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Mann mit einem armseligen, in Wein getauchten kleinen Zwieback umbringen!«

      »Gewiß, liebe Frau. Ich bin erstaunt, ihn noch am Leben zu finden nach dem eingetauchten Zwieback, den Ihr ihm gereicht habt! Vergeßt nicht, genau zu tun, was ich Euch gesagt habe!«

      »Oh, mein lieber Herr, lieber will ich selber sterben, als dagegen handeln.«

      »Nun, das werd' ich ja sehen. Morgen abend will ich ihn zur Ader lassen. – Gehen wir zu Fuß den Bach entlang,« sagte Benassis zu Genestas, »von hier nach dem Hause, wohin ich mich begeben muß, gibt's keinen Weg für die Pferde. Der kleine Junge der Leute hier wird auf unsere Tiere aufpassen. – Bewundern Sie unser schönes Tal ein wenig,« fuhr er fort, »ist's nicht ein englischer Garten? Wir kommen jetzt zu einem Arbeiter, der untröstlich ist über den Tod eines seiner Kinder. Sein noch junger Aeltester hat während der letzten Ernte wie ein Mann arbeiten wollen, da hat das arme Kind seine Kräfte überspannt und ist Ende Herbst an Entkräftung gestorben. Es ist dies das erstemal, daß ich einem so stark entwickelten väterlichen Gefühle begegne. Gewöhnlich bedauern die Bauern in ihren gestorbenen Kindern den Verlust einer nützlichen Sache, die einen Teil ihres Vermögens vorstellt; das Bedauern wächst im Verhältnis zu dem Alter. Wenn ein Kind einmal erwachsen ist, wird's ein Kapital für seinen Vater. Dieser arme Mann aber liebte seinen Sohn wirklich. ›Nichts tröstet mich über den Verlust,‹ hat er mir eines Tages gesagt, als ich ihn in einer Wiese aufrecht und unbeweglich stehen sah, seine Arbeit vergessend und sich auf seine Sense stützend, in der Hand seinen Schleifstein haltend, den er genommen hatte, um sich seiner zu bedienen, und dessen er sich doch nicht bediente. Nie hat er wieder von seinem Schmerz zu mir gesprochen, aber er ist schweigsam und schwermütig geworden. Heute ist eines seiner kleinen Mädchen krank …«

      Indem sie so plauderten, waren Benassis und sein Gast bei einem kleinen Hause angekommen, das auf dem Wege zu einer Lohmühle gelegen war. Dort unter einer Weide sahen sie einen etwa vierzigjährigen Mann stehen, der mit Knoblauch eingeriebenes Brot aß.

      »Nun, Gasnier, geht's der Kleinen besser?«

      »Ich weiß es nicht, Herr,« sagte er mit düsterer Miene, »sehen Sie sie sich an, meine Frau ist bei ihr. Trotz Ihrer Fürsorge habe ich rechte Angst, der Tod möchte bei mir eingekehrt sein, um mir alles fortzuholen.«

      »Der Tod nimmt bei niemand Wohnung, Gasnier, er hat keine Zeit. Verliert nur den Mut nicht.«

      Benassis ging, vom Vater gefolgt, ins Haus. Eine halbe Stunde später kam er in Begleitung der Mutter heraus und sagte zu ihr:

      »Beunruhigt Euch nicht; tut, was ich Euch gesagt habe, sie ist gerettet … Wenn Sie all das langweilt,« sagte der Arzt dann, das Pferd wieder besteigend, zu dem Offizier, »könnte ich Sie auf den Weg nach dem Flecken bringen und Sie würden dorthin zurückkehren.«

      »Nein, meiner Treu, ich langweile mich nicht!«

      »Aber Sie werden überall Hütten sehen, die einander ähnlich sind; nichts ist scheinbar monotoner als das Land.«

      »Reiten wir,« sagte der Offizier.

      Einige Stunden lang eilten sie so durchs Land, durchquerten den Bezirk in seiner Breite und kamen gegen Abend in den Teil zurück, der dem Flecken benachbart war.

      »Jetzt muß ich da unten hingehen,« sagte der Arzt zu Genestas, ihn auf einen Punkt hinweisend, wo sich Ulmen erhoben. »Die Bäume sind vielleicht zweihundert Jahre alt,« fügte er hinzu. »Dort wohnt jene Frau, um derentwillen gestern Abend ein Bursche im Augenblicke des Essens kam und mir sagte, daß sie weiß geworden sei.«

      »War's gefährlich?«

      »Nein,« sagte Benassis, »eine Wirkung der Schwangerschaft. Die Frau ist in ihrem letzten Monate. Während dieser Periode bekommen manche Frauen häufig Krämpfe. Vorsichtshalber muß ich immerhin nachsehen, ob nichts Beunruhigendes eingetreten ist. Ich will die Frau selber entbinden. Uebrigens werd' ich Ihnen da eine unserer neuen Industrien, eine Ziegelei, zeigen. Der Weg ist schön, wollen Sie galoppieren?«

      »Wird Ihr Tier mir folgen?« fragte Genestas, seinem Pferde »Hott, Neptun!« zurufend.

      In einem Nu wurde der Offizier hundert Schritte weit fortgetragen und verschwand in einer Staubwolke; trotz der Schnelligkeit seines Pferdes aber hörte er den Arzt immer an seiner Seite. Benassis sagte ein Wort zu seinem Pferde und überholte den Major, der ihn erst bei der Ziegelei in dem Augenblicke einholte, wo der Arzt sein Pferd ruhig an dem Pfosten eines Reisigzauns anband.

      »Daß Sie der Teufel hole!« rief Genestas, indem, er das Pferd ansah, das weder schwitzte noch schnaufte. »Was haben Sie denn da für ein Tier?«

      »Ach!« antwortete lachend der Arzt, »Sie haben's für einen alten Klepper gehalten. Für den Moment würde uns die Geschichte dieses schönen Tieres zuviel Zeit fortnehmen; möge es Ihnen genügen, zu wissen, daß Rustan ein veritabler, vom Atlas gekommener Berber ist. Ein Berberroß wiegt einen Araber auf. Meines erklimmt die Berge im schnellen Galopp, ohne daß sein Fell feucht wird, und trabt sicheren Fußes Abgründe entlang. Es ist übrigens ein auf hübsche Weise gewonnenes Geschenk. Ein Vater glaubte mir so das Leben seiner Tochter zu bezahlen, einer der reichsten Erbinnen Europas, die ich sterbend auf dem Wege nach Savoyen angetroffen habe. Wenn ich Ihnen sagen wollte, wie ich die junge Person geheilt habe, würden Sie mich für einen Quacksalber halten … Ei, ei, ich höre Pferdeschellen und Wagenlärm auf dem Pfade: wir wollen schauen, ob es zufällig Vigneau selber ist, und sehen Sie sich den Mann gut an!«

      Bald bemerkte der Offizier vier schwere Pferde, aufgeschirrt wie jene, welche die wohlhabendsten Bauern der Brie besitzen. Die wollenen Quasten, die Schellen, das Lederzeug waren von einer gewissen großartigen Sauberkeit. Auf dem großen blauangestrichenen Karren befand sich ein großer, pausbäckiger, sonnenverbrannter Bursche, der vor sich hinpfiff und seine Peitsche wie ein Gewehr schulterte.

      »Nein, es ist nur der Karrenführer,« sagte Benassis. »Bewundern Sie ein wenig, wie der industrielle Wohlstand des Herrn sich in allem, selbst in der Ausrüstung dieses Wagenführers widerspiegelt! Ist das nicht das Anzeichen einer auf dem flachen Lande ziemlich seltenen kommerziellen Intelligenz?«

      »Ja, ja, all das scheint mit vieler Sorgfalt gearbeitet,« erwiderte der Offizier.

      »Nun, Vigneau besitzt zwei ähnliche Fahrzeuge. Außerdem hat er das kleine Reitpferd, auf dem er seinen Geschäften nachgeht; denn sein Handel dehnt sich jetzt sehr weit aus; und vier Jahre vorher besaß dieser Mann nichts! Ich irre mich, er hatte Schulden … Doch gehen wir hinein.«

      »Madame Vigneau muß wohl zu Hause sein, Junge?« fragte Benassis den Karrenführer.

      »Sie ist im Garten, Herr; ich sah sie eben dort über die Hecke weg; ich will sie von Ihrer Ankunft benachrichtigen.«

      Genestas folgte Benassis, der ihn ein weites, durch Hecken abgeschlossenes Gelände durchqueren ließ. In einer Ecke waren die für die Ziegel- und Fliesenherstellung nötigen weißen Erden und der Ton aufgeschichtet, auf der anderen Seite lagen Reisig- und Holzbündel in Haufen für den Ofen. Weiter fort, auf einem mit Gittern umgebenen freien Platze zerkleinerten mehrere Arbeiter weiße Steine oder formten die Erden zu Backsteinen. Dem Eingang gegenüber unter den hohen Ulmen fand die Fabrikation von runden und viereckigen Ziegeln statt; auf einem großen Platz im Grünen, der durch die Dächer der Trockenschuppen abgeschlossen wurde, in deren Nähe man den Ofen mit seiner weiten Oeffnung, seinen langen Schaufeln, seinem hohlen und schwarzen Gange sah. Es befand sich dort, parallel mit diesen Gebäuden, ein Bauwerk von ziemlich elendem Aussehen, das der Familie als Wohnung diente, und wo die Remisen, die Pferde-, Kuhställe und die Scheune untergebracht waren. Geflügel und Schweine trieben sich auf dem großen Areal herum. Die Sauberkeit, die in diesen verschiedenen Gebäuden herrschte, und ihr guter Ausbesserungszustand bezeugten die Wachsamkeit des Herrn.

      »Vigneaus Vorbesitzer«, sagte Benassis, »war ein Unglücksmensch, ein Nichtstuer, der nur den Trunk liebte. Früher Arbeiter, verstand er seinen Ofen zu heizen und seine Löhne zu bezahlen, das war alles; im übrigen besaß er weder Tätigkeitsdrang noch kaufmännischen Geist. Wenn die Käufer nicht zu ihm kamen und seine Waren abholten, blieben sie da, wurden schlechter und verdarben. Er starb denn auch Hungers. Seine Frau, die er durch schlechte Behandlung fast schwachsinnig gemacht

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