ward erregt, als er diese Worte sagte. »Ich habe sie prüfen wollen, mein Herr,« fuhr er fort, »und ich hab' es bereut. Ist eine Prüfung nicht Spionage, mindestens Mißtrauen?«

      Hier hielt der Arzt inne, wie wenn er eine heimliche Erwägung anstellte, und bemerkte die Verwirrung nicht, in die seine Worte seinen Gefährten versetzt hatten, der, um seine Verlegenheit nicht merken zu lassen, sich damit beschäftigte, seines Pferdes Zügel in Ordnung zu bringen. Benassis ergriff das Wort bald wieder:

      »Ich würde meine Fosseuse verheiraten, würde gern eine meiner Meiereien irgendeinem braven Burschen geben, der sie glücklich machen könnte, und sie würde es sein. Ja, das arme Mädchen würde ihre Kinder unendlich lieben, und alle Gefühle, die sie überreichlich besitzt, würden sich in das ergießen, welches beim Weibe alles umfaßt, in die Mütterlichkeit; doch kein Mann hat ihr zu gefallen gewußt. Sie ist indessen von einer für sie gefährlichen Sensibilität; sie weiß es und hat mir das Geständnis ihrer nervösen Empfänglichkeit gemacht, als sie sah, daß ich sie bemerkte. Sie gehört zu der kleinen Zahl Frauen, bei denen die geringste Berührung ein gefährliches Beben hervorruft; deshalb muß man ihrer Klugheit und ihrem Frauenstolz Dank wissen. Sie ist scheu wie eine Schwalbe. Ach, welch eine reiche Natur! Sie war dazu geschaffen, eine im Behagen lebende geliebte Frau zu sein; sie wäre wohltätig und beständig gewesen. Mit zweiundzwanzig Jahren siecht sie bereits unter der Last ihrer Seele dahin und wird ein Opfer ihrer allzu vibrierenden Fibern, ihrer zu starken oder zu zarten Organisation. Eine verratene lebhafte Leidenschaft würde sie wahnsinnig machen, meine arme Fosseuse! Nachdem ich ihr Temperament studiert, nachdem ich die Tatsache ihrer langwierigen Nervenanfälle, ihre elektrische Empfänglichkeit festgestellt, nachdem ich sie in offenbarer Uebereinstimmung mit den Wechselfällen der Atmosphäre, mit den Mondveränderungen gefunden hatte – ein Faktum, das ich sorgfältig geprüft –, hab' ich mich ihrer angenommen, mein Herr, wie eines Geschöpfes, das anders geartet ist wie die übrigen Menschen, dessen krankhafte Existenz nur von mir begriffen werden konnte. Sie ist, wie ich Ihnen sagte, das Bänderlamm. Doch Sie werden sie jetzt sehen, da ist ihr Häuschen!«

      In diesem Augenblick waren sie etwa auf ein Drittel Höhe des Berges angelangt, auf von Buschwerk umsäumten Zickzackwegen, die sie im Schritt erklommen. Als sie die Biegung einer dieser Schleifen erreicht hatten, erblickte Genestas das Haus der Fosseuse. Es lag auf einem der Hauptbuckel des Berges. Dort war eine etwas abfallende Rasenfläche von annähernd drei Arpents, die mit Bäumen bepflanzt war und von mehreren Kaskaden genetzt wurde, mit einer kleinen Mauer umgeben worden, die hoch genug, um als Einfriedigung zu dienen, aber nicht so hoch war, daß sie den Blick ins Land versperrt hätte. Das aus Ziegelsteinen erbaute und mit einem flachen Dache, das einige Fuß über den Rand vorsprang, gedeckte Haus, bot in der Landschaft einen reizenden Anblick. Es bestand aus einem Erdgeschoß und einem ersten Stockwerk mit grüngestrichener Tür und Fensterläden. Nach Süden gelegen, hatte es weder Breite noch Tiefe genug, um andere Oeffnungen wie die der Fassade zu haben, deren ländliche Eleganz in peinlichster Sauberkeit bestand. Das vorspringende Wetterdach war nach deutscher Weise mit weiß gestrichenen Planken gefüttert. Einige blühende Akazien und andere wohlriechende Bäume, Rotdorne, Schlinggewächse, ein dicker Nußbaum, den man hatte stehen lassen, dann einige an den Bächen entlang gepflanzte Trauerweiden wuchsen um das Haus herum. Hinter ihm befand sich ein dichter Buchen- und Fichtenwald, ein breiter dunkler Grund, von dem sich das hübsche Bauwerk lebhaft abhob. In diesem Augenblick des Tages war die Luft von den verschiedenen Düften des Berges und des Gartens der Fosseuse geschwängert. Der reine und ruhige Himmel war am Horizonte bewölkt. In der Ferne begannen die Gipfel die lebhaften roten Tinten anzunehmen, die ihnen der Sonnenuntergang häufig verleiht. Von dieser Höhe aus übersah man das ganze Tal von Grenoble bis zu jener kreisförmigen Felsenschranke, an deren Fuß der kleine See liegt, an welchem Genestas am Vortage vorübergekommen war. Oberhalb des Hauses und in einer ziemlich großen Entfernung erschien die Pappelreihe, welche die große Straße vom Flecken nach Grenoble anzeigte. Endlich glänzte der Flecken, von den schrägen Sonnenstrahlen getroffen, wie ein Diamant, indem er aus all seinen Fensterscheiben rote Lichter widerstrahlte, die zu rieseln schienen. Bei diesem Anblick hielt Genestas sein Pferd an, wies auf die Gebäulichkeiten des Tales, den neuen Flecken und das Haus der Fosseuse hin, indem er seufzend sagte:

      »Nach dem Siege bei Wagram und Napoleons Rückkehr in die Tuilerien anno 1815 hat mich dies am tiefsten bewegt. Ihnen verdank' ich diesen Genuß, mein Herr; denn Sie haben mich die Schönheiten kennen gelehrt, die ein Mensch beim Anblick eines Landes finden kann.«

      »Ja,« erwiderte lächelnd der Arzt, »Städte bauen ist mehr als Städte einnehmen!«

      »Oh, mein Herr, die Einnahme Moskaus und die Uebergabe von Mantua! Aber Sie wissen ja nicht, was das heißt! Ist's nicht unser aller Ruhm? Sie sind ein braver Mann, doch Napoleon war auch ein guter Mann; ohne England hätten Sie sich gegenseitig verstanden und unser Kaiser würde nicht gestürzt sein. Wohl kann ich jetzt eingestehen, daß ich ihn liebe, er ist ja tot! … und,« sagte der Offizier, indem er sich umsah, »es gibt keine Spione hier. Welch ein Herrscher! Er sah durch jeden hindurch. Er würde Sie in seinen Staatsrat berufen haben, weil er Verwalter war, und ein großer Verwalter dazu; er wußte sogar genau, wie viele Kartuschen nach einer Schlacht in den Patronentaschen noch vorhanden waren. Armer Mann! Während Sie mir von Ihrer Fosseuse erzählten, dacht' ich daran, daß er auf Sankt Helena gestorben ist! Hm! war das vielleicht ein Klima und eine Behausung, die einem Manne genügen konnten, der gewohnt war, die Füße im Steigbügel und den Hintern auf einem Throne zu leben? Man erzählt, er habe dort Gartenarbeit getan. Zum Teufel auch! er war nicht dazu geschaffen, Kohl zu pflanzen … Jetzt müssen wir den Bourbons dienen, und das ohne Falsch, mein Herr, denn alles in allem, Frankreich ist Frankreich, wie Sie gestern gesagt haben.«

      Mit diesem letzten Worte stieg Genestas vom Pferde und ahmte Benassis mechanisch nach, der das seinige mit dem Zügel an einen Baum band.

      »Sollte sie nicht zu Hause sein?« sagte der Arzt, als er die Fosseuse nicht auf der Türschwelle sah.

      Sie traten ein und fanden in dem Wohnräume des Erdgeschosses niemanden vor.

      »Sie wird das Getrappel zweier Pferde gehört haben,« sagte Benassis lächelnd, »und hinaufgegangen sein, um ein Häubchen, einen Gürtel, irgendwelchen Putz anzulegen.«

      Er ließ Genestas allein und ging selber hinauf, um die Fosseuse zu holen. Der Major inspizierte das Wohnzimmer. Die Mauer war mit einer graugrundigen Tapete mit Rosenmustern beklebt und die Diele mit einer Strohmatte wie mit einem Teppich belegt. Stühle, Sessel und Tisch bestanden aus Holz, das noch mit seiner Rinde bekleidet war. Verschiedene aus Reifen und Weidengeflecht gefertigte Pflanzenkästen waren mit Blumen und Moos gefällt und schmückten das Zimmer, dessen Fenster Perkalvorhänge mit roten Fransen drapierten. Auf dem Kamin stand ein Spiegel und eine einfarbige Porzellanvase zwischen zwei Lampen; bei dem Sessel eine fichtene Fußbank. Dann auf dem Tisch zugeschnittene Leinwand, einige zusammengesteckte Achselstücke,

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