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der Gartenseite aus zeigt das Haus des Arztes eine Fassade von fünf Fenstern in jedem Stockwerk. Es besteht aus einem Erdgeschoß, einem ersten Stockwerk und einem Dachgeschoß mit ausspringenden Mansarden. Die grüngestrichenen Fensterläden heben sich von dem grauen Ton der Mauer ab, wo zwischen beiden Geschossen ein Weinstock in Friesform als Schmuck dominiert. Unten längs der Mauer vegetieren traurig einige Bengalrosenstöcke, die durch das Wasser des Daches, das keine Traufen hat, halb ertränkt sind. Wenn man durch den großen Flur, der ein Vorzimmer bildet, eintritt, befindet sich zur Rechten ein Salon mit vier Fenstern, von denen die einen auf den Hof, die anderen auf den Garten hinausgehen. Dieser Salon, zweifelsohne der Gegenstand vieler Ersparnisse und vieler Hoffnungen für den armen Verstorbenen, ist mit Dielen belegt, unten getäfelt und mit gewebten Tapeten des vorletzten Jahrhunderts geschmückt. Die großen und breiten, mit blumigem chinesischen Seidenstoff bezogenen Sessel, die alten vergoldeten Armleuchter, die den Kamin zieren, und die Vorhänge mit dicken Quasten zeigen den Wohlstand an, dessen sich der Pfarrer erfreut hatte. Benassis hatte diesen Hausrat, der des Charakters nicht entbehrte, durch zwei Holzkonsolen mit geschnitzten Girlanden, die einander gegenüber an den Fensterzwischenwänden angebracht waren, und durch eine mit Kupfer eingelegte Schildpattuhr vervollständigt, die auf dem Kamine prunkte. Der Arzt bewohnte diesen Raum, der den feuchten Geruch ständig geschlossener Räume ausdünstete, selten. Man atmete dort den verstorbenen Pfarrer ein; der eigentümliche Geruch seines Tabaks schien sogar von der Kaminecke, wo er zu sitzen gewohnt war, auszugehen. Die beiden großen, behaglichen Lehnsessel waren symmetrisch auf jede Seite des Kamins gestellt, in welchem seit Monsieur Graviers Aufenthalt kein Feuer gebrannt hatte, wo nun aber die hellen Flammen des Fichtenholzes leuchteten.

      »Es ist abends noch kalt,« sagte Benassis, »und da sieht man gern das Feuer.«

      Genestas, der nachdenklich geworden war, fing an, sich des Arztes Sorglosigkeit den gewöhnlichen Dingen des Lebens gegenüber zu erklären.

      »Mein Herr,« sagte er, »Sie besitzen wirklich eine Bürgerseele; und ich wundere mich, daß Sie, nachdem Sie so viele Dinge vollbracht haben, nicht den Versuch machten, die Regierung aufzuklären.«

      Benassis fing an zu lachen, doch still vor sich hin und mit trauriger Miene.

      »Eine Denkschrift über die Mittel schreiben, Frankreich zu zivilisieren, nicht wahr? Vor Ihnen hat mir Monsieur Gravier das gesagt, mein Herr. Ach, man klärt eine Regierung nicht auf, und von allen Regierungen ist jene die am wenigsten für Aufklärung empfängliche, welche Licht zu verbreiten glaubt. Gewiß, was wir für den Bezirk hier getan haben, müßten alle Bürgermeister für den ihren, müßte die Munizipalverwaltung für ihre Stadt, der Unterpräfekt für den Kreis, der Präfekt für die Provinz, der Minister für Frankreich, jeder in der Interessensphäre, in der er tätig ist, tun. Da, wo ich dazu überredet habe, einen Weg von zwei Meilen zu bauen, würde der eine eine Straße zustande bringen, der andere einen Kanal, da, wo ich zur Anfertigung von Bauernhüten ermuntert habe, würde der Minister Frankreich vom industriellen Joche des Auslandes befreien, indem er einige Uhrenmanufakturen ermutigte, indem er hülfe, unsere Eisen-, unsere Stahlwaren, unsere Feilen oder Schmelztiegel zu vervollkommnen und Seide oder Waid zu kultivieren. Was den Handel anlangt, so heißt ermuntern nicht protegieren. Die wahre Politik eines Landes muß danach trachten, es von allem Tribut dem Auslande gegenüber, aber ohne die schimpfliche Hilfe von Zöllen und Einfuhrverboten, zu befreien. Die Industrie kann nur durch sich selbst gerettet werden, die Konkurrenz ist ihr Leben. Protegiert, schläft sie ein; sie stirbt sowohl durch das Monopol wie unter dem Tarife. Das Land, das alle anderen sich tributpflichtig machen wird, wird das sein, welches die Handelsfreiheit verkündigt, es wird die gewerbliche Kraft in sich fühlen, seine Produkte auf einem Preisniveau zu halten, das niedriger ist als das seiner Konkurrenten. Frankreich kann dies Ziel viel besser als England erreichen; denn es allein besitzt ein Gebiet, das ausgedehnt genug ist, um die landwirtschaftlichen Produkte auf Preisen festzuhalten, die eine Erhöhung der industriellen Löhne verhindern: danach müßte die Verwaltung in Frankreich streben, denn darin besteht die ganze moderne Frage. Dies Studium ist nicht mein Lebensziel gewesen, mein lieber Herr, die Aufgabe, die ich mir spät gestellt habe, ist Zufallssache. Dann sind derartige Dinge zu einfach, als daß man eine Wissenschaft daraus machte, sie springen weder ins Auge, noch erfordern sie eine Theorie, sie haben das Unglück, ganz einfach nützlich zu sein. Kurz, man beeilt sich nicht mit ihnen. Um einen Erfolg dieser Art zu erzielen, muß man allmorgendlich in sich die nämliche Dosis des seltensten und anscheinend bequemsten Mutes finden, den Mut des Professors, der unaufhörlich die nämlichen Dinge wiederholt, einen wenig belohnten Mut. Wenn wir den Mann, der, wie Sie, sein Blut auf dem Schlachtfelde vergossen hat, ehrfurchtsvoll begrüßen, machen wir uns über den lustig, der sein Lebensfeuer langsam verbraucht, um Kindern gleichen Alters immer die gleichen Worte zu sagen. Das heimlich getane Gute lockt niemanden. Wir entbehren im wesentlichen der Bürgertugend, mit welcher die großen Männer früherer Zeiten dem Vaterlande Dienste leisteten, indem sie sich auf die unterste Rangstufe stellten, wenn sie nicht befehligten. Die Krankheit unserer Zeit ist die Ueberlegenheit. Es gibt mehr Heilige als Nischen. Und zwar deshalb: Mit der Monarchie haben wir die Ehre, mit der Religion unserer Väter die christliche Tugend und mit unseren fruchtlosen Regierungsversuchen den Patriotismus verloren. Diese Prinzipien bestehen nur noch teilweise, anstatt die Massen zu beseelen; denn die Ideen gehen niemals unter. Um die Gesellschaft zu stützen, besitzen wir jetzt keinen anderen Halt als den Egoismus. Die Individuen glauben an sich. Die Zukunft ist der soziale Mensch; darüber hinaus sehen wir nichts mehr. Der große Mann, der uns vor dem Schiffbruche, dem wir entgegentreiben, retten wird, wird sich zweifelsohne des Individualismus bedienen, um die Nation wiederherzustellen; in Erwartung dieser Regeneration aber leben wir in dem Jahrhundert der materiellen Interessen und des Positiven. Letzteres Wort führt alle Welt im Munde. Wir sind alle numeriert, und zwar nicht nach dem, was wir wert sind, sondern nach dem, was wir wiegen. Wenn er im Wams einhergeht, schenkt man dem energischen Menschen kaum einen Blick. Diese Gesinnung hat sich auf die Regierung übertragen. Dem Seemann, der unter Gefahr seines eigenen Lebens ein Dutzend Menschen rettet, schickt der Minister eine klägliche Medaille, dem Abgeordneten aber, der ihm seine Stimme verkauft, reicht er das Ehrenkreuz. Wehe dem Lande, das so bestellt ist! Die Nationen, ebenso wie die Individuen, verdanken ihre Energie nur großen Gefühlen. Die Gefühle eines Volkes sind seine Glaubenssätze. Anstatt Glaubenssätze zu haben, besitzen wir Interessen. Wenn jeder nur an sich denkt und nur an sich selber glaubt, wie wollen Sie da viel Bürgermute begegnen, wenn die Vorbedingungen zu dieser Tugend im Verzicht auf sich selbst bestehen? Bürgermut und Soldatenmut haben denselben Ursprung. Sie sind dazu berufen, Ihr Leben auf einmal hinzugeben, unseres versickert tropfenweise. Auf jeder Seite die gleichen Kämpfe unter anderen Formen. Es genügt nicht, ein Biedermann zu sein, um den bescheidensten Erdenwinkel zu zivilisieren, man muß auch unterrichtet sein; ferner sind Bildung, Rechtschaffenheit und Patriotismus nichts ohne den festen Willen, mit dem ein Mensch sich alles persönlichen Interesses entledigen muß, um sich einem sozialen Gedanken zu widmen. Frankreich umschließt gewißlich mehr als einen gebildeten Mann, mehr als einen Patrioten in jeder Gemeinde; ich bin aber sicher, daß nicht in jedem Bezirke ein Mann existiert, der mit diesen kostbaren Eigenschaften den stetigen Willen und die Beharrlichkeit des sein Eisen anschlagenden Hufschmiedes besitzt. Der Mensch, der zerstört, und der Mensch, der aufbaut, sind zwei Willensphänomene: der eine bereitet das Werk vor, der andere vollendet es; ersterer erscheint als der Genius des Bösen, und der zweite scheint der Genius des Guten zu sein. Ruhm wird dem einen, Vergessen dem anderen zuteil. Das Böse besitzt eine helltönende Stimme, welche die gewöhnlichen Seelen aufweckt und mit Bewunderung erfüllt, während das Gute lange stumm bleibt. Die menschliche Eigenliebe hat sich schnell die glänzendste Rolle gewählt. Ein ohne einen individuellen Hintergedanken vollendetes Friedenswerk wird also immer nur ein Zufall sein, bis die Erziehung die Sitten Frankreichs verändert hat. Wenn diese Sitten sich erst mal geändert haben, wenn wir alle große Bürger sind, werden wir dann nicht trotz der Annehmlichkeiten eines trivialen Lebens das langweiligste, gelangweilteste, unkünstlerischste und das unglücklichste Volk sein, das es auf Erden gibt? Solche große Fragen zu entscheiden, kommt mir nicht zu, ich stehe nicht an der Spitze des Landes. Abgesehen von diesen Betrachtungen widersetzen sich noch andere Schwierigkeiten dem, was die Verwaltung an exakten Grundsätzen besitzt. In puncto Zivilisation, mein Herr, ist nichts absolut. Die Ideen, die für eine Gegend angebracht sind, sind in einer anderen tödlich, und es verhält sich mit den Intelligenzen wie mit

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