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der von dem seligen Pfarrer, ich weiß nicht wo, ausgegraben worden ist. Wahrlich in allen Dingen muß man, um den Vorbildern des Guten, Schönen und Bequemen zu begegnen, seine Zuflucht zur Kirche nehmen. Kurz, ich hoffe, daß Ihnen in Ihrem Zimmer alles gefallen wird. Sie werden dort gute Rasiermesser, ausgezeichnete Seife, und all die kleinen Requisiten finden, die einem sein Zuhause zu etwas so Süßem machen. Doch, mein lieber Monsieur Bluteau, selbst wenn meine Meinung über die Gastfreundschaft nicht bereits den Unterschied erklären würde, der zwischen unsern Zimmern besteht, so werden Sie zweifelsohne die Kahlheit meines Zimmers und die Unordnung in meinem Kabinett sehr gut begreifen, wenn Sie morgen Zeuge des Kommens und Gehens sein werden, das bei mir stattfindet. Vor allem führe ich kein Stubenhockerleben, ich bin immer draußen. Wenn ich im Hause bleibe, kommen die Bauern alle Augenblicke, um mich zu sprechen, ich gehöre ihnen mit Leib, Seele und Zimmer. Kann ich mich um Etikette und um die unvermeidlichen Schäden kümmern, welche die guten Leute unwillkürlich bei mir anrichten könnten? Luxus gehört in Hotels, Schlösser, Damenzimmer und Räume für Freunde. Kurz, ich halte mich hier höchstens zum Schlafen auf, was bedeutet mir also der Tand des Reichtums? Ueberdies wissen Sie nicht, wie gleichgültig mir alles hienieden ist.«

      Sie sagten sich einen freundschaftlichen guten Abend, schüttelten sich herzlich die Hände und legten sich schlafen. Der Major schlummerte nicht ein, ohne sich mehr als einen Gedanken über diesen Mann zu machen, der von Stunde zu Stunde in seinem Geiste größer wurde.

      II: Quer durch Felder

      Die Freundschaft, die jeder Reiter zu seinem Tiere hegt, führte Genestas schon frühmorgens in den Stall, und er war zufrieden damit, wie Nicolle sein Pferd gestriegelt hatte.

      »Schon aufgestanden, Major Bluteau?« rief Benassis, der seinem Gaste entgegenkam. »Sie sind wirklich ein Soldat, überall hören Sie die Reveille, selbst auf dem Dorfe.«

      »Geht's gut?« antwortete ihm Genestas und streckte ihm in einer Regung von Freundschaft die Hand entgegen.

      »Mir geht's niemals wirklich gut,« antwortete Benassis in einem halb traurigen und halb frohen Tone.

      »Hat der Herr gut geschlafen?« fragte Jacquotte Genestas.

      »Donnerwetter! meine Schöne, Sie hatten mir das Bett wie für eine Neuvermählte zurechtgemacht!«

      Jacquotte folgte lächelnd ihrem Herrn und dem Offizier. Nachdem sie die beiden sich zu Tisch hatte setzen sehen, sagte sie zu Nicolle:

      »Trotzdem ist er ein guter Bursche, der Herr Offizier.

      »Will's meinen, er hat mir bereits vierzig Sous geschenkt!« »Wir wollen damit anfangen, zwei Tote zu besuchen,« sagte Benassis zu seinem Gast, als sie das Eßzimmer verließen. »Wiewohl die Aerzte sich selten ihrem angeblichen Opfer gegenübersehen wollen, werd' ich Sie in zwei Häuser führen, wo Sie eine recht seltsame Beobachtung über die menschliche Natur machen können. Dort sollen Sie zwei Bilder sehen, die Ihnen beweisen werden, wie verschieden im Ausdruck ihrer Gefühle Bergbewohner von den Leuten in der Ebene sind. Der unterhalb der Bergspitzen gelegene Teil unseres Bezirks bewahrt Sitten von antiker Färbung, die von fern an die Szenen der Bibel erinnern. Auf der Kette unserer Berge gibt's eine von der Natur gezogene Linie, von der an gerechnet alles sein Aussehen ändert: oben Kraft, unten Gewandtheit; oben starke Gefühle, unten fortwährender Ausgleich mit den Interessen des materiellen Lebens. Bis auf das Tal von Ajou, dessen Nordseite von Schwachsinnigen und dessen Südseite von intelligenten Leuten bewohnt ist, zwei Bevölkerungen, die, nur durch einen Bach getrennt, in jeder Beziehung, in Statur, Gang, Physiognomie, Sitten und Beschäftigungen einander unähnlich sind, habe ich an keiner Stelle diesen Unterschied mehr zutage treten sehen als hier. Diese Tatsache würde die Verwalter eines Landes zu eingehenden lokalen Studien hinsichtlich der Anwendung der Gesetze auf die Massen verpflichten … Doch die Pferde sind bereit, reiten wir!«

      In kurzer Zeit langten die Reiter bei einer Behausung an, die sich in dem Teile des Fleckens befand, der nach den Bergen der Grande-Chartreuse hin lag. Vor der Türe dieses Hauses, das in gutem Zustände war, bemerkten sie einen mit einem schwarzen Tuche bedeckten Sarg, der auf zwei Stühle inmitten von vier Kerzen gesetzt worden war, dann auf einem Schemel ein Kupferbecken, in welchem ein Buchsbaumbüschel in Weihwasser lag. Jeder Vorübergehende trat in den Hof, kniete vor der Leiche nieder, betete ein Vaterunser und sprengte einige Weihwassertropfen auf die Bahre. Oberhalb des schwarzen Tuchs erhoben sich die grünen Büschel eines neben die Türe gepflanzten Jasmins, und in der Höhe des Oberlichts zogen sich die gewundenen Ranken eines schon belaubten Weinstocks hin. Ein junges Mädchen kehrte gerade den Platz vor dem Hause fertig, um dem unbestimmten Bedürfnis nach Schmuck zu gehorchen, den die Zeremonien, selbst die traurigste von allen, einflößen. Der älteste Sohn des Toten, ein junger zweiundzwanzigjähriger Bauer, stand unbeweglich an den Türpfosten gelehnt. In den Augen hatte er Tränen, die rollten, ohne zu fallen, oder die er vielleicht dann und wann heimlich abwischte. Im Moment, da Benassis und Genestas in den Hof traten, nachdem sie ihre Pferde an eine der Pappeln angebunden hatten, die längs einer kleinen Mauer von Brusthöhe standen, von wo aus sie die Szene betrachtet hatten, kam die Witwe in Begleitung einer Frau, die einen vollen Milchtopf trug, aus ihrem Stall.

      »Habt Mut, meine arme Pelletier,« sagte diese.

      »Ach, meine liebe Frau; wenn man fünfundzwanzig Jahre mit einem Manne zusammengewesen ist, dann ist's sehr hart, voneinander zu gehen!«

      Und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

      »Bezahlt Ihr die zwei Sous?« fügte sie nach einer Pause, ihrer Nachbarin die Hand hinhaltend, hinzu.

      »Ach, halt, ich vergaß!« sagte die andere Frau und gab ihr Geldstück hin. »Nun, tröstet Euch, liebe Nachbarin. – Ah, da ist Monsieur Benassis.« »Nun, arme Mutter, geht's besser?« fragte der Arzt.

      »Gewiß, mein lieber Herr,« sagte sie weinend, »es muß wohl trotzdem gehen. Ich sage mir, daß mein Mann nicht mehr leidet. Er hat soviel gelitten! – Aber treten Sie doch ein, meine Herrn! – Jacques! Gib den Herren doch Stühle, auf, rühre dich. Bei Gott, geh, du wirst deinen armen Vater nicht wieder aufwecken und wenn du dort auch hundert Jahre stehenbleibst! Und jetzt mußt du für zweie arbeiten!«

      »Nein, nein, gute Frau, lassen Sie Ihren Sohn in Ruhe; wir wollen uns nicht setzen. Sie haben da einen Jungen, der für Sie sorgen wird und wohl fähig ist, seinen Vater zu ersetzen.«

      »So geh und zieh dich an, Jacques,« rief die Witwe, »sie werden ihn bald holen.«

      »Gehen wir. Leben Sie wohl, Mutter,« sagte Benassis.

      »Ihre Dienerin, meine Herrn.«

      »Wie Sie sehen,« sagte der Arzt, »hat man den Tod hier als einen vorhergesehenen Unfall hingenommen, der den Lebenslauf der Familien nicht aufhält; und Trauer wird dort gar nicht getragen werden. In den Dörfern will niemand, sei es aus Armut, sei's aus Sparsamkeit, sich eine solche Ausgabe machen. Auf dem Lande gibt's daher keine Trauer. Die Trauer, mein Herr, ist weder ein Gebrauch noch ein Gesetz; sie ist etwas viel Besseres: eine Einrichtung, die mit allen Gesetzen zusammenhängt, deren Beobachtung von ein und demselben Prinzip, nämlich der Moral, abhängt. Trotz unserer Bemühungen haben nun weder ich noch Monsieur Janvier unsern Bauern mit Erfolg begreiflich machen können, von welcher Wichtigkeit die öffentlichen Demonstrationen für die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung sind. Diese braven, seit gestern emanzipierten Leute sind noch nicht fähig, die neuen Beziehungen zu verstehen, die sie mit diesen allgemeinen Vorstellungen verknüpfen sollen. Gegenwärtig sind sie nur für die Ideen zu haben, die Ordnung und physisches Wohlbefinden erzeugen; wenn später jemand mein Werk fortsetzt, werden sie zu den Prinzipien gelangen, die dazu dienen, die öffentlichen Rechte zu erhalten. Tatsächlich genügt es nicht, ein ehrenwerter Mann zu sein, man muß als ein solcher auch erscheinen. Die Gesellschaft lebt nicht allein durch moralische Ideen; um Bestand zu haben, bedarf sie in Einklang mit solchen Ideen stehender Handlungen. In den meisten ländlichen Gemeinden werden auf hundert Familien, die der Tod ihres Oberhauptes beraubt hat, nur einige wenige mit einer lebhaften Empfindsamkeit begabte Individuen diesem Toten ein langes Andenken bewahren, alle anderen aber werden ihn innerhalb eines Jahres vollkommen vergessen haben. Ist dieses Vergessen nicht eine große Wunde? Eine Religion ist das Herz eines Volkes, sie drückt seine Gefühle aus und vergrößert sie, indem sie ihnen ein

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