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laßt uns Hütten bauen, hier ist gut sein.« Die Landschaft schien in diesem Augenblick eine reine und süße Stimme zu besitzen, so rein und süß war sie, eine traurige Stimme jedoch, wie der im Westen verglühende Schimmer, ein unbestimmtes Bild des Todes, eine durch die Sonne am Himmel göttlich gegebene Ankündigung, wie sie auf Erden die Blumen und die hübschen Eintagsinsekten geben. Zu dieser Stunde sind die Sonnentöne von Melancholie geschwängert, und jener Gesang war melancholisch; ein Volkslied übrigens, ein Sang von Liebe und Leid, der ehedem dem Nationalhasse Frankreichs gegen England gedient, dem Beaumarchais aber seine wahre Poesie wiedergegeben hat, indem er ihn auf die französische Bühne übertrug und ihn einem Pagen in den Mund legte, der seiner Herrin sein Herz öffnet. Diese Weise war ohne Worte auf einen klagenden Ton moduliert, von einer Stimme, die in die Seele bebte und sie rührte.

      »Das ist der Schwanengesang,« sagte Benassis. »In dem Zeitraume eines Jahrhunderts tönt diese Stimme keine zwei Mal in die Ohren der Menschen. Beeilen wir uns, wir müssen ihn am Singen hindern! Das Kind bringt sich um, es wäre grausam, ihm noch länger zuzuhören … Schweig doch still, Jacques! Heda, sei still!« rief der Arzt.

      Die Musik hörte auf. Genestas blieb unbeweglich und verdutzt stehen. Eine Wolke bedeckte die Sonne, Landschaft und Stimme waren zugleich still geworden. Schatten, Kühle und Schweigen machten den sanften Lichtfluten, den heißen Ausstrahlungen der Atmosphäre und den Gesängen des Kindes Platz.

      »Warum bist du mir ungehorsam?« fragte Benassis. »Ich werde dir weder Reiskuchen, noch Schneckensuppe, noch frische Datteln, noch Weißbrot mehr geben! Du willst also sterben und deine arme Mutter trostlos machen?«

      Genestas trat in einen kleinen, ziemlich sauber gehaltenen Hof ein und erblickte einen fünfzehnjährigen Jungen, der schwach wie ein Weib und blond war, aber wenig Haare besaß und Farben aufwies, wie wenn er Rot aufgelegt hätte.

      Er stand langsam von der Bank auf, wo er unter einem großen Jasminstrauch und unter blühendem Flieder gesessen hatte, die aufs Geratewohl wuchsen und ihn mit ihrem Laubwerk einhüllten.

      »Du weißt genau,« sagte der Arzt, »daß ich dir gesagt habe, du sollst mit der Sonne schlafen gehen, dich nicht der Abendkühle aussetzen und nicht sprechen; wie kommst du dazu zu singen?«

      »Ei, Monsieur Benassis, es war sehr warm dort, und es ist so schön, es warm zu haben! Ich hab's immer kalt. Als ich mich wohlfühlte, hab' ich, ohne daran zu denken, um mich zu unterhalten: ›Malbrouk s'en va-t-en guerre‹ gesungen und habe mir selber zugehört, weil meine Stimme fast jener der Flöte Ihres Hirten glich.«

      »Also, mein armer Jacques, das kommt mir nicht wieder vor, hörst du? … Gib mir die Hand.«

      Der Arzt fühlte seinen Puls. Das Kind hatte blaue Augen, die gewöhnlich einen schmerzlichen Ausdruck zeigten, die nun aber ein fieberhafter Zustand leuchtend machte.

      »Ich war davon überzeugt; du bist in Schweiß,« sagte Benassis. »Deine Mutter ist also nicht da?«

      »Nein, Herr!«

      »Auf, geh hinein und leg' dich nieder.«

      Der junge Kranke trat, von Benassis und dem Offiziere gefolgt, in die Hütte.

      »Zünden Sie doch eine Kerze an, Rittmeister Bluteau,« sagte der Arzt, der Jacques half, seine derben Lumpen auszuziehen.

      Als Genestas die Hütte erleuchtet hatte, war er überrascht über die äußerste Magerkeit des Kindes, das nur noch aus Haut und Knochen bestand. Wie der kleine Bauer im Bett lag, klopfte ihm Benassis die Brust ab, indem er auf das Geräusch horchte, das seine Finger hervorriefen; dann, nachdem er Töne von übler Vorbedeutung gehört hatte, zog er die Decke über Jacques, entfernte sich auf vier Schritte, kreuzte die Arme und forschte ihn aus.

      »Wie fühlst du dich, mein kleiner Mann?«

      »Gut, Herr.«

      Benassis zog einen Tisch mit vier gedrechselten Füßen an das Bett heran, suchte ein Glas und ein kleines Fläschchen auf der Kaminverkleidung und bereitete einen Trank, indem er reines Wasser mit einigen Tropfen einer braunen, in dem Fläschchen enthaltenen Flüssigkeit mischte, die er sorgfältig beim Lichte der Kerze, die Genestas ihm hielt, abmaß.

      »Deine Mutter läßt lange auf ihre Rückkehr Warten.«

      »Sie kommt gerade, Herr,« sagte das Kind, »ich höre sie auf dem Pfade.«

      Der Arzt und der Offizier warteten, indem sie um sich blickten. Am Fuße des Bettes lag eine Moosmatratze ohne Bettlaken und Ueberdecke, auf welcher die Mutter, zweifelsohne völlig angezogen, schlief. Genestas wies Benassis mit dem Finger auf dies Lager hin, der leise den Kopf neigte, wie um auszudrücken, daß auch er diese mütterliche Aufopferung schon bewundert habe. Ein Geräusch von Holzschuhen hallte auf dem Hofe wieder, und der Arzt ging hinaus.

      »Heute nacht muß bei Jacques gewacht werden, Mutter Colas. Wenn er Euch sagt, daß er ersticke, sollt Ihr ihm von dem, was ich in einem Glase auf den Tisch gestellt habe, trinken lassen. Sorgt aber dafür, ihn jedesmal nur zwei oder drei Schlucke zu sich nehmen zu lassen. Das Glas muß Euch für die ganze Nacht reichen. Vor allem, rührt das kleine Fläschchen nicht an und laßt Euer Kind gleich die Wäsche wechseln, es ist in Schweiß.«

      »Ich hab' seine Hemden heute nicht waschen können, mußte meinen Hanf nach Grenoble bringen, um Geld zu kriegen.«

      »Gut, ich werd' Euch Hemden schicken.«

      »Meinem armen Jungen geht es also schlechter?« fragte die Mutter.

      »Man darf nichts Gutes erwarten, Mutter Colas; er ist so unvernünftig gewesen, zu singen; scheltet ihn aber nicht aus, fahrt ihn nicht an, habt Mut. Wenn Jacques zu sehr klagen sollte, laßt mich durch eine Nachbarin holen. Lebt wohl.«

      Der Arzt rief seinen Gefährten und schritt auf den Pfad zurück.

      »Der kleine Bauernbursche ist brustkrank?« fragte Genestas.

      »Mein Gott, ja,« antwortete Benassis. »Wenn nicht ein Wunder in der Natur geschieht, kann ihn die Wissenschaft nicht retten. Unsere Professoren an der Pariser medizinischen Fakultät haben uns häufig von dem Phänomen erzählt, dessen Zeuge Sie soeben gewesen sind. Gewisse Krankheiten dieser Art erzeugen in den Stimmorganen Veränderungen, die den Kranken für den Augenblick die Fähigkeit verleihen, Gesänge ertönen zu lassen, deren Vollendung von keinem Virtuosen erreicht werden kann … Ich hab' Sie einen traurigen Tag verbringen lassen, mein Herr,« sagte der Arzt, als er zu Pferde saß. »Ueberall Leiden und überall Tod, aber auch überall Resignation. Die Landsleute sterben alle ganz philosophisch, sie leiden, schweigen und legen sich nach Art der Tiere nieder. Doch reden wir nicht mehr vom Tode und beschleunigen wir den Schritt unserer Pferde: wir müssen noch vor Nacht den Flecken erreichen, damit Sie den neuen Teil desselben sehen können!«

      »Ei! da ist irgendwo Feuer,« sagte Genestas, auf eine Stelle im Gebirge hinweisend, wo eine Feuergarbe aufwirbelte.

      »Dieses Feuer ist nicht gefährlich. Zweifelsohne macht unser Kalkbrenner einen Ofen voll Kalk. Diese jüngst entstandene Industrie nützt unser Heideland aus.«

      Ein Büchsenschuß knallte plötzlich; Benassis ließ sich einen unwillkürlichen Ausruf entschlüpfen und sagte mit einer ungeduldigen Bewegung:

      »Wenn das Butifer ist, wollen wir doch sehen, wer von uns beiden der Stärkere ist.«

      »Dort hat man geschossen,« sagte Genestas, einen oberhalb von ihnen im Gebirge gelegenen Buchenwald bezeichnend. »Jawohl, da oben; glauben Sie dem Ohre eines alten Soldaten!«

      »Auf, sofort hin!« rief Benassis, der, sich in gerader Richtung nach dem kleinen Holz wendend, sein Pferd durch die Gräben und Felder fliegen ließ, wie wenn es sich um ein Kirchturmrennen handelte; so sehr wünschte er den Schützen auf frischer Tat zu ertappen.

      »Der von Ihnen gesuchte Mensch bringt sich in Sicherheit!« rief ihm Genestas zu, der ihm nur mit Mühe folgte.

      Benassis ließ sein Pferd schnell kehrtmachen, ritt zurück, und der gesuchte Mann zeigte sich bald auf einem jähen Felsen, hundert Fuß über den beiden Reitern.

      »Butifer,« rief Benassis, als er eine lange Flinte sah, »komm herunter!«

      Butifer

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