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ist hier Landbriefträger bei der Post. In dieser Eigenschaft ist er der Neuigkeitsvermittler des Bezirks, und die Gewohnheit, sie zu erzählen, hat ihn zum Spinnstubenredner, zum anerkannten Erzähler gemacht; auch hält ihn Gondrin für einen Schöngeist, für einen Pfiffikus. Wenn Goguelat von Napoleon redet, scheint der Pontonier seine Worte an der bloßen Bewegung der Lippen zu erraten. Wenn sie heute abend zur Spinnstube kommen, die in einer meiner Scheunen stattfindet, wo wir sie sehen können, ohne gesehen zu werden, will ich Ihnen das Schauspiel dieser Szene geben. Doch wir sind hier bei dem Graben angelangt, und ich sehe meinen Freund Pontonier nicht.«

      Aufmerksam blickten der Arzt und der Major um sich, sie sahen nur Gondrins Schaufel, Hacke, Schubkarren und Militärrock bei einem schwarzen Dreckhaufen, aber keine Spur von dem Manne auf den verschiedenen steinigen Wegen, auf denen die Gewässer kamen, einer Art seltsamer Furchen, die fast alle von kleinem Strauchwerk beschattet wurden.

      »Er kann nicht weit fort sein. – Heda! Gondrin!« rief der Arzt.

      Genestas bemerkte nun Pfeifenrauch zwischen dem Blätterwerk, das eine Geröllablagerung bedeckte und wies den Arzt, der seinen Ruf wiederholte, mit dem Finger darauf hin. Bald zeigte der alte Pontonier seinen Kopf, erkannte den Bürgermeister und kam auf einem kleinen Pfade herunter.

      »Nun, mein Alter,« rief Benassis, der aus seiner flachen Hand eine Art Hörrohr machte, »hier ist ein Kamerad, ein Aegypter, der dich hat sehen wollen.«

      Gondrin hob sofort den Kopf nach Genestas hin und warf ihm den tiefen, forschenden Blick zu, den alte Soldaten durch die Gewohnheit, ihre Gefahren sofort abzuschätzen, sich zu erwerben gewußt haben. Nachdem er des Majors rotes Band gesehen hatte, führte er schweigend den Rücken seiner Hand an seine Stirn.

      »Wenn der kleine Geschorene noch lebte,« rief der Offizier ihm zu, »würdest du das Kreuz und eine schöne Pension haben; denn du hast allen, die Achselstücke tragen und sich am ersten Oktober 1812 auf der anderen Flußseite befunden haben, das Leben gerettet; doch, mein Freund,« fügte der Major absitzend und ihm die Hand in einer plötzlichen Aufwallung reichend, »ich bin nicht Kriegsminister.«

      Als er solche Worte hörte, nahm der alte Pontonier eine stramme Haltung an, nachdem er sorgsam die Asche aus seiner Pfeife geklopft und diese zu sich gesteckt hatte; dann sagte er, den Kopf neigend:

      »Ich habe nur meine Pflicht getan, Herr Offizier; doch in bezug auf mich haben die anderen nicht die ihrige getan. Sie haben mir meine Papiere abverlangt! ›Meine Papiere?‹ … hab' ich ihnen gesagt, ›aber die sind ja das neunundzwanzigste Bulletin!‹«

      »Es muß neuerdings reklamiert werden, mein Kamerad. Mit Protektion wird dir heute ganz bestimmt dein Recht werden.«

      »Mein Recht!« rief der alte Pontonier mit einem Tone, der den Arzt und den Major erbeben machte.

      Es trat ein Augenblick des Schweigens ein, während dessen die beiden Reiter dieses Wrackstück der ehernen Soldaten, die Napoleon aus drei Generationen ausgesucht hatte, betrachteten. Sicherlich war Gondrin ein schönes Muster jener unzerstörbaren Masse, die zerschellte, ohne zu brechen. Dieser alte Mann war kaum fünf Fuß hoch, seine Brust und Schultern waren erstaunlich breit, sein sonnenverbranntes, von Furchen durchzogenes mageres, aber muskulöses Gesicht wies noch einige martialische Züge auf. Alles an ihm hatte einen rauhen Charakter; seine Stirn schien ein Stück Stein zu sein; seine spärlichen und grauen Haare fielen kraftlos zurück, wie wenn seinem müden Haupte schon das Leben fehle. Seine Arme, ebenso seine Brust, welche man teilweise durch die Oeffnung seines groben Hemdes sah, waren mit Haaren bedeckt und kündigten eine ungewöhnliche Kraft an. Endlich stand er auf seinen wie gedrechselten Beinen fest wie auf einem unerschütterlichen Grunde.

      »Recht?« wiederholte er, »wird's nie für unsereinen geben. Wir haben keine Gerichtsvollzieher, die unsere Forderungen eintreiben. Und da man sich den Pansen vollschlagen muß,« sagte er, sich auf den Magen klopfend, »haben wir keine Zeit zu warten. Da ich nun sah, daß die Worte der Leute, die ihr Leben damit hinbringen, sich in den Schreibstuben zu wärmen, nicht die Kraft der Gemüse besitzen, habe ich mich entschlossen, meinen Sold aus dem allgemeinen Fonds zu beziehen,« sagte er, mit seiner Hacke in den Schlamm schlagend.

      »Das kann nicht so weitergehen, mein alter Kamerad!« sagte Genestas. »Ich schulde dir das Leben und würde undankbar sein, wenn ich dir nicht beispränge! Ich habe nicht vergessen, daß ich die Brücken der Beresina überschritten habe und kenne gute Burschen, die ebenfalls ein gutes Gedächtnis haben, und die werden mir helfen, dir vom Vaterlande die Belohnung, die du verdienst, zu verschaffen.«

      »Sie werden Sie einen Bonapartisten nennen! Mischen Sie sich nicht darein, Herr Offizier. Uebrigens habe ich mich in den Nachtrab gedrückt und mir hier mein Loch wie eine blinde Kugel gemacht. Nur war ich nicht darauf gefaßt, nachdem ich auf den Kamelen der Wüste gereist war und ein Glas Wein in einer Ecke des brennenden Moskau getrunken hatte, unter den Bäumen zu sterben, die von meinem Vater gepflanzt worden sind!« sagte er, seine Arbeit wieder aufnehmend.

      »Armer Alter,« sagte Genestas. – »An seiner Statt würde ich's so machen wie er; wir haben unsern Vater nicht mehr. Mein Herr,« sagte er zu Benassis, »dieses Mannes Ergebung stimmt mich düster. Er weiß nicht, wie sehr er mich interessiert, und wird glauben, daß ich einer jener vornehmen Lumpen bin, die kein Herz für das Unglück des Soldaten haben.«

      Er kehrte sich hastig um, faßte den Pontonier bei der Hand und schrie ihm ins Ohr:

      »Bei dem Kreuz, das ich trage und das ehedem eine Ehre bedeutete, schwöre ich dir, alles menschenmögliche zu unternehmen, um eine Pension für dich durchzusetzen, und wenn ich zehn ministerielle Weigerungen hinterschlucken sollte, will ich den König, den Dauphin und die ganze Bude bestürmen!«

      Als er diese Worte hörte, zitterte der alte Gondrin, sah Genestas an und sagte zu ihm:

      »Sie sind also einfacher Soldat gewesen?«

      Der Major neigte den Kopf. Auf dies Zeichen hin wischte der Pontonier sich die Hand ab, ergriff Genestas' Hand, drückte sie mit inniger Bewegung und sagte zu ihm:

      »Als ich mich da unten ins Wasser stellte, Herr General, hatte ich der Armee mein Leben als Almosen geschenkt; es hat also einen Gewinn gegeben, da ich noch auf meinen Pedalen stehe. Halt, wollen Sie den Boden des Sackes sehen? – Schön, seitdem ›der andere‹ gestorben ist, habe ich an nichts mehr Freude. Sie haben mir hier,« fügte er, fröhlich auf die Erde weisend, hinzu, »zwanzigtausend Franken angewiesen, die soll ich mir nehmen, und ich mache mich brockenweise bezahlt, wie der andere sagt!«

      »Nun, lieber Kamerad,« sagte Genestas, bewegt von der Erhabenheit dieser Verzeihung, »du sollst hier wenigstens das einzige haben, was du mich nicht hindern kannst, dir zu schenken.«

      Der Major schlug sich aufs Herz, blickte den Pontonier einen Moment lang an, stieg wieder auf sein Pferd und ritt an Benassis' Seite wieder weiter.

      »Derartige administrative Grausamkeiten nähren den Krieg der Armen gegen die Reichen,« sagte der Arzt. »Die Leute, denen die Macht für den Augenblick anvertraut worden ist, haben niemals ernstlich an die notwendigen Folgen einer einem Manne aus dem Volke zugefügten Ungerechtigkeit gedacht. Ein Armer, der sein tägliches Brot zu verdienen gezwungen ist, kämpft nicht lange, das ist wahr; aber er redet und findet Widerhall in allen duldenden Herzen. Eine einzige Ungerechtigkeit vervielfacht sich durch die Zahl derer, die sich in ihr getroffen fühlen. Dieser Sauerteig geht auf. Das ist aber noch nichts; es entsteht daraus ein noch größeres Uebel. Solche Unbilligkeiten entfachen beim Volke einen dumpfen Haß gegen die sozial höher Gestellten.

      Der Bürger wird und bleibt der Feind des Armen, der ihn außerhalb des Gesetzes stellt, ihn betrügt und bestiehlt. Für den Armen bedeutet der Diebstahl weder ein Vergehen noch ein Verbrechen mehr, er ist eine Rache. Wenn ein Administrator, wo es sich darum dreht, den Kleinen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sie mißhandelt und um ihre erworbenen Rechte prellt, wie können wir da von den brotlosen, unglücklichen Menschen Resignation ihren Nöten gegenüber und Respekt vor dem Besitze verlangen? … Ich zittere bei dem Gedanken, daß ein Bureaumensch, dessen Dienst darin besteht, Papiere abzustauben, die Gondrin versprochene Pension von tausend Franken erhalten hat. Da beklagen sich gewisse Leute, die niemals das Uebermaß von Leiden ermessen haben, über die Maßlosigkeit

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