Скачать книгу

gab er sich tatsächlich Mühe, aber ich fühlte mich von ihm genauso verraten und im Stich gelassen, wie von allen anderen auch.

      „Danke“, murmelte ich und drängte mich an ihm vorbei.

      „Dieselben Plätze wie immer?“, fragte er hoffnungsvoll. Normalerweise saßen wir immer im hinteren Bereich in einer Zweierbank auf der rechten Seite. Ich schüttelte den Kopf und sah ihn ernst an. „Ich würde lieber alleine sitzen.“ Zur Bekräftigung setzte ich mich direkt hinter den Busfahrer und wand mein Gesicht der Fensterscheibe zu. Ich spürte wie er für einen Moment neben mir verharrte, aber dann weiter durch den Bus ging. Nur für einen Augenblick hatte ich befürchtet, dass er meine Bitte ignorieren würde. Ich lehnte meinen Kopf gegen das kühle Glas der Scheibe und schloss die Augen. Obwohl es Lucas war, der mich betrogen, belogen und benutzt hatte, empfand ich ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen. Es fiel mir nicht leicht ihn abzuweisen, während er sich so bemühte. Aber der Gedanke so zu tun, als wären wir immer noch Freunde, tat noch viel mehr weh.

      Vor dem Eingang der Schule strömten die Massen an Schülern wild durcheinander. Es war der erste Tag nach den Ferien und alle hatten sich viel zu erzählen. Ich sah überall hin und gleichzeitig versuchte ich die Blicke mit denen ich bedacht wurde, auszublenden. So bemerkte ich Dairine erst, als ich aus dem Bus stieg und beinahe direkt in sie hineingelaufen wäre. Sie musste auf mich gewartet haben, denn nun breitete sie ihre Arme aus und zog mich in eine feste Umarmung. Ich atmete den Geruch ihres Apfelshampoos ein und freute mich tatsächlich sie zu sehen. „Du hast mir so gefehlt“, kreischte sie freudig und küsste mich auf die Wange. Als sie sich von mir löste, konnte ich sie erst richtig ansehen. Sie sah verändert aus. Die vielen bunten Strähnen waren aus ihrem schwarzen Haar völlig verschwunden. Sonst hatte sie auf ihrer Schuluniform immer eine Vielzahl von Buttons verschiedener Rockbands und farbige Bänder getragen, doch auch davon war nichts mehr übrig geblieben. Ihre Veränderung erinnerte mich daran, dass sie mich in Velvet Hill nur einmal besucht hatte und danach nie wieder, dabei hätte ich eine Freundin gut gebrauchen können. Nun stand sie mir genau wie Lucas gegenüber und tat, als wäre nichts gewesen. Fairerweise musste ich zugeben, dass sie mir an Weihnachten und Silvester mehrere Nachrichten geschickt und mich immer wieder versucht hatte anzurufen, aber ich sie beharrlich ignoriert hatte. Wenn sie mich gefragt hätte wie es mir ging, hätte ich nicht gewusst, was ich ihr antworten sollte.

      Dairine bemerkte meinen kritischen Blick und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Schuldbewusst sah sie mich an, so als wüsste sie genau, was ich in diesem Moment gedacht hatte. „Ich bin froh, dass du wieder da bist“, bekräftigte sie noch einmal eindringlich. „Sollen wir reingehen?“

      Ich nickte und folgte ihr ins Schulgebäude. Immer wieder hörte ich wie mein Name in Gesprächen hinter vorgehaltener Hand gezischt wurde. Die Blicke der anderen schienen sich in meinen Rücken zu bohren, doch wenn ich mich umsah, taten alle so, als nähmen sie keine Notiz von mir.

      Als wir das Klassenzimmer betraten, wäre ich am liebsten sofort wieder rückwärts rausgegangen, denn Mona und Aidan saßen an einem Tisch, direkt vor dem Lehrerpult. Seine Hand lag vertraut auf ihrer, als sie zu uns aufsahen. „Hey“, sagte Mona leise, während Aidan sich erhob und auf uns zuging. Er streckte Dairine seine Hand entgegen. „Hallo, ich bin Aidan.“

      Dairine sah verwirrt zwischen mir und ihm hin und her. Sie spürte meine Abneigung, aber kannte den Grund dafür nicht. Das bewies nur wie viel mittlerweile zwischen uns lag. Sie war meine beste Freundin und wusste nicht einmal etwas über meinen letzten Beinahe-Freund. Als sie seine Hand ergriff, ging ich an ihnen vorbei und ließ mich auf meinen Platz in der hintersten Reihe fallen. Dairine setzte sich neben mich und schaute immer wieder besorgt zu mir, während sich das Klassenzimmer langsam füllte. „Alles ok?“, flüsterte sie.

      Dachte sie etwa ich könnte ihr alles, was mir in den letzten drei Monaten widerfahren war, innerhalb von ein paar Minuten erzählen? „Geht schon“, raunte ich abweisend und sehnte mir Mrs. Kelly, unsere Musiklehrerin, mehr denn je herbei. Doch auch nach Läuten der Schulglocke war sie noch nicht aufgetaucht. Es war schrecklich in dem kleinen Raum mit all den Anderen gefangen zu sein, die über mich oder meine Schwester tuschelten. Sie gaben sich nicht einmal mehr Mühe es zu verbergen.

      Bitte keine Freistunde!, betete ich in Gedanken, als die Tür schwungvoll aufgerissen wurde und Liam in Bikerboots und Lederjacke lässig in den Raum geschlendert kam. Nein! Das durfte einfach nicht wahr sein. Die anderen Schüler jubelten begeistert. Sie liebten ihn und seinen lockeren Unterricht. „Yeah, Mr. Dearing!“, grölten die Jungen, während die Mädchen ihn anhimmelten und fragten: „Sind Sie etwa wieder unser Lehrer?“ Liam nahm den Applaus wie ein Rockstar entgegen und sonnte sich selbstverliebt in der Bewunderung.

      Zwar musste ich zugeben, dass er mich an Weihnachten mit seiner Schwimmaktion tatsächlich aufgeheitert hatte, aber das bedeutete nicht, dass ich ihn wieder als meinen Lehrer haben wollte. Sein Blick begegnete meinem und er zwinkert mir verschwörerisch zu, woraufhin ich ihn wütend anfunkelte. Er hatte bereits vor seinem Tod die Gerüchteküche ordentlich angeheizt, indem er mir gegenüber immer wieder anzügliche Bemerkungen gemacht hatte, ganz egal, ob andere Schüler in der Nähe waren oder nicht. Ich stand schon genug im Mittelpunkt, da brauchte ich nicht auch noch eine angebliche Affäre mit einem Lehrer. Wie schön war die Zeit gewesen, in der ich wie ein Geist hatte durch die Schule gehen können, ohne die Aufmerksamkeit von irgendjemandem zu erregen. Damals war ich noch nicht mit Lucas gegangen. Ich war im Grunde ein Niemand gewesen, aber ich hatte nichts dagegen gehabt. Wenn ich eines hasste, dann war es im Mittelpunkt zu stehen.

      Liam setzte sich auf das Pult und hob seine Hände, um die Schüler zur Ruhe zu bringen. „Ich freue mich euch verkünden zu dürfen, dass ich offiziell wieder zurück bin und den Musikunterricht von Mrs. Kelly nun fest übernehmen werde.“ Die Jubelrufe gingen erneut los, während ich mir überlegte, ob es wohl möglich wäre den Kurs zu wechseln.

      Liam hob erneut die Hände, worauf alle wie dressierte Hunde verstummten. Er deutete auf Mona und Aidan. „Wir haben dieses Jahr auch zwei neue Schüler an der Schule. Zum einen meine Cousine Mona Dearing und ihren Freund Aidan Monroe.“

      Alle drehten sich neugierig zu ihnen um und ich sah wie unangenehm es beiden war. Mitgefühl loderte in mir auf. Mona und ich hatten mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick vielleicht schien. Wir hatten uns immer gut verstanden und während meiner Zeit in Velvet Hill war sie zu einer engen Freundin für mich geworden. Genauso wie Aidan. Warum hatte ich mich nur in ihn verlieben müssen? Wenn wir nur Freunde geblieben wären, hätte ich jetzt zumindest zwei Menschen, denen ich noch vertrauen könnte. Aber so musste ich immer wieder daran denken wie Aidan mich alleine am Bahnhof in Dublin zurückgelassen hatte, um zu Mona zu gehen. Es tat weh immer nur die zweite Wahl zu sein.

      Nach dem Unterricht wollte ich so schnell wie möglich weg von Liam und hatte deshalb mein Heft und meine Stifte schon vor dem Läuten der Schulglocke eingepackt, sodass ich als eine der Ersten aus dem Kursraum eilen konnte. Doch er machte mir einen Strich durch die Rechnung, indem er mich laut zurückrief: „Miss Rice, könnte ich kurz mit Ihnen sprechen?“ Ich hörte seiner Stimme an, welche Freude es ihm bereitete mich bloßzustellen. Am meisten gefiel ihm daran die Gewissheit, dass es mir peinlich war mit ihm gesehen zu werden. Ich ging an den anderen Schülern vorbei und baute mich mit verschränkten Armen vor dem Pult auf. „Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte ich ihn genervt. Doch anstatt mir zu antworten, sah er zu Dairine, die im Türrahmen stand. „Mrs. Cooper, das Gespräch ist vertraulich. Warten Sie bitte vor der Tür?“

      Sie rührte sich jedoch nicht von der Stelle, sondern sah abwartend zu mir. „Ist schon gut“, versicherte ich ihr, worauf sie die Tür schloss. Liam wendete sich grinsend mir zu und streckte seine Hand nach mir aus. Ich wich vor ihm zurück. „Was soll das?“, fauchte ich wütend. „Ich habe schon genug Probleme, ich brauche nicht auch noch eine Affäre mit meinem Lehrer!“

      Seine Augenbrauen hoben sich amüsiert und er kam um das Pult herum, um sich dicht vor mich zu stellen. „Ich wusste gar nicht, dass wir eine Affäre haben“, grinste er, ohne mich auch nur im Geringsten ernst zu nehmen.

      „Ist das alles? Kann ich jetzt gehen?“, fragte ich genervt. Es war sinnlos mit

Скачать книгу