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eine dichte Hagebuchenhecke, die Wonne des vorigen Besitzers, abgeschlossen. Der Soldat setzte sich auf eine wurmstichige Holzbank, ohne weder die Weingeländer, noch die Spaliere, noch die Gemüse zu sehen, denen Jacquotte infolge der Traditionen des geistlichen Feinschmeckers, dem man diesen, Benassis ziemlich gleichgültigen Garten verdankte, große Sorgfalt angedeihen ließ.

      Die alltägliche Unterhaltung, die er gepflogen hatte, aufgebend, fragte der Major den Arzt:

      »Wie haben Sie es angestellt, mein Herr, in zehn Jahren die Bevölkerung dieses Tales, wo Sie siebenhundert Seelen vorgefunden haben, und die heute nach Ihren Worten mehr als zweitausend zählt, zu verdreifachen?«

      »Sie sind der Erste, der diese Frage an mich richtet,« antwortete der Arzt. »Wenn es mein Ziel gewesen ist, den kleinen Erdenwinkel hier zur Blüte zu bringen, so hat mir die Begeisterung meines tätigen Lebens nicht die Muße gelassen, über die Weise nachzudenken, in der ich wie der Bettelmönch eine Art ›Kieselsteinsuppe‹ im Großen zusammengerührt habe. Selbst Monsieur Gravier, einer unserer Wohltäter, dem ich den Dienst habe leisten können, ihn zu heilen, hat nicht an die Theorie gedacht, als er mit mir durch unsere Berge lief, um dort das Ergebnis der Praxis zu sehen.«

      Es trat ein Augenblick des Schweigens ein, während dessen Benassis sich seinen Gedanken überließ, ohne auf den scharfen Blick, mit dem sein Gast ihn zu durchdringen suchte, achtzugeben.

      »Wie sich das alles gemacht hat, mein lieber Herr?« fuhr er nach einer Weile fort; »doch ganz natürlich und dank dem sozialen Anziehungsgesetz zwischen den Bedürfnissen, die wir uns schaffen, und den Mitteln, sie zu befriedigen. Alles ist da. Völker ohne Bedürfnisse sind arm. Als ich mich in diesem Flecken niederließ, zählte man hier einhundertdreißig Bauernfamilien, und im Tale gegen zweihundert Feuerstellen. Die Obrigkeit des Landes, die der öffentlichen Not entsprach, setzte sich aus einem Bürgermeister, der nicht schreiben konnte, und einem Beigeordneten, einem Pächter, der weit fort von der Gemeinde wohnte, und einem Friedensrichter zusammen, einem armen, von seinem Gehalte lebenden Teufel, der die Personalakten notgedrungen von seinem Kanzlisten führen ließ, einem anderen Unglücklichen, der kaum imstande war, sein Handwerk zu begreifen. Der alte Pfarrer war im siebzigsten Lebensjahre gestorben; sein Vikar, ein ungebildeter Mensch, eben sein Nachfolger geworden. Diese Männer stellten die Intelligenz des Landes dar und beherrschten es. Inmitten dieser schönen Natur verkamen die Einwohner im Schmutz und lebten von Kartoffeln und Milchspeisen. Die Käse, welche die Mehrzahl von ihnen in kleinen Körben nach Grenoble oder in die Umgebung brachten, bildeten die einzigen Produkte, aus welchen sie etwas Geld lösten. Die Reichsten oder am wenigsten Faulen säten Buchweizen für den Verbrauch des Fleckens, manchmal auch Gerste und Hafer, aber keinen Weizen und Roggen. Der einzige Gewerbetreibende der Gegend war der Bürgermeister, der eine Schneidemühle besaß und zu niedrigem Preise Holzschläge kaufte, um sie im Kleinen abzusetzen. In Ermangelung von Wegen transportierte er seine Bäume einzeln in der schönen Jahreszeit, indem er sie mit großer Mühe mittels einer am Halfter seiner Pferde befestigten Kette schleifte, die in einem in den Stamm eingeschlagenen Eisenkrampen endigte.

      Um, sei es zu Pferde, sei es zu Fuß, nach Grenoble zu gelangen, mußte man einen oben durchs Gebirge führenden breiten Saumpfad benutzen; das Tal war unwegsam. Von hier bis zum ersten Dorfe, das Sie gesehen haben, als Sie in den Bezirk kamen, bildete die hübsche Straße, auf der Sie zweifelsohne gekommen sind, zu allen Jahreszeiten nur ein Sumpfloch. Kein politisches Ereignis, keine Revolution war in dies unzugängliche und völlig außerhalb der sozialen Bewegung stehende Dorf gedrungen. Napoleon allein hatte seinen Namen hineingeschleudert. Er ist hier dank der zwei oder drei alten Soldaten der Landschaft, die an ihren Herd zurückgekehrt sind und bei den Abendunterhaltungen diesen einfachen Leuten die Abenteuer dieses Mannes und seiner Armeen in märchenhafter Ausschmückung erzählen, heilig. Ihre Rückkehr ist übrigens ein unerklärbares Phänomen. Vor meiner Ankunft blieben die zur Armee abgegangenen jungen Leute alle dort. Diese Tatsache zeigt das Unglück des Landes deutlich genug an, um mich von der Notwendigkeit zu entbinden, es Ihnen auszumalen. In diesem Zustande, mein Herr, habe ich diesen Bezirk, von dem jenseits der Berge mehrere gut bewirtschaftete, ziemlich glückliche und beinahe reiche Gemeinden abhängen, übernommen. Ich spreche Ihnen nicht von den Hütten des Fleckens, wahren Ställen, in denen damals Tiere und Menschen durcheinander zusammengepfercht waren. Bei meiner Rückkehr von der Grande-Chartreuse kam ich hier durch. Da ich keine Herberge fand, sah ich mich gezwungen, bei dem Vikar zu schlafen, der dies Haus, das damals zum Verkauf stand, provisorisch bewohnte. Nach langem Hin- und Herfragen erhielt ich eine oberflächliche Kenntnis von der kläglichen Lage dieses Landes, dessen schöne Temperatur, ausgezeichneter Boden und natürliche Produkte mich in Erstaunen gesetzt hatten. Damals, mein Herr, suchte ich mir ein anderes Leben zu schaffen als das, dessen Nöte mich müde gemacht hatten. Es sprach einer jener Gedanken zu meinem Herzen, die Gott uns schickt, um uns unsere Unglücksfälle still hinnehmen zu lassen. Ich entschloß mich, das Land zu erziehen, wie ein Lehrer ein Kind erzieht. Wissen Sie mir keinen Dank für meine Wohltätigkeit! Durch das Bedürfnis nach Ablenkung, das ich verspürte, war ich zu sehr dabei interessiert. Damals versuchte ich den Rest meines Lebens für irgendein schwer durchzuführendes Unternehmen einzusetzen. Die Veränderungen, die in diesem Bezirke vorgenommen werden mußten, den die Natur so reich begabte und den der Mensch so arm machte, mußten ein ganzes Leben ausfüllen; sie reizten mich eben durch die Schwierigkeit, sie ins Werk zu setzen. Sobald ich sicher war, das Pfarrhaus und viele öde Strecken Landes wohlfeil zu bekommen, widmete ich mich gewissenhaft dem Berufe des Landchirurgen, dem letzten aller derer, die ein Mann in seiner Heimat ergreifen mag. Ich wollte der Freund der Armen werden, ohne den geringsten Dank von ihnen zu erwarten. Oh, ich hab' mich keiner Illusion hingegeben, weder über den Charakter der Landleute, noch über die Hindernisse, denen man begegnet, wenn man die Menschen oder die Dinge zu verbessern sucht. Ich habe mir keine Idylle in bezug auf meine Leute ausgemalt, hab' sie genommen für das, was sie sind: arme, weder ganz gute, noch ganz schlechte Bauern, denen eine beständige Arbeit nicht erlaubt, sich Gefühlen zu überlassen, die aber manchmal lebhaft empfinden können. Kurz, ich habe vor allem begriffen, daß ich nur durch unmittelbare Vorteils- und Nützlichkeitserwägungen auf sie wirken würde. Alle Bauern sind Kinder des heiligen Thomas, des ungläubigen Apostels, immer wollen sie Tatsachen zur Stütze der Worte sehen!«

      »Ueber mein erstes Auftreten werden Sie vielleicht lachen,« fuhr der Arzt nach einer Pause fort. »Ich habe dies schwierige Werk mit einer Korbfabrik begonnen. Die armen Leute kauften ihre Käsehürden und die für ihren ärmlichen Handel unerläßlichen Korbwaren in Grenoble. Einen jungen intelligenten Mann brachte ich auf den Gedanken, längs des Wildbachs ein großes Landstück in Pacht zu nehmen, das alljährliche Anschwemmungen fruchtbar machten, und wo Korbweiden sehr gut fortkommen mußten. Nachdem ich die Anzahl der vom Bezirk verbrauchten Korbwaren überschlagen hatte, suchte ich einen jungen mittellosen Handwerker, einen geschickten Arbeiter, in Grenoble ausfindig zu machen. Als ich ihn gefunden hatte, bestimmte ich ihn leicht, sich hier niederzulassen, indem ich ihm versprach, ihm das Geld für die zu seinen Erzeugnissen nötigen Weideruten vorzustrecken, bis mein Weidenpflanzer ihm solche liefern könne. Ich überredete ihn, seine Körbe besser herzustellen und sie unter dem Grenobler Preise zu verkaufen. Er verstand mich. Die Weidenzucht und die Korbflechterei bildeten eine Spekulation, deren Resultate erst in vier Jahren geschätzt werden konnten. Es ist Ihnen gewiß bekannt, daß Weiden erst in drei Jahren so weit sind, daß sie geschnitten werden können. Während seines ersten Arbeitsjahres lebte und fand mein Korbflechter seine Nahrung durch Wohltaten. Bald heiratete er eine Frau aus Saint-Laurent-du-Pont, die etwas Geld hatte. Dann ließ er sich ein gesundes, luftiges Haus bauen, dessen Platz von mir gewählt und dessen Einteilung nach meinen Ratschlägen vorgenommen wurde. Welch ein Triumph, mein Herr! Ich hatte in diesem Flecken ein Gewerbe geschaffen, hatte einen Produzenten und einige Arbeiter dorthingebracht! Sie werden meine Freude eine Kinderei heißen? … Während der ersten Tage der Etablierung meines Korbmachers ging ich nie vor seinem Laden vorbei, ohne daß sich meine Herzschläge beschleunigten. Als ich in diesem neuen Hause mit grüngestrichenen Fensterläden, vor dessen Tür eine Bank, ein Weinstock und Weidenbündel standen, dann eine saubere, gutgekleidete Frau sah, die ein dickes weiß-rosiges Kind inmitten von lauter fröhlichen Arbeitern stillte, die singend und eifrig ihre Korbwaren flochten, und von einem Manne angeleitet wurden, der, einst arm und hager, nun das Glück ausstrahlte, konnte ich dem Vergnügen nicht widerstehen, für einen Augenblick

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