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Eingebungen des Herzens müssen überall gleich sein, auch die süßen Gebräuche der Freundschaft werden natürlicherweise in jedem Lande befolgt.

      Nachdem er den Sonnenstand geprüft hatte, sagte Benassis zu seinem Gefährten:

      »Wir haben noch zwei Stunden Tag, und wenn Sie nicht allzu ausgehungert sind, wollen wir noch ein reizendes Geschöpf besuchen, dem ich fast immer die Zeit widme, die mir zwischen der Essensstunde und der bleibt, wo meine Besuche beendigt sind. Man nennt sie meine ›gute Freundin‹ im Bezirk; doch glauben Sie nicht, daß dieser Beiname, der hier gebräuchlich ist, um eine zukünftige Gattin zu bezeichnen, die geringste Verleumdung decken oder autorisieren kann. Obwohl meine Sorge für dies arme Kind sie zum Gegenstande einer ziemlich begreiflichen Eifersucht macht, verbietet die Meinung, die jeder von meinem Charakter gefaßt hat, jede böse Nachrede. Wenn sich auch niemand die Laune erklären kann, der ich scheinbar nachgebe, wenn ich der Fosseuse eine Rente aussetze, damit sie leben könne, ohne zur Arbeit genötigt zu sein, so glaubt doch jeder an ihre Tugend. Alle Welt weiß, daß ich, wenn meine Liebe einmal die Grenzen freundschaftlicher Protektion überschritte, nicht einen Augenblick zaudern würde, sie zu heiraten. Doch,« fügte der Arzt, sich zu einem Lächeln zwingend, hinzu, »gibt es für mich weder in dem Bezirke hier noch anderswo eine Frau. Ein sehr expansiver Mann, mein lieber Herr, empfindet ein unbesiegliches Bedürfnis, sich an eine Sache oder an ein Wesen von all den Wesen und Sachen, die ihn umgeben, besonders nahe anzuschließen, vor allem, wenn das Leben für ihn öde ist. Auch dürfen Sie, glauben Sie mir, stets einen Menschen günstig beurteilen, der seinen Hund oder sein Pferd liebt! Unter der leidenden Schar, die der Zufall mir anvertraut hat, ist diese arme kleine Kranke für mich, was in meinem Sonnenland, in dem Languedoc, das Lieblingslamm ist, dem die Schäferinnen verblichene Bänder umbinden, mit dem sie sprechen, das sie längs der Getreidefelder weiden lassen und dessen lässigen Gang der Hund niemals beschleunigt!«

      Während Benassis diese Worte sagte, blieb er aufgerichtet stehen, die Hand in der Mähne seines Pferdes, bereit aufzusitzen, aber doch nicht aufsitzend, wie wenn das Gefühl, von dem er erregt wurde, sich nicht mit jähen Bewegungen vertrüge.

      »Auf!« rief er, »kommen Sie und sehen Sie sie. Heißt Sie zu ihr führen, nicht, Ihnen sagen, daß ich sie wie eine Schwester behandle?«

      Als die beiden Reiter zu Pferde saßen, sagte Genestas zum Arzte:

      »Würde ich taktlos sein, wenn ich Sie noch um einige Aufschlüsse über Ihre Fosseuse bäte? Von all den Existenzen, die Sie mich haben kennenlernen lassen, muß sie nicht die am wenigsten merkwürdige sein.«

      »Mein Herr,« antwortete Benassis, sein Pferd anhaltend, »vielleicht werden Sie das Interesse, das mir die Fosseuse einflößt, nicht ganz teilen. Ihr Schicksal ähnelt dem meinigen: unser innerer Beruf ist enttäuscht worden. Das Gefühl, das ich zu ihr hege, und die Erregung, die mich bei ihrem Anblick überkommt, entspringt der Gleichheit unserer Lage. Als Sie das Waffenhandwerk einmal ergriffen hatten, sind Sie Ihrer Neigung gefolgt, oder haben diesem Berufe Geschmack abgewonnen; denn sonst würden Sie nicht bis zu Ihrem Alter unter dem drückenden Harnisch der Militärdisziplin ausgehalten haben. Sie können daher weder das Unglück einer Seele, deren Wünsche immer neu entstehen und immer wieder verraten werden, noch den beständigen Gram einer Kreatur begreifen, die gesonnen ist, woanders wie in ihrer Sphäre zu leben. Derartige Leiden bleiben ein Geheimnis zwischen solchen Wesen und Gott, der ihnen diese Trübsal schickt, denn sie allein kennen die Gewalt der Eindrücke, die ihnen die Ereignisse des Lebens verursachen. Hat Sie, ein abgestumpfter Zeuge so vieler, durch einen langen Kriegslauf verursachter Schicksalsschläge, indessen nicht selber in Ihrem Herzen eine leise Traurigkeit überrascht, wenn Sie einem Baume begegneten, dessen Blätter mitten im Frühling gelb waren, einem Baum, der dahinsiechte und starb, weil er in einen Boden gepflanzt worden war, wo die für seine volle Entwicklung notwendigen Bedingungen fehlten? Seit meinem zwanzigsten Lebensjahre tat es mir weh, die passive Melancholie einer verkümmerten Pflanze zu sehen; heute wende ich bei einem solchen Anblick stets die Augen ab. Mein Kinderschmerz war das vage Vorgefühl meiner Mannesschmerzen; eine Art Sympathie zwischen meiner Gegenwart und einer Zukunft, die ich instinktiv in jenem vegetalen Leben wahrnahm, das vor der Zeit sich dem Ziele zuneigt, dem Bäume und Menschen entgegengehen!«

      »Als ich Ihre Güte sah, dachte ich mir schon, daß Sie gelitten hätten!«

      »Sie begreifen, mein Herr,« fuhr der Arzt, ohne auf Genestas' Worte zu entgegnen, fort, »daß von der Fosseuse sprechen, von mir sprechen heißt. Die Fosseuse ist eine auf fremden Boden versetzte Pflanze, aber eine Menschenpflanze, die fortwährend von traurigen oder tiefen Gedanken, die sich gegenseitig vervielfachen, verzehrt wird. Das arme Mädchen leidet beständig. Bei ihr tötet die Seele den Körper. Könnte ich wohl eine schwache Kreatur, welche die Beute des größten und am wenigsten gewürdigten Unglücks ist, das es in unserer egoistischen Welt gibt, kühlen Herzens ansehen, wenn ich ein Mann und Leiden gegenüber stark, mich allabendlich versucht fühle, mich zu weigern, die Last eines ähnlichen Unglücks zu tragen? Vielleicht würd' ich mich sogar weigern ohne einen religiösen Gedanken, der meinen Kümmernissen den Stachel nimmt und süße Illusionen in meinem Herzen verbreitet. Auch wenn wir nicht alle Kinder ein und desselben Gottes wären, würde die Fosseuse noch meine Schwester im Leiden sein!«

      Benassis preßte die Flanken seines Pferdes und riß den Major Genestas mit fort, wie wenn er sich fürchtete, die angefangene Unterhaltung in diesem Tone weiterzuführen.

      »Mein Herr,« fuhr er fort, als die Pferde wieder nebeneinander trabten, »die Natur hat das arme Mädchen sozusagen für den Schmerz erschaffen, wie sie andere Frauen für das Vergnügen erschaffen hat. Wenn man derartige Prädestinationen sieht, muß man notgedrungen an ein anderes Leben glauben. Alles wirkt auf die Fosseuse: wenn graues und trübes Wetter herrscht, ist sie traurig und ›weint mit dem Himmel‹; das ist ihr eigener Ausdruck. Sie singt mit den Vögeln; sie beruhigt sich und wird mit dem Himmel heiter; endlich wird sie an einem schönen Tage schön. Ein zarter Duft ist ein beinahe unerschöpfliches Vergnügen für sie. Einen ganzen Tag über sah ich sie nach einem jener Regenmorgen, welche die Seele der Blumen öffnen und dem Tage unsagbare Frische und Glanz verleihen, den Duft genießen, den Reseden ausströmten; mit der Natur, mit allen Pflanzen hatte sie sich entfaltet. Wenn die Atmosphäre drückend und elektrisierend ist, hat die Fosseuse Beschwerden, die nichts beruhigen kann; sie legt sich ins Bett und klagt über tausend verschiedene Leiden, ohne zu wissen, was ihr fehlt. Wenn ich sie frage, antwortet sie mir, ihre Knochen würden weich und ihr Fleisch löse sich in Wasser auf. Während solcher leblosen Stunden fühlt sie das Leben nur durch das Leiden; ihr Herz ist ›außerhalb von ihr‹, um Ihnen noch eines ihrer Worte anzuführen. Manchmal hab' ich das arme Mädchen weinend beim Anblicke gewisser Bilder überrascht, die in unseren Bergen beim Sonnenuntergange sichtbar werden, wenn viele und prachtvolle Wolken sich über unseren goldenen Berggipfeln vereinigen. ›Warum weinen Sie, meine Kleine?‹ fragte ich sie. – ›Ich weiß es nicht,‹ antwortete sie mir; ›ich bin wie von Sinnen, wenn ich das da droben betrachte, und ich weiß vor lauter Sehen nicht, wo ich bin.‹ – ›Aber was sehen Sie denn?‹ – ›Ich kann es Ihnen nicht sagen.‹ Dann möchten Sie sie den langen Abend über noch soviel fragen, Sie würden von ihr nicht ein einziges Wort hören; sie würde Ihnen gedankenvolle Blicke zuwerfen oder mit feuchten Augen, schweigsam, sichtlich gesammelt, verharren. Ihre Sammlung ist so tief, daß sie sich mitteilt; wenigstens wirkt sie dann auf mich wie eine mit Elektrizität überladene Wolke. Eines Tages hab' ich sie mit Fragen bedrängt, ich wollte sie mit aller Gewalt zum Sprechen bringen und sagte ihr einige allzu lebhafte Worte; – ja, mein Herr, da brach sie in Tränen aus. In anderen Augenblicken ist die Fosseuse froh, artig, lachlustig, lebhaft und geistreich; sie plaudert mit Vergnügen und äußert neue, originelle Gedanken. Uebrigens ist sie unfähig, sich irgendeiner fortlaufenden Arbeit zu widmen: wenn sie in die Felder geht, bleibt sie ganze Stunden über mit dem Ansehen einer Blume beschäftigt, betrachtet das fließende Wasser und beschaut sich die malerischen Wunder, die sich unter den klaren und ruhigen Gewässern zeigen, jene hübschen, aus Kieseln, Erde, Sand, Wasserpflanzen, Moos und braunen Niederschlägen zusammengesetzten Mosaiken, deren Farben so mild sind und deren Töne so seltsame Kontraste bilden. Als ich ins Land kam, starb das arme Mädchen Hungers. Gedemütigt wie sie war, fremdes Brot anzunehmen, nahm sie zur öffentlichen Barmherzigkeit nur in dem Augenblicke ihre Zuflucht, wo sie durch äußerstes

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